Eindrücke vom 2. Parteitag der PCC in Havanna
Der 2. Parteitag der PCC im Dezember in Havanna hat ein weltweites Echo gefunden. Dafür sind mehrere Gründe bestimmend. Zunächst befinden sich die Völker Mittelamerikas in einem revolutionären Aufschwung und die Haltung Kubas zu diesem Prozeß ist von allgemeinem Interesse. In den USA ist die Reagan-Administration an den Schalthebeln der Macht, und die ersten Äußerungen des neuen Präsidenten an die Adresse der mittelamerikanischen Staaten machen die Verschärfung der Lage in dieser Region überdeutlich. Zum anderen stellte sich die Frage: Wie hat die kubanische Revolution die Ereignisse aus dem April des vergangenen Jahres, als weit über 100.000 Kubaner das Land verließen, verkraftet? Und schließlich hatte der Parteitag Antwort darauf zu geben, wie sich die innere Entwicklung der kubanischen Gesellschaft in den nächsten Jahren vollziehen wird.
Als Delegierter aus der Bundesrepublik, der das Glück hatte, an diesem Kongreß teilzunehmen, beeindruckte mich der tiefe Internationalismus dieses Parteitages. 147 Delegationen aus allen Teilen der Welt, dazu Beobachter westeuropäischer Sozialdemokraten, gaben dem Ereignis den internationalen Rahmen. Doch noch mehr als dieser Rahmen beeindruckte das große Ansehen der kubanischen Revolution und der PCC bei den Befreiungsbewegungen Lateinamerikas, Afrikas und Asiens. Ganz im Gegensatz zu der veröffentlichten bürgerlichen Meinung in unseren Breitengraden, die von einem ständigen Prestigeverlust Kubas in der Dritten Welt faselt, sprachen die Vertreter Lateinamerikas, Afrikas, des Nahen Ostens und Südostasiens von der großen Rolle, die Kuba für ihren jeweiligen Befreiungskampf hat. Neben den vielen technischen und wissenschaftlichen Hilfskräften, die Kuba in viele Länder Afrikas und Lateinamerikas entsandte und entsendet, standen in Angola und Äthiopien 100.000 kubanische Internationalisten mit der Waffe in der Hand an der Seite der antiimperialistischen Volkskräfte. "Wir würden über solche Selbstverständlichkeiten des Internationalismus nicht reden, aber wir sind es unseren toten Internationalisten schuldig", sagte Fidel Castro vor dem Parteitag. Es ist die Selbstlosigkeit dieser Solidarität, die in der Dritten Welt die moralische Stärke Kubas ausmacht. Und was dabei besonders auffällt, die PCC steht auf "konsequenten Positionen des proletarischen Internationalismus und, genau die setzen sich immer stärker in den um ihre Befreiung kämpfenden Völkern durch."
Die Lage in Mittelamerika ist durch die verstärkte Aggression der USA zugunsten der mordenden Junta in El Salvador enorm verschärft. Nach den Siegen in Nikaragua und Grenada, nach dem Anwachsen den Befreiungsbewegungen in vielen anderen Ländern dieser Region, nachdem nun die kubanische Revolution dem US-Imperialismus über zwei Jahrzehnte die Stirn bietet - versuchen die äußersten Rechtskräfte um Reagan der Konterrevolution mit allen Mitteln der Brutalität den Weg zu ebenen. Die FAZ vom 2. Februar: "Die kubanisch-sowjetische Durchdringung des karibischen Raumes hat Ausmaße angenommen, die die amerikanische Macht herausfordern. Für amerikanisches Empfinden gehören diese Reizzonen gewissermaßen noch zu den eigenen Eingeweiden. Den Gedanken, nicht an den Symptomen zu kurieren, sondern eine Operation am nahen Zentrum des Übels vorzunehmen, an Kuba, hat Kissinger schon 1976 geäußert." Der Parteitag der PCC sagte ganz klar, es ist mit einer US-amerikanischen Aggression im Mittelmeerraum zu rechnen, direkt oder indirekt gegen Kuba gerichtet. Darum beschloß der 2. Parteitag die Aufstellung einer Territorialmiliz, die neben der Armee, auf freiwilliger Basis jedem Kubaner, der nicht im wehrfähigen Alter ist, die Möglichkeit gibt, mit der Waffe in der Hand sein Land zu verteidigen. Für uns, die antiimperialistischen Kräfte in der Bundesrepublik, erwächst aus der Bedrohung durch die USA in der Karibik die Verpflichtung, alles zur Entfachung einer breiten Solidaritätsbewegung mit den Völkern Mittelamerikas zu unternehmen. Wie blutig oder unblutig der nicht mehr aufzuhaltende Befreiungsprozeß in dieser Region verläuft, hängt auch von uns ab.
Vor diesem Hintergrund bot Kuba im Dezember ein Bild der Einheit, der Entschlossenheit, der totalen Verbindung zwischen Partei, Führung und Volk. Auf meine Frage, warum denn die Revolution nicht jenen wieder die Rückkehr gestatte, die im April das Land verließen und nun von den USA enttäuscht sind, sagte mir Jaime Crombet, Mitglied des ZK der PCC: "Wir können das zur Zeit unserem Volk nicht zumuten. Wer unser Land, unsere Revolution, unsere Freiheit verraten hat; wer zu den Feinden überlief, zu jenen, die unsere lateinamerikanischen Brüder in El Salvador abschlachten; wer unsere Ideale für eine Kaugummikultur einzutauschen bereit war, den können wir hier nicht mehr ertragen. Wie das in späteren Jahren wird, das kann sich ergeben."
Das war nicht nur die Meinung eines Funktionärs, das ist die Meinung des Mannes auf der Straße in Kuba. Das Volk war noch nie so geschlossen, so einheitlich im Willen und Handeln wie gegenwärtig. Und Fidel Castro nannte die Ereignisse im April vergangenen Jahres "einen großen Sieg des Volkes".
Was die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Landes angeht, so darf man nie vergessen, daß dieses Volk jetzt seit über zwei Jahrzehnten nur mit einer Hand arbeiten kann, weil es in der anderen das Gewehr trägt. Die Ergebnisse des 1. Fünfjahrplans können sich sehen lassen. 4 Prozent Wirtschaftswachstum, trotz Rostpilz im Zucker, trotz Blauschimmel im Tabak, trotz Schweinepest in zwei Ostprovinzen, trotz sinkendem Zuckerpreis auf dem kapitalistischen Weltmarkt. Aber der Parteitag nannte nicht nur objektive Gründe für das Nichterreichen der geplanten Wachstumsziffer von 6 Prozent. Auch subjektive Faktoren wurden angesprochen. Noch ungenügendes Verständnis für die Planwirtschaft, noch nicht effektivste Abstimmung der Pläne zwischen den Betrieben, Kreisen und Provinzen. Noch vorhandene Bürokratie. Dennoch, das Land hat sich erfolgreich entwickelt, die durchschnittliche Lebenserwartung des Kubaners liegt jetzt bei 73 Jahren, Sicherung des Arbeitsplatzes, der Ausbildung, der gesundheitlichen Versorgung, hohe Leistungen in Kultur und Bildung, die Bilanz war positiv.
Was den Ausblick auf die kommende Periode angeht, so hat man sich ein Wachstum von 5 Prozent vorgenommen. Den weiteren Ausbau der Zuckerindustrie, deren Mechanisierung in der Ernte schon jetzt 47 Prozent beträgt. Neben dem wirtschaftlichen Schwerpunkt Zucker sollen weitere traditionelle landwirtschaftliche Produkte wie Zitrus, Kaffee, Tabak, die Fleischproduktion erheblich ausgeweitet werden. Besondere Zuwachsraten weist der Fischfang auf. Nächst der Landwirtschaft soll der metallurgische Komplex erweitert werden. Kuba wird sich vom Rohstofflieferanten, Nickelerz und Kobalt, zum Exporteur veredelter Produkte entwickeln. Walzwerke, Kombinate sind geplant oder im Bau. Die Zementproduktion wird rasch erhöht. 200.000 neue Wohnungen sind geplant. Was die Versorgung der Bevölkerung angeht, so sollen 900 neue Waren in Zusammenarbeit mit den RGW-Ländern auf den Binnenmarkt kommen. Die Rationierung soll in den nächsten fünf Jahren aufgehoben werden. Leistungslohn, Preisreform, wirtschaftliche Rechnungsführung der Betriebe werden obligatorisch.
Das Fazit des gegenwärtigen Alltags in Kuba läßt sich frei nach Bertolt Brecht so nennen, nach den Mühen der Berge, kommen die Mühen der Ebene. Das Volk in Kuba lebt gewiß nicht im Überfluß, aber es lebt in Freiheit, in Würde, überzeugt von den eigenen Idealen, und dieses Volk vollbringt Tag für Tag große Leistungen. Die Revolution auf Kuba ist unumkehrbar. (cuba libre wird in einer Sonderausgabe den Text des Rechenschaftsberichts, den Fidel Castro vor dem 2. Parteitag abgab, übersetzt veröffentlichen.)
Fritz Noll ist Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der
Freundschaftsgesellschaft BRD -Kuba
CUBA LIBRE 1-1981