Diskussionsbeitrag
Auf der Abschlußsitzung der III. Ministerialtagung der nichtpaktgebundenen Staaten im März 1975 in Havanna nimmt Fidel Castro u.a. auch zum Konflikt Äthiopien-Eritrea Stellung:
"Hunderttausende Menschen verhungerten in den letzten Jahren, während eine Ausbeuterklasse von Grundbesitzern skrupellos bis zu 80 Prozent der Erträge der Bauern für sich zurückbehielten ...‘" Er fährt fort, daß es unvermeidlich war, daß sich eine revolutionäre Situation früher oder später entwickeln mußte. "Als Revolutionär kann ich nicht umhin, mich zu freuen, denn ich denke, daß auf der Welt nicht nur die Ausbeutung einiger Nationen durch andere verschwinden muß, sondern auch jegliche Form der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Bedauerlicherweise entwickelt sich ein mörderischer Bruderkampf im Schoße eben dieses Staates zwischen der neuen Regierung, die die alten Strukturen zerbrach, und einer nationalen Befreiungsbewegung. Diese Situation, in der zwei Kämpfe mit progressiven Merkmalen sich feindlich gegenüberstehen, bleibt weiterhin kompliziert. Deshalb: Worin besteht die Pflicht der Nichtpaktgebundenen? Vielleicht darin, die Arme zu verschränken oder eine Seite zum Schaden der anderen zu unterstützen? Krieg zu schüren? Natürlich nicht! Wenigstens müssen ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, um eine friedliche und gerechte Lösung und annehmbare Lösung zu finden für beide Seiten des bewaffneten Konflikts, der den revolutionären Prozeß Äthiopiens und die Befreiungsbewegung von Eritrea trennt, die sich leider feindlich gegenüberstehen." Mit dem Hinweis auf die OPEC-Friedensvermittlung zwischen Irak-Iran versucht er, die nichtpaktgebundenen Staaten für eine Vermittlung zu gewinnen.
Zwei Jahre später, im Frühjahr 1977, macht Fidel Castro bei seiner Rundreise durch sieben afrikanische Länder ernst mit einer Vermittlung im Konflikt am Horn von Afrika. Die historischen Voraussetzungen für eine Beendigung der Konflikte in Eritrea und Ogaden sind äußerst schlecht. Allein der Vorschlag Mengistus im März 1977, eine gemeinsame antiimperialistische Front in Nordwestafrika aufzubauen und eine Allianz zwischen Äthiopien, Somalia, Südjemen und Djibouti zu schließen, und der Vorschlag Siad Barres im Jahre 1975, eine föderative Lösung der Konflikte am Horn von Afrika, gaben ein wenig Hoffnung. Und Kuba verfolgte aus zweierlei Gründen die föderative Idee: (1)
1. Fidel Castro hebt hervor, daß die Völker und vor allem Somalia und Äthiopien dieselben Probleme haben und daß es nur einen einzigen Weg gibt, diese Probleme ("egal ob marxistisch-leninistisch oder mehr unter islamisch-religiöser Form") zu lösen: "Als es noch keine Industriegebiete in der Welt gab, konnten sie (Industrieländer wie Großbritannien, Frankreich, USA oder Japan) sich auf dem kapitalistischen Wegentwickeln, aber die Länder Afrikas werden das nicht können! In Afrika herrscht ein entsetzlicher Rückschritt, die sanitären Bedingungen sind schauderhaft, es gibt Länder, die für 100000 Einwohner einen Arzt haben. In vielen Ländern gibt es keine Universitäten, oder sie haben sehr wenig Studenten, es gibt keine Techniker. Das Erziehungs- und Gesundheitsniveau ist erschreckend. Diese Länder können sich den Luxus nicht leisten, an eine anarchistische Entwicklung kapitalistischen Typs zu denken, das, was wir den neokolonialistischen Weg nennen, d.h. der fremden Investitionen, die die natürlichen Ressourcen der Länder an sich reißen ... Wenn sie keinen sozialistischen Weg einschlagen, dann werden sie die aktuellen Probleme niemals lösen." (2)
2. "Imperialism wanted to destroy the revolution - in Palestina, Libya, Democratic Yemen, Ethiopia and other progressive countries of the third world ... Revolutionary peoples must unite in struggle and expand our alliance with the world revolutionary movement and the socialist countries, especially the great Soviet Union", sagte Fidel bei einer Rede vor den somalischen Volksmassen im Benadir-Stadion in Somalia 1977. (3)
Damit waren die beiden Hauptziele, die Kuba mit seiner antiimperialistischen Politik verfolgte, abgesteckt:
Es geht konkret um die soziale Revolution und gegen die internationale Konterrevolution. Neben den USA, die in ihren strategischen und ökonomischen Interessen gerade zu diesem Zeitpunkt angegriffen wurden, bedrohte von außen eine neue "heilige Allianz" zwischen Sudan, Ägypten und Saudi-Arabien die Stabilität des äthiopischen Regimes. (4)
Djibouti sollte nach dem Juli-Referendum 1977 unabhängig werden, und Äthiopien fürchtete Annexion durch Somalia, die den Kollaps des äthiopischen Staates bedeutet hätte, da 80 Prozent des äthiopischen Außenhandels dort abgewickelt werden. Die äußeren nationalistischen und imperialistischen Einflußfaktoren waren eng mit dem wachsenden Widerstand gegen das Revolutionsregime verbunden; vor allem von Feudalherren und Anhängern des alten Premiers (EDU) sowie von verschiedenen und sehr unterschiedlich motivierten Befreiungsfronten in fünf Gebieten in Äthiopien und Djibouti ging erheblicher Druck aus.5 Diese Situation verstärkte nur das beiderseitige Mißtrauen, führte in bezug auf Eritrea und oppositionelle Kräfte (einschließlich Intellektueller revolutionärer Kräfte) zu einer repressiven Politik im Innern und außenpolitisch schließlich zum somalischen Ogaden-Abenteuer.
Die föderative Lösung war eine Illusion. Kuba hat die prinzipiell gemeinsamen Ziele und den gemeinsamen äußeren Feind als Einigungskraft im Horn von Afrika überschätzt, und das stellte sich noch im selben Jahr, 1977, beim Treffen mit Siad Barre und Mengistu in Aden heraus. (5)
"However, what the Somalis meant by federation was the linking up to the two coutries together with Djibouti and an independent Eritrea— but only after the Ogaden had joined Somalia..."
Und Mengistu machte seinerseits seine Haltung klar:
"Federalism for the Ethiopians would not be acceptable with the excision (Abtrennung) of either the Ogaden or of Eritrea." Der Nationalismus Eritreas und Somalias wurde als revisionistisch und konterrevolutionär angesehen, und Fidel Castro schloß sich dieser Position schließlich an, nachdem die Idee einer Föderation sich zerschlagen hatte.
Krieg im Ogaden
Am 15. Oktober 1977 informierte Äthiopien den kubanischen Außenminister über die "Aggression gegen Äthiopien", die im Juli 1977 bereits begann. Zu Beginn des Jahres 1978 kämpften kubanische Techniker und wahrscheinlich auch Truppeneinheiten in Ogaden. Kuba verurteilte scharf die „blutigen Abenteuer der territorialen Expansion Somalias“ und betonte das Recht Äthiopiens, Hilfe zu erhalten, wenn es danach verlangt.
Kuba geht also ganz klar von einem revolutionären Prozeß in Äthiopien aus, den es unterstützt mit ziviler Hilfe, und falls von außen bedroht, auch mit militärischer Hilfe. (6)
Das hat Kuba vor der somalischen Invasion mehrfach deutlich gemacht. Somalia hat durch seine Aggression die wirtschaftlichen und politischen gemeinsamen Ziele verraten. Bis zum heutigen Tag ist Somalia totales Anhängsel der USA, der es Militärbasen zur Verfügung stellt. (7)
Der Eritrea-Konflikt
Wie es sich bereits in der Rede 1975 vor den Blockfreien widerspiegelt, hat Kuba mit dem Äthiopien-Eritrea-Konflikt bedeutend mehr Probleme. Teile der EPLF wurden in Kuba ausgebildet. Außerdem geht es nicht nur um Sezession, also um die eritreische nationale Revolution, sondern auch um die soziale Revolution. Dies wird ja durch die bewaffnete Auseinandersetzung und den unterschiedlichen Geldgebern der Befreiungsbewegungen ELF und EPLEF deutlich. Kuba geht davon aus, daß eine Abtrennung Eritreas die äthiopische Revolution gefährdet. 75 Prozent der Industrie sind in Eritrea konzentriert, aber lediglich 10 Prozent der äthiopischen Bevölkerung (30 Millionen) leben dort; neben politischen Gründen spielt außerdem der Meereszugang eine gewichtige Rolle bei der Verteidigung der "äthiopischen Souveränität", die in der Unversehrtheit des Staatsgebietes besteht. Diese Ansicht über das Schicksal der Revolution wird auch von einem führenden Mitglied der MEISON in einem Interview mit "le Monde" (8) bestätigt. Das Interview entstand nach dem Bruch der MEISON-Organisation mit dem DERG; obgleich er prinzipiell für das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Volkes ist, sprach er sich entschieden gegen eine Abtrennung Eritreas aus:
... weil bei der bestimmten internationalen Kräftekonstellation die Revolution insgesamt auf dem Spiel stehe. Diese Konstellation habe sich nach der äthiopischen Revolution am Horn von Afrika grundlegend geändert, und dabei sei die EPLF ganz unabhängig von ihren eigenen politischen Intentionen ins gegenrevolutionäre Lager gerückt und mache sich freiwillig zum Werkzeug imperialistischer Interessen. So kämpft die revolutionäre EPLF seit Februar 1975 in enger Zusammenarbeit mit der mehr islamisch-rechtsgerichteten, von Saudi-Arabien finanzierten ELF, (9) nachdem die Verhandlungen mit dem DERG gescheitert sind. Seitdem wird in Eritrea mit nie gekannter Härte gekämpft. Im Mai 1976 bietet der DERG vollständige regionale Autonomie an. Die Befreiungsfronten mißtrauen diesem Konzept und fordern weiter volle Souveränität.
Errungenschaften der äthiopischen Revolution! (10)
Für Kuba findet in Äthiopien eine sozialistische Revolution statt, deren Überleben erste Priorität hat. Unter der Parole "Äthiopien zuerst" wurden Lehrer und Studenten zur Alphabetisierung aufs Land geschickt, es wurde versucht, die verschiedenen ethnischen Gruppen zu vereinigen; die Aufhebung der Pachtverhältnisse und die Enteignung von Landbesitz zwecks kollektiver Bewirtschaftung, die Verstaatlichung von wichtigen Wirtschaftsbereichen und von Mehrfachhausbesitz sowie die Einsetzung von "Arbeiterräten" in verstaatlichte ausländische Gesellschaften gelten als Errungenschaften der Revolution, auf deren eigentlichen Charakter und Ablauf sowie die vielfältigen Widersprüche im Rahmen dieses Artikels nicht eingegangen werden kann. (11)
Mag sein, daß die Kubaner die immensen Schwierigkeiten einer sozialistischen Revolution in Afrika unterschätzen, wenn sie analysieren, daß es in Afrika keine Mittelklassen gibt, jene Mittelschichten, die in Lateinamerika nicht nur den Fortschritt verhindert haben, sondern auch eine Bastion des Faschismus sind, und deswegen Afrika direkt vom Tribalismus zum Sozialismus übergehen könne.
Kuba und die eritreische Frage
Die Kubaner befinden sich meiner Ansicht nach in der Eritrea-Frage in einem Dilemma; zwar teilen sie die Ziele der äthiopischen Regierung und stehen angesichts der internationalen Situation am Horn von Afrika zur Integrität des äthiopischen Staates, andererseits sträuben sich sich gegen eine militärische "Lösung", die aus strategischem Realismus heraus seit Anfang 1978 dazu führt, eine marxistisch-leninistische Befreiungsfront zu liquidieren. Im Mai 1978 behielten zwar die zwei Befreiungsbewegungen noch die militärische Initiative, aber die militärische Vorbereitung, an der nach Angaben von Le Monde (31. Mai 1978) auch kubanische Instrukteure/Soldaten beteiligt waren, für eine Gegenoffensive waren abgeschlossen. (12)
Die blockfreie Staatenorganisation, vor allem die Palästinenser, Algerien und Kuba machten einen letzten Versuch, den Konflikt anders zu regeln, aber die Ergebnisse dieses Drucks waren nur von kurzer Dauer: Die militärischen Operationen wurden kurze Zeit eingestellt, Kuba erneuerte Geheimkontakte mit den Rebellenführern, um sie zu Verhandlungen zu bewegen, und unternahm Initiativen zugunsten der MEISON, die bereits vom DERG als Verräter abqualifiziert wurden. Mengistu machte ein Amnestie- und Friedensangebot und erneuerte das Autonomieangebot - und es ist anzunehmen, daß dies auch mit auf den Druck Kubas zurückzuführen war.
Diese Initiativen schlugen fehl. Eritreer und Äthiopier setzten auf die militärische Lösung. Aber militärisch sind die Befreiungsfronten nur zu liquidieren, wenn man die Bevölkerung mit liquidiert, denn sie scheinen tief in der Bevölkerung verwurzelt zu sein.
Die Geschichte des Horns von Afrika ist noch nicht zu Ende, aber es erscheint mir fraglich, ob der Krieg in Äthiopien die äthiopische Revolution gerettet hat.
In einem Punkt hat sie sich diskreditiert. Es hat durch jahrzehntelangen Befreiungskampf eine Bewußtseinsentwicklung gegeben, nicht zuletzt mit der Erfahrung der Pseudoautonomie und dem äthiopischen repressiven Zentralismus unter Haile Selassie, der auch nach der Revolution die Opposition blutig verfolgte, die sich diesen Strukturen widersetzte. Der nationale Bewußtseinsprozeß eines Volkes ist ein Fakt, den keine Revolution ignorieren darf, auch wenn er Forderungen hervorbringt, wie nationale Souveränität, die historisch und im Hinblick auf den antiimperialistischen Kampf falsch sein könnten.
Der Sezessionskrieg hat den eritreischen und den äthiopischen Völkern bis heute irrsinnige menschliche und wirtschaftliche? Opfer gebracht. Und das sind Opfer, die kaum durch die "Kosten der sozialen und antiimperialistischen Revolution" zu rechtfertigen sind. Die Chancen einer politischen Lösung - wenn sie je bestanden haben - wurden zwischen 1975 und 1978 von beiden progressiven Seiten aus vertan. Im Rückblick gesehen wäre mit der sezessionistischen Lösung im Einvernehmen mit Äthiopien die antiimperialistische Front heutzutage sogar stärker.
Fakten, (13) wie sie beim Generalangriff auf Gebiete der EPLF im Dezember 1980 geschaffen wurden, brachten die Liquidierungspolitik Äthiopiens vielleicht ein Stück vorwärts, für die "proletarische Solidarität" ist diese Art der Konfliktlösung, wie es Algerien bereits 1978 fürchtete, fatal.!? Es wäre zu begrüßen, wenn Kuba die Eritrea-Politik Äthiopiens kritischer betrachten würde. Dies wäre kein "Verrat an der äthiopischen Revolution", sondern notwendiger Bestandteil einer - kritischen - internationalen Solidarität.
Anmerkungen:
1 Dies Referat wurde bei einer Debatte der FG in Bremen am 25. Mai ’81 diskutiert.
2 Aus einem Interview mit Fidel Castro von Barbara Walters. In Äthiopien kamen auf die 30 Mio. Menschen 125 Ärzte. Soviel Ärzte schickte Kuba allein nach der Revolution dorthin. Heute sind in Afrika zehn- bis fünfzehntausend zivile Spezialisten im Einsatz.
3+6 Colin/Legum, Cuba: The new communist power in Afrika, in: Contemporary Record, N.Y./London 1977, Vol. II, S. 47.
4 Chefredakteur L. Malley im Interview mit Fidel Castro, in: Afrique/Asie, Paris, 16. Mai 1977, Nr. 135.
5 Vgl. David Hamilton, Conflict Studies, April 1977, Nr. 82, S. 15.
7 Vgl. zur aktuellen Situation: Internationales Afrika Forum Nr. 1, 1981, 17. Jg., 1. Quartal, Europ. Institut f. wirtschaftl. u. soz. Fragen e.V.
8 1952 wurden Eritrea und Äthiopien durch die UNO in einer Föderation vereinigt. 1960 annektierte Äthiopien das Gebiet Eritreas, und die ELFC Eth. Liberation Front) nahm ihren Kampf auf. Ende der sechziger Jahre spaltete sich die EPLF (marx.-lenin.) von der ELF ab. Die ELF nahm 1977 sogar Verhandlungen mit multinationalen Konzernen auf (AGIP, Nippo Koei), was ihren Ruf nicht gerade verbessert. (Interview aus Le Monde, 17.9.1977)
9 A.a.O., David Hamilton.
10 Fischers Welt-Almanach 1978, Anhang.
11 Eine gute Klassenanalyse zu Äth. und Eritrea und eine Auseinandersetzung mit dem kubanischen Standpunkt (V. Vivo) brachte die holländische FG im Mai 1981 heraus. Zu beziehen bei: Venceremos, Minahassastraat 1, Amsterdam, NL.
12 Jean-Claude Guillebaud, Le Monde, 31. Mai 1978.
13 Täglich kostet der Krieg Äthiopien rund 400.000 Eth.-$, 1 US-$ = 2 Eth.-$, im Vergleich dazu: BSP pro Kopf: 1974 80 US-$, 1977 120 US-$.
Frank Bemmerlein, Bremen
CUBA LIBRE 3-1981