Die Arbeit der Brigadisten in Kuba

Freitag, 27.8.

Heute ist unser erster Arbeitstag. Ich stehe unter der Dusche, warte, daß Wasser herauskommt und sehe verschlafen einem Frosch zu, der neben mir langsam die Wand hinaufkriecht. Aber das kalte Wasser und die erwartungsvolle Spannung auf unsere Arbeit bringen es dann fertig, daß ich, komplett mit Strohhut und Arbeitshandschuhen ausgerüstet, pünktlich um 7.00 Uhr in Richtung Guagua (1) ziehe, als aus den Lautsprechern Silvio Rodriguez’ (2) "vamos a andar" ertönt.

Unsere erste Arbeit ist "la fresa" - das Erdbeerfeld. Zunächst stellen wir uns das noch sehr verlockend vor. Aber statt etwa Erdbeeren zu pflücken, kriegen wir auf dem Feld "guatacas" (Hacken) in die Hand gedrückt, mit denen es das Feld dermaßen zu bearbeiten gilt, daß am Ende die grün überwucherte Fläche ordentlich grün-rot gestreift aussieht. Kubanische Erde ist nämlich rot, nebenbei bemerkt! So verteilt sich dann unsere Gruppe und jeder hackt in seiner Furche drauflos. Zunächst macht es mir kolossal Spaß, aber nach den ersten 100 Metern wird die Hacke immer schwerer und ich bekomme das Gefühl, mir langsam das aufrechte Gehen abzugewöhnen. Ich verschnaufe einen Moment und schaue mich um. Das zurückgelegte Stück erscheint mir gegenüber dem was noch vor mir liegt, unverhältnismäßig klein.

Um 9.00 Uhr, ich habe beinahe die Hälfte meiner zweiten Furche zurückgelegt, schallt der Ruf: "Merienda!" über das Feld. Er bedeutet Pause, etwas zu essen und vor allem etwas zu trinken. Außer Atem versammeln wir uns beim Bus, wo jetzt Silva, unser "Aua-Fahrer" (3) aus einem großen Metallkübel eisgekühlten Limonadensaft ausschenkt und Törtchen verteilt, die mit einer süßen roten Paste gefüllt sind. (Guayaba-Marmelade, wie wir später noch lernen werden.)

Je später und heißer es wird, desto mehr spüren wir bei unserer Hackerei, daß die Strohhüte, die wir alle im Campamento erhalten haben, nicht etwa eine Art malerische Verkleidung, sondern unbedingt notwendig sind. Meiner ist mir zu klein und fällt dauernd herunter. Eben hat Peter mich noch ein paar Furchen weiter überholt, und jetzt pflügt er mir von der anderen Seite schon wieder entgegen. Der Schweiß fließt ihm in Strömen herunter, und unbeirrt schiebt er sich, die Guataca schwingend, vorwärts. Ich dagegen bin froh, zweieinhalb Reihen geschafft zu haben, als wir um halb 12.00 Uhr zum Mittagessen ins Campamento zurückfahren.

Samstag, 28.8.

Es geht wieder aufs Erdbeerfeld, aber heute wird nicht gehackt, sondern gejätet. Immer zu zweit nehmen wir uns eine Reihe vor, ich rupfe zusammen mit Ubaldo Unkraut. Diese Arbeit ist sehr viel zeitraubender als das Hacken gestern, und die Reihen scheinen fünfmal so lang zu sein. Dafür kann man sich aber besser miteinander unterhalten! Ubaldo singt mir kubanische Lieder vor, weswegen ihm Julia, die ein paar Reihen weiter in der Erde wühlt, ihren Handschuh an den Kopf schmeißt. Sie möchte nämlich Udo zuhören, der deutsche Volkslieder und "Was sollen wir trinken" für sie singt.

Samstags arbeiten wir nur morgens, am Nachmittag ist dann "Produktionsbesprechung". Die Brigadentreffen sich an den langen Steintischen unter den Mangobäumen, wo dann alle die Arbeit betreffenden Fragen besprochen werden und wieweit wir unser "Plansoll" erfüllt haben. Wir fragen den Kubaner, der auf dem Feld unser Vorarbeiter ist, gründlich über die Erdbeeren aus und erfahren, daß unsere Arbeit sonst von Schulkindern ausgeführt wird, und daß die Holzhütte, bei der wir Merienda machen, auch für den Unterricht da ist. Wir erfahren, wie stolz die Kubaner darauf sind, überhaupt einige Erdbeeren anzubauen, und wie mühsam das ist, haben wir ja jetzt selbst schon ein kleines bißchen zu spüren bekommen!

Montag, 30.8.

Heute fahren wir in die Plantage, um dort Guayabas zu ernten. An Ort und Stelle bekommt jeder einen verbeulten Blecheimer, und jeweils zu zweit nehmen wir eine Baumreihe in Angriff.

Die Arbeit in der Plantage macht mir mehr Spaß als das Erdbeerfeld. Das Gras ist hoch und feucht, die Bäume sind über und über mit Schlingpflanzen gewachsen, die kleine gelborange Blüten tragen. Gestrüpp, Blattwerk und Gräser machen es schwierig, unter die Bäume zu kriechen, um dort die heruntergefallenen Früchte aufzulesen. In diesen grünen Höhlen unter den Bäumen ist der schwere, süße, auch ein bißchen faulige Geruch der Guaven fast betäubend, und mit der zunehmenden Hitze des Vormittags verstärkt er sich noch durch die dampfende Feuchtigkeit, die aus der Wiese aufsteigt.

Wenn die Blecheimer voll sind, schütten wir sie in große Körbe, die dann von einem Traktor mit Anhänger, der ab und zu vorbeifährt, eingesammelt werden. Bei der Merienda geht die Diskussion vor allem darum, welche Früchte wir sammeln sollen und welche nicht - die Meinungen darüber, ob auch solche Guaven, aus denen beim Anfassen ganze Ströme kleiner schwarzer Käfer flüchten, gehen auch bei den Kubanern auseinander. Wir halten das dann so, daß wir ganz verkäferte Früchte liegenlassen, solche, die nur weich sind und etwa beim Draufdrücken kleine rosa Spuckbläschen von sich geben, jedoch einsammeln - zur Herstellung von Saft sind sie auf jeden Fall zu gebrauchen.

Donnerstag, 2.9.

Wieder ein Tag Guayaba-Plantage, allerdings eine andere. Diese ist überhaupt nicht wild und eingewachsen, hier scheinen sie mit einem Unkrautvernichtungsmittel durchgegangen zu sein, denn alle Pflanzen sind kurz und ordentlich. Es ist einfacher zu pflücken, aber auch langweiliger. Na ja, schließlich sind wir auch nicht hier, um Schmetterlinge und Libellen zu beobachten!

Ulises, einer unserer kubanischen Freunde, und ich teilen uns eine Baumreihe. Heute ist es viel schwüler als sonst, und um die Wahrheit zu sagen, keiner von uns beiden legt sonderlichen Arbeitseifer an den Tag. Wir schleifen unsere Blecheimer hinter uns her und überlegen bei jeder Guayaba, ob sie es wert ist, sich für sie zu bücken. In der Ferne hören wir etwas wie Donner. Ulises sagt, daß es Maschinengewehrfeuer ist, das von einem Truppenübungsplatz herkommt. Einmal durchbricht über uns ein Düsenjäger die Schallmauer, es ist eine von den "berühmt-berüchtigten" MIG=32. Ulises lacht als er mein Gesicht sieht: "Keine Sorge, wir werden gut bewacht!" meint er.

Die bewölkte Hitze wird immer drückender. Wir basteln aus angefaulten Guaguas Köpfe, indem wir ihnen mit einem Messer Augen, Nasenlöcher und einen Schlitz als Mund schneiden. Wenn man die Guave drückt, kann "Johny", so nennen wir den besten Kopf, schmatzen und spucken. Er bekommt noch ein Holzstückchen als Zigarre in den rosafleischigen Mund gesteckt und ist das perfekte Abbild eines Kaugummi kauenden Yankee.

Plötzlich sagt Ulises, daß auch er, wie jeder Kubaner, zu Haus sein Gewehr habe und daß er, genau wie jeder andere, sein Kuba bis zum letzten Blutstropfen verteidigen würde. "Ihr im Campamento würdet uns helfen, zur Not, oder?" fragt er, und plötzlich spüre ich körpernah, daß die USA nur 90 Meilen nördlich von hier liegen, daß die Situation ernst und all das, was wir in dieser kurzen Zeit bereits lieben gelernt haben, tatsächlich einer ständigen Bedrohung ausgesetzt ist; und ich weiß, daß es mein voller Ernst ist, als ich Ulises antworte: "Klar doch, wenn wir können!"

Freitag, 3.9.

Und wieder ziehen wir in die Guayabas; langsam kriegen alle immer mehr Lust, endlich einmal auf dem Bau zu arbeiten, wo es doch außerdem fast gar nichts mehr zu ernten gibt. Am Nachmittags gibt’s dann schließlich auch neue Arbeit: Wir fahren in eine Kaffeeplantage.

Mit neuem Arbeitseifer machen wir uns daran, die Blecheimer mit Bohnen zu füllen. Auf gar keinen Fall darf auch nur eine einzige unreife Bohne in den Eimer gelangen, wird uns eingeschärft, und der blecherne Boden bedeckt sich nur langsam mit gelben und roten Kaffeebeeren. Den Hut kann man in diesem Gebüschtunnel nicht aufbehalten. und es ist feucht und eng und heiß. Dabeiist es seit einiger Zeit immer dunkler am Himmel geworden, und durch die Löcher im Gezweig über uns sehen wir, daß bedrohliche Wolken aufgezogen sind. Gerade fallen die ersten Tropfen, da ertönt der Ruf: "Merienda!" Die Guaguas stehen unter hohen Avocado-Bäumen, und als wir unseren Saft und die Brötchen bekommen, klatschen immer schwerere Tropfen auf die Blätter. Wir beeilen uns mit der Merienda, und bevor das Unwetter voll losbricht, sitzen wir gerade noch rechtzeitig im Bus, um ins Campamento zurückzufahren.

Montag,6.9.

Es ist ein herrliches Gefühl, endlich auch einmal auf den Baulaster zu klettern und nicht in eine Guagua, die zum Erdbeerfeld oder in die Guayabas fährt, und das kann ich mir keinesfalls entgehen lassen, auch wenn es mich in dieser Nacht "erwischt" hat. Aber ich habe vom Campamento-Doktor schon die weiße Medizin bekommen und fühle mich trotz Darmgrippe fit für den Bau.

Die Baustelle liegt ganz in der Nähe, und sehr viel fehlt nicht mehr, bis alles fertig ist. Hier entsteht eine Schule für Studenten aus dem Ausland, vor allem aus Afrika und Lateinamerika, die Bauingenieure werden wollen. Es ist doch sehr passend: Internationalisten bauen für den Internationalismus! Denn diese Schule ist seit Baubeginn 1979 ausschließlich von internationalen Brigaden gebaut worden.

Wir sollen in einem der Gebäude die Fußböden betonieren. Dafür muß Zement gemischt werden, und bei der Zementgruppe bin auch ich dabei. Meine Aufgabe ist es, Kiesel in eine Schubkarre zu schippen, und wir merken bald, daß das schwerer ist als Sandschaufeln. Wir sind ein ziemlich gutes Team und arbeiten unter vollem Einsatz sämtlicher Kräfte an dem Ungetüm, das sich Zementmischmaschine nennt.

Aber bei der Merienda wird mir wieder schlecht, obwohl ich die Guayaba-Törtchen nicht anrühre, und für den Rest des Vormittags reduziert sich meine Aktivität darauf, mit Diana Gewinde auf Rohre zu drehen, besser gesagt, ihr das Werkzeug dazu zu reichen.

Freitag, 10.9.

In einer Zitrusplantage sollen wir heute unter den Bäumen Gras und Unkraut bis zum Umfang der Baumkrone weghacken. Wir, Diana, Ulises und ich, nehmen uns zu dritt eine Reihe vor, und bald bewegen wir uns in einem ganz guten Arbeitsrhythmus. In der Zeit, in der Diana und ich mit einem Baum fertig werden, schafft Ulises einen zweiten.

So kommen wir recht schnell voran und haben bald das Ende der ersten Reihe erreicht. Hier grenzt die Plantage an ein kleines Bauernhaus, das halb hinter den Bäumen verborgen ist, und ein alter Mann ist gerade damit beschäftigt, zwei Ochsen vor einen Pflug zu schirren. Er nickt uns freundlich zu, deutet gen Himmel und meint: "Heiß!"

Wir kommen ins Gespräch, streicheln die beiden Ochsen und erfahren, daß der eine "Mariposo" heißt, "Schmetterlingsmännchen". Der Mann ist Koch in einer nahegelegenen Schule und bebaut nebenher noch etwas_Land, für den eigenen Bedarf und aus Spaß. Nun zieht er los mit seinen Ochsen, und die Furche, die sein Pflug hinterläßt, entsteht mühsam. Auch den Tieren macht die Hitze zu schaffen, und noch lange hören wir den Bauern aufmunternd "Maripoooso" rufen, "Anda, Mariposo!!!"

1) la guagua — kubanische Bezeichnung für Autobus
2) Einer der bekanntesten Vertreter des neuen kubanischen Liedes - "Nueva Trova"
3) Spitzname, abgeleitet von spanisch agua = Wasser, da er morgens und mittags immer die Kübel mit Eiswasser und Saft in seinen Bus schleppte, aus denen er uns dann zur Merienda unsere Trinkbecher füllte


CUBA LIBRE


CUBA LIBRE 3-1983 Extraausgabe