Kuba, Zentrum des Terrorismus?

Diese Frage erscheint zuerst als Diskussionsthema äußerst unergiebig, weil diejenigen, die obigen Satz mit Ausrufungszeichen schreiben, kaum zum Leserkreis des "cuba libre" gehören dürften. Weder die diversen Ausrufer der Reagan-Administration noch die Kommentatoren der FAZ sind wohl geeignete Identifikationsfiguren, denen man als aktiver Demokrat die "Terrorismusthese" abkauft. Trotzdem hat dieses Problem Aspekte, an denen auch die Meinungen von Mitgliedern der Freundschaftsgesellschaft auseinandergehen und wo eine offene Diskussion nützlich ist.

Für die US-Regierung ist die Sache eindeutig, jede demokratische und sozialistische Bewegung in Mittel- und Südamerika ist ein Resultat der Unterminierungsstrategie des Kommunismus, also der UdSSR und ihres geographisch günstig gelegenen Satelliten Kuba. Für Außenminister Haig ist der Befreiungskampf in El Salvador kubanisch inspiriert. Es gebe keinen Zweifel daran, daß Kuba die Quelle dafür sei. "Und es ist unsere Absicht, hier an die Quelle zu gehen." (FAZ, 2.3.1981). El Salvador wird für Reagan ein Testfall: "Hier soll offenbar gezeigt werden, daß Washington künftig der Bekämpfung des durch die Sowjetunion und deren Verbündete unterstützten Terrorismus in Mittel- und Lateinamerika den Vorrang gegenüber der Menschenrechtspolitik unter Carter gibt, ..." (FAZ, 16.2. 1981). Sehen wir davon ab, was hier wie in anderen Äußerungen mit der "Unterwanderung" herumgeheimnist wird, bleibt als konkreter Vorwurf die angeblichen Waffenlieferungen Kubas an die salvadorianische Befreiungsbewegung, angeblich, weil dies von Seiten Kubas dementiert wurde, angeblich auch, weil nach Ansicht des ehemaligen CIA-Mitarbeiters P. Agee die Dokumente, die die Waffenlieferungen belegen sollen, eindeutig die Handschrift des US-Geheimdienstes tragen. Die Anschuldigungen gegen Kuba (und natürlich auch die Befreiungsbewegungen) sind auch gar nicht auf sachliche Belege angewiesen, kann man doch mit Worten wie "kommunistische Unterwanderung" und "Terroristen" haltbare Vorurteile in breiten Bevölkerungsschichten ansprechen und auf diese Weise das Ziel erreichen: soziale und politische Bewegungen und Staaten diskreditieren und Abwehrmechanismen in Bewegung setzen.

Verbleiben wir noch ein wenig auf der Ebene der ideologischen „Offensive“ der US-Regierung und ihrer medialen Nachbeter, so erweist sich das Strickmuster als durchsichtig: Die USA und alle mit ihr verbündeten oder von ihr abhängigen Staaten vertreten die Idee der "Freiheit" und "Demokratie" der westlichen Welt gegen die kommunistische Ideologie der Unterdrückung. In großzügiger Umgehung der teilweise blutigen Perversion dieser Freiheit/Demokratie bläst man die inhaltsleeren Kategorien zur höchsten Errungenschaft der Menschheitsgeschichte auf, wobei es dann natürlich absolut unverständlich ist, daß es in vielen Ländern Volksbewegungen gibt, die sich diesen hehren Zielen offensichtlich nicht verbunden fühlen. Als Ausbund menschlicher Vernunft ist es für Reagan und Co. schier unmöglich, daß sich Menschen, vor die bekannte Alternative gestellt: "Freiheit oder Sozialismus", freiwillig für den Sozialismus entscheiden können. Dies kann nur durch äußere Einmischung und durch Terror geschehen, und schon ist der Feind erkannt: "Moskau will die Weltrevolution" (FAZ, 5.3.1981) und bedient sich bei diesem Plan des kubanischen Vasallen.

Als der Sprecher der "Katholischen Konferenz", Pater Hehir, vor dem amerikanischen Kongreßausschuß gegen eine amerikanische Waffenhilfe für die Junta in El Salvador sprach, weil man trotz Gegnerschaft zum kommunistischen Einfluß sehen müsse, daß diese "dort nicht auf derart fruchtbaren Boden (fallen würde), wenn nicht seit Jahrzehnten weitverbreitetes Unrecht und fundamentale Ungleichheiten bestünden ...", da meldete die FAZ: "Diese Erklärungen haben in Washington Aufsehen erregt ..." - woran sicherlich nicht allein die Schlichtheit der führenden Köpfe der USA Anteil hat, sondern vordringlich politisches Kalkül, daß in Legitimationsprobleme gerät, sobald man darauf hinweist, daß die eigentlichen Ursachen für die Entstehung und wachsende Stärke der Befreiungsbewegungen in den inneren sozialen und politischen Gegensätzen dieser Staaten liegen. Dieser Ausgangspunkt ist letztlich auch die Basis dafür, daß die Bewegungen, wie z.B. in Nikaragua und EI Salvador nicht einheitlich oder auch nur mehrheitlich marxistisch orientiert sind, sondern verschiedene ideologische und politische Richtungen vereinigen, die als gemeinsames Ziel die Überwindung politischer Unterdrückung und sozialen Elends haben.

Bis zu diesem Punkt der Betrachtung wird es kaum Widerspruch geben, das Problem beginnt dort, wo nicht von einer Notwendigkeit des "Imports der Revolution" ausgegangen, aber die Frage nach der Realität des "Exports der Revolution" gestellt wird - zur Debatte steht hier Kubas internationalistische Haltung: Ist Kuba Erfüllungsorgan sowjetischer Interessen? Ist es vertretbar, daß kubanische Soldaten in Angola und Äthiopien gekämpft haben und auch heute noch stationiert sind? Ist die Anwesenheit kubanischer Berater und Experten in Nikaragua nicht eine Einmischung in den nationalen Entwicklungsprozeß dieses Landes, um dort sicherzustellen, daß der Umwälzungsprozeß in den Sozialismus mündet?

Beginnen wir mit dem einfachsten, dem Problem, das der oben zitierte Pater Hehir eigentlich stellvertretend auch für viele Kräfte in der Bundesrepublik formuliert hat: Nutzen die Kommunisten, die Kubaner, das Elend in den Ländern Mittel- und Lateinamerikas aus? Die Sozialistische Internationale, SPD-Abgeordnete wie Roth und Voigt oder die FDP-Abgeordnete Schuchardt empfangen Abordnungen der FDR und der FNFM und zeigen Verständnis für den Kampf der Befreiungsorganisationen. Der schwedische Sozialdemokrat Schori spricht von einer Unverschämtheit, wenn die US-Regierung den Befreiungskrieg in El Salvador als kommunistisches Machwerk darstellt; denn die FDR vertrete eine sozialdemokratische Politik, die Front lasse sich zudem nicht zu einem Werkzeug des Kommunismus machen, ihre Triebfeder sei der Katholizismus (vgl. FAZ, 20.3. 1981). In dieser Äußerung wird das Problem auf den Punkt gebracht: Die positive Haltung der Sozialistischen Internationale und von Sozialdemokraten in der BRD, die nicht unbedingt dem linken Flügel zuzurechnen sind, basiert im wesentlichen auf der Einschätzung, daß die fortschrittlichen Kräfte in diesen Ländern mehrheitlich einen "dritten Weg" der sozialen und politischen Entwicklung eingeschlagen haben. Gleichzeitig wird an der Vorstellung festgehalten, daß der Kommunismus solche Bewegungen nur in "sein Werkzeug" zu verwandeln bestrebt sei, d.h., der demokratische Sozialismus wird als natürliches Produkt der Bewegungen angesehen, marxistische und kommunistische Politik ist dagegen nur von außen oktroyierbar. Ganz abgesehen von der offenen politischen Stoßrichtung, weist diese Position eine erstaunliche historische Kurzsichtigkeit auf. Die Geschichte der Arbeiterbewegungen der kapitalistischen Länder hat gezeigt, daß sich der Marxismus wie auch die sozialdemokratische Ideologie in den sozialen und politischen Kämpfen der Arbeiterbewegung selbst herausgebildet hat - Marxismus und Kommunismus sind originäres Produkt der gesellschaftlichen Widersprüche, und diese sind nicht gegensätzlich zu denen, die sich heute in den Ländern der sogenannten dritten Welt finden. Unter diesen Voraussetzungen wird die These der notwendigen Oktroierung des Marxismus zur schlechten Propaganda. Von außen kommt der Kommunismus auf anderer Ebene - die kubanische Revolution und ihre Errungenschaften sind lebendiges Beispiel für die Möglichkeiten, die dem Volk aus der sozialistischen Umwälzung erwachsen - , ein Beispiel, das materiell ein Vorbild für die Völker Amerikas ist und deshalb wirksamer als ebenfalls von außen kommende Strategievorschläge der Sozialistischen Internationale, die es zu einer realen gesellschaftlichen Verwirklichung ihrer Theorie bisher nicht gebracht hat und vielleicht die Chance sieht, in Nikaragua und El Salvador zu einem vorführbaren Modell zu kommen.

Gegen den Vorwurf, die kubanische Regierung würde politisch die marxistischen Kräfte unterstützen, braucht wohl nur soviel gesagt werden, daß die Unterstützung der sandinistischen Befreiungsbewegung und des ganzen Volkes von Nikaragua durch Kuba nicht danach gefragt hat, ob die Hilfe vornehmlich den Kommunisten dient, sondern darauf ausgerichtet war, dem Aufbau des Landes zu dienen.

Ein größeres Problem scheint die Frage des kubanischen "Satellitentums" (wenn dem so ist, heißt der erste kubanische Kosmonaut auch nicht Arnoldo Tamayo Mendez, sondern Fidel Castro Ruz). Eine Klärung, die von der Politik des Landes ausgeht, um das alle sozialistischen Länder kreisen sollen, der UdSSR, ist hier nicht möglich. Aus der Sicht Kubas heraus lassen sich genügend Argumente finden, um diese Parole ad absurdum zu führen: Aus der Sicht vieler bürgerlicher und pseudolinker Autoren ist schon der Eintritt Kubas in die sozialistische Entwicklungsetappe allein auf den Einfluß Moskaus zurückzuführen. Ignoriert wird, daß die Eigendynamik des Umwälzungsprozesses nach 1959 über das bürgerlich-demokratische Stadium hinaustrieb. Als dies offensichtlich wurde, begannen die imperialistischen Kräfte den Versuch, diese Entwicklung zurückzudrängen, mit Blockade und Diversion und Intervention. Daß in dieser Situation allein die sozialistischen Länder und die UdSSR Kuba Hilfe leisteten, spricht weder gegen Kuba noch diese Länder, sondern für das Prinzip des proletarischen Internationalismus. Die Eingebundenheit Kubas in das RGW-System hat bis heute entscheidend zur erfolgreichen Entwicklung der kubanischen Revolution beigetragen und dies nicht um den Preis der politischen Botmäßigkeit der kubanischen Regierung. Die Eigenständigkeit der kubanischen Politik spiegelt sich in allen Reden Fidel Castros, spiegelt sich auch in dem eigenständigen Herangehen an auftauchende Entwicklungsprobleme der kubanischen Gesellschaft (aus Platzgründen sei hier nur auf die Parteitagsbroschüre verwiesen, die hierfür eine Fülle von Beispielen liefert). Dies gilt ebenso für die Einschätzung internationaler Probleme. Hierzu ein Beispiel aus dem Bericht F. Castros an den 2. Parteitag. In bezug auf die Situation in Polen führt er schon im Dezember letzten Jahres aus: "Der Erfolg der Reaktion hat dort (in Polen) beredtes Zeugnis davon abgelegt, daß eine revolutionäre Partei, die sich an der Macht befindet, nicht von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus abweichen, die ideologische Arbeit vernachlässigen und sich von den Massen entfernen darf und daß, wenn die Zeit der Berichtigung kommt, dies nicht auf der Basis von Konzessionen für den inneren oder äußeren Klassenfeind geschehen darf." Eine offene, scharfe und die erste Kritik an der Entwicklung in Polen. Dieser Eigenständigkeit Kubas widerspricht nicht, daß die kubanische Regierung und Partei in fast allen Punkten mit der Außenpolitik der UdSSR übereinstimmt; denn es ist ein kurzsichtiges Mißverständnis, Eigenständigkeit nur bei Abgrenzung anzuerkennen. Dem Verhältnis Kubas zu den anderen sozialistischen Ländern liegen wesentliche Übereinstimmungen zugrunde, die mit der Gleichheit der ökonomischen Gesellschaftsformation beginnen und die Übereinstimmung der außenpolitischen Orientierung mit einschließen, also auch einschließen das Prinzip des proletarischen Internationalismus und die Ausrichtung der Außenpolitik an dem Prinzip der friedlichen Koexistenz. Friedliche Koexistenz heißt nicht, zugunsten eines Neutralismus die Unterstützung von Völkern, die gegen koloniale und nationale Unterdrückung kämpfen, aufzugeben. Die Solidarität, die demokratische und sozialistische Kräfte in unserem Land den Befreiungsbewegungen zukommen lassen‚ist auch die Solidarität Kubas. Entsprechend seinen Möglichkeiten kann Kuba weitergehende politische, materielle und auch militärische Hilfe leisten, Hilfe, die uneigennützig gegeben wird und für die in Kauf genommen wird, daß eigene Entwicklungsinteressen hinten angestellt werden müssen. Die engen Beziehungen Kubas zu allen demokratischen Kräften werden im Falle Angolas ergänzt durch die ethnischen Bindungen zwischen der Insel und Afrika. Die militärische Unterstützung der angolanischen Befreiungsbewegung hat geholfen, dieses Land auf den Weg einer eigenständigen, nationalen Entwicklung zu bringen, Nicht einmal dort, wo durch Militär direkter Druck hätte ausgeübt werden können, hat Kuba die politischen und nationalen Interessen Angolas ignoriert.

Kubas nationale Entwicklung und seine internationale Politik machen es bei unvoreingenommener Betrachtung unmöglich, hier ein Zentrum des Terrorismus zu sehen, eher ein Zentrum der solidarischen und uneigennützigen Hilfe. Obwohl - es gibt auf Kuba ein terroristisches Zentrum,einen Ableger des großen Zentrums der Reaktion: - Guantanamo.

CUBA LIBRE
Bodo Grimm

CUBA LIBRE 2-1981