Die Krokodilfarm

Scheinbar träge und schwerfällig liegen die Krokodile über- und nebeneinander im warmen Sand. Wenige haben vor der Mittagshitze Zuflucht im Wasser gesucht und ziehen gemächlich ihre Bahnen. Die Tiere, die Umgebung und die tropische Sonne Kubas vermitteln ein Bild der Ruhe und Friedlichkeit. Ein zusammengeknülltes Blatt Papier verändert die Situation blitzartig: In ein Rudel Krokodile geworfen, sieht man nur noch Zucken und Bewegungen - einzelne Tiere nicht mehr. Kurz darauf wieder die scheinbar apathische Ruhe.

Es kursieren viele Geschichten über Krokodile, die wenigsten sind wahr. Der angeblich so gefährliche Schlag mit dem Schwanz ist ungefährlich - mit den Zähnen kann ein Krokodil einen Menschen jedoch leicht töten. Angeblich sind Krokodile nur im Wasser gefährlich, auf dem Land behäbig. Tatsache ist hingegen, daß auf gerader Strecke ein Krokodil kurzfristig schneller als ein galoppierendes Pferd ist. Die nachgesagte Aggressivität der Krokodile – die stimmt. Auch ohne Hunger fallen sie Tiere und Menschen an, sogar eigene Artgenossen. Dies habe ich selbst gesehen, als einmal vor meinen Augen ein Krokodil gefangen wurde - dazu war ein Mann und eine Schlinge um die Schnauze notwendig. Drei weitere Männer aber hatten alle Hände voll zu tun, um mit langen Stangen die anderen Krokodile daran zu hindern, das gefangene Krokodil anzufallen. Immer wieder mußten sie zwischen die Augen der Tiere stoßen - die empfindlichste Stelle.

Diese Erfahrungen mit den gepanzerten Tieren erzählen mir bei einem Rundgang der Leiter der kubanischen Krokodilfarm, compañero Paulino Castillo Hernández und sein erster Mann auf der Farm, compañero Humberto Assugaray Alonso. Und diese beiden müssen es wissen, haben sie doch an die zwanzig Jahre tagtäglich mit Tausenden von Krokodilen zu tun, genauer gesagt, mit fünfzehntausend Tieren. Diese befinden sich auf der einzigartigen Krokodilfarm tief in der Halbinsel Ciénaga de Zapata, im Nordosten Kubas, in der Nähe der Schweinebucht.

Wozu dient eine solche Farm? Wissenschaftliche und ökonomische Gründe sind eng verbunden. Erhaltung und Studium der unterschiedlichen Arten sind ebenso Zweck wie die ökonomische Verwertung: Lebende Tiere werden an Zoos und wissenschaftliche Institute im In- und Ausland verkauft, ebenfalls ausgestopfte Tiere. Ihre Haut wird exportiert bzw. im Lande verarbeitet, das Fleisch ist ein hochbegehrter Leckerbissen, und selbst die Knochen und Zähne werden verarbeitet. Zu diesen Zwecken werden die Arten Rhombifer (eine nur in Kuba bekannte Art) und Acuto (heimisch in Südamerika und Südstaaten der USA) gehalten. Die erfolgreiche Kreuzung zwischen beiden Arten ergab Tiere mit besonders gut verwertbarer Haut. Von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung ist das Studium des Verhaltens der Tiere, darüber weiß man noch sehr wenig.

Die Farm entstand im April 1959, als Fidel Castro das Gebiet, eines der ärmsten Gegenden Kubas, besuchte. In den Sümpfen lebten damals unter unmenschlichen Bedingungen wenige Köhler und Krokodiljäger. Im Gespräch mit Humbertos Vater diskutierte Fidel Möglichkeiten der wirtschaftlichen Erschließung des Gebietes. Er hatte die Idee, Reis in den Sümpfen anzupflanzen, ließ sich jedoch von Humbertos Vater überzeugen, daß dies nicht sinnvoll sei. Dabei entstand die Idee der Krokodilfarm, die bereits am nächsten Tag mit dem Einfangen eines Krokodils in die Tat umgesetzt wurde. Es wurde in einem kleinen Becken mit einem wackeligen Holzzaun ausgesetzt. Durch weitere Fänge wurde der Bestand vergrößert.

Heute werden keine Tiere mehr in den umliegenden Sümpfen gefangen, obwohl dort noch Tausende frei leben. Der Ausbau des Tierbestandes erfolgt durch Züchtung. Ein Krokodil kann zwischen 30 und 60 Eier legen, die sofort den Muttertieren weggenommen werden - die Eier werden von den Tieren als Leckerbissen geschätzt. Die täglich eingesammelten Eier werden im Sand vergraben, die Sonne steuert die nötige Brutwärme bei. Nach drei Monaten schlüpfen die bereits 25 bis 30 cm langen Jungtiere aus den Schalen. Sie können sich vom ersten Tag an selbständig ernähren, und sind auch sofort aggressiv. Die Tiere einer Altersstufe werden in Kleintiergehegen gehalten, erst wenn sie wesentlich älter als ein Jahr sind, werden sie in das große Gehege verlegt.

Gefüttert werden die Panzerechsen mit Resten aus Schlachthöfen sowie Fischen, kleine Tiere erhalten spezielles Kraftfutter. Zwischen fünf und sechs Kilogramm kann ein erwachsenes Tier auf einmal verschlingen, manche schaffen sogar bis zu zehn Kilogramm. Danach zieht es sich jedoch zur Verdauung für vier bis fünf Tage zurück und rührt derweilen nichts an. So entwickeln sich die Tiere bis zum siebten Lebensjahr, das optimale Alter für die Verwertung der Haut. Wer dieses Alter überschreitet, kann sicher sein, ein langes und geruhsames Leben auf der Farm zu führen – Krokodile können über 100 Jahre alt werden. Mit zunehmendem Alter entwickeln sich Eigenarten und Persönlichkeit, bis zu persönlichen Beziehungen zu den 13 Menschen, die sich ständig um die Tiere kümmern. Einige Tiere erhalten sogar Namen, so auch "Barbazul", Blaubart. Obwohl ein männliches Krokodil, übertraf er viele weibliche Krokodile an Aggressivität, und manche seiner Ehefrauen überlebte die Flitterwochen nicht. Mit zunehmendem Alter wurde er ein immer größerer Raufbold, da mußte er selbst dran glauben.

Es gibt also viel Interessantes zusehen und zu hören, einen Besuch sollte man nicht auslassen. Vorsicht ist aber geboten, damit es einem nicht so ergeht wie dem Touristen aus der Bundesrepublik Deutschland. Er sah ein kleines Krokodil, wollte das "süße kleine Tierchen" einmal streicheln. Im Krankenhaus mußte eine tiefe Wunde im Bein behandelt werden.

CUBA LIBRE
Horst-Eckart Gross ist Vorsitzender der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

CUBA LIBRE 1-1981