Reiseeindrücke aus Grenada

Treffen mit Präsident Bishop

Die Ankunft in Grenada - nach Jamaika, Trinidad oder Haiti geht einem das Wort Paradies leicht über die Lippen. Keine lärmerfüllten zersiedelten Städte mit verslumten Vierteln wie in Kingston und Port of Spain, keine abgeholzten, kahlen Berge wie in Haiti; keine Kriminalität wie fast überall in der Karibik. Die Grand Anse Beach, einer der schönsten Strände der Welt, kann man getrost nachts entlang wandern. Die Warnung des "South American Handbook" (Ausgabe 1978) vor Räubern und Dieben ist von der Zeit, oder besser von der Revolution eingeholt worden, die hier im März 1979 über die Bühne gegangen ist. Abgelöst wurde der selbsternannte "Sir" Eric Gairy, der sich weniger wegen seiner Regierungskünste einen Namen gemacht hatte als vielmehr durch seine Unmenschlichkeit, astrologischen Kenntnisse und die vielen Ufos, die er über Grenada gesehen hatte.

Aber muß es denn immer gleich eine Revolution sein? Touristen, auch welche, die sich selbst als progressiv einschätzten, warnten uns vor politischen Gesprächen. Spitzel seien überall, ins Gefängnis komme man schneller hinein als heraus. Sie meinten es gewiß gut mit uns, ahnten aber nicht, daß sie Opfer einer breit angelegten Destabilisierungskampagne geworden waren. Oder möchten Sie mit Neckermann Urlaub auf einer Insel machen, auf der bald sowjetische Raketen stehen? Die "Bunte" berichtete im Juni 1979, geheimnisvolle Besucher aus Kuba und SU seien in Grenada gewesen. Nordamerikanische Spionage-Flugzeuge hätten ausgedehnte Rodungen im Urwald gesehen, die durch Straßen miteinander verbunden worden wären. Das sei Bildern ähnlich, wie sie auf Kuba 1962 zu beobachten gewesen seien, als Fidel der Stationierung sowjetischer Raketen zugestimmt hatte. Derartige Informationen werden auf höchster geheimdienstlicher oder diplomatischer Ebene gehandelt sollten sie tatsächlich wahr sein (bei den Rodungen handelt es sich allerdings um landwirtschaftliche Nutzflächen, wie uns Ministerpräsident Maurice Bishop in einem Interview erklärte). Wie kommt ein Reporter der "Bunten" an sie heran? Ist er vielleicht selbst Agent, etwa der CIA?

Unser Ziel war es, uns über die Entwicklung in der Karibik zu informieren, eine Region, in der sich der Wind gedreht hat. Dazu gehörte auch ein Gespräch mit dem Regierungschef. Der Weg zu ihm war nicht gerade mit Hindernissen gepflastert, er muß sich sehr sicher fühlen. Das Regierungsgebäude war eine Baustelle, deren Bild von Maurerfäusten und Preßlufthämmern bestimmt wurde. Einige Minuten warten, dann nimmt uns Carrol Lowes in Empfang, die Pressesprecherin von Maurice Bishop und wenig später sitzen wir ihm selbst gegenüber.

Der Premierminister - ein Riese von Gestalt, sportliche Hose, kurzärmeliges Hemd - macht es uns leicht, anfängliche Schwellenangst zu überwinden, was Wunder auch in einem Staat, in dem sich die Bürger mit Brother und Sister anreden.

Die Zahlen, die uns Bishop nennt, haben etwas Faszinierendes an sich, ebenso die Entwicklungsstrategie, die er uns skizziert. Vor der Regierungsübernahme z.B. gab es für die 110.000 Einwohner ganze 17 Ärzte, heute sind es 17 mehr. Die Hinzugekommenen tragen spanische Namen - es sind Kubaner. Kinder unter fünf Jahren erhalten kostenlos Milch, Kinder in der Grundschule kostenloses Essen. Eine ausgeglichene Ernährung ist die Grundlage erfolgreichen Lernens, und eine Stabilisierung der Revolution geht über den Kopf und nicht über den Magen. Maurice Bishop zu uns: "Ein Volk kann nicht tatsächlich frei sein, wenn 25 Prozent nicht lesen und schreiben können." Die Frage nach dem politischen System einer sozialistischen Republik Grenada läßt sich nach einem Jahr Revolution wohl nur schwer beantworten. Nur so viel: Das Westminster-Modell hält der Premier für überlebt und nicht anwendbar auf die Kleinstaaten der Karibik. Zur Demokratie westlichen Musters: "Wissen Sie, für fünf Sekunden ist man alle fünf Jahre ein Demokrat und für den Rest der Zeit hält man den Mund." Als Ziel seiner Politik nennt er die Teilhabe der Bevölkerung an den Entscheidungen, die auf der Ebene der Gemeinden und Städte, der Kooperativen, der Erziehung und der Gesundheit anstehen. Damit sind wir bei einem anderen Thema: der Wirtschaft. Hier wird es drei Sektoren geben: einen staatlichen (er kümmert sich um das Fischereiwesen und die Agroindustrie - beides ist mit kubanischer Hilfe im Entstehen -, um den Tourismus und den Außenhandel), einen privaten (Einzelhandel, Handwerk) und einen kooperativen (vor allem in der Landwirtschaft).

Eine solche Entwicklung im Hinterhof der USA, in deren "Mare Nostrum", muß in Washington Hektik auslösen - und das nach Kuba und Nikaragua, wobei die Zukunft El Salvadors sowie der Antillen-Inseln St. Lucia und Dominica auch nichts Gutes für die USA verheißt. Die Vereinigten Staaten versuchen, das Rad der Geschichte auf zweierlei Arten anzuhalten, wenn nicht sogar zurückzudrehen: Auf militärische mit der Bildung einer speziellen Eingreiftruppe für die Karibik und auf wirtschaftlich-ideologische durch Destabilisierungsmaßnahmen. Eine Meldung aus der "FR" vom 29. April: Die Informationsministerin von Grenada "kritisierte auch Präsident Carter wegen seiner Haltung gegenüber den neuen Regierungen in Nikaragua und Grenada. Carter habe die Revolution in beiden Ländern als ‚Umkehr des normalen politischen Prozesses bezeichnet und damit die ehemaligen Diktaturen dort gerechtfertigt". Maurice Bishop weiß also, aus welcher Richtung der Wind weht. Auf unsere Frage, ob er keine Angst vor einer Konterrevolution habe: "Wir werden jede Konterrevolution zerschlagen. Wir haben keine ‚Angst, was das Persönliche betrifft. Wir meinen aber, daß sich unser Land nur in einer Atmosphäre von Frieden und Stabilität entwickeln kann. Deshalb haben wir keine Angst, daß irgendein Versuch der Konterrevolution vorankommen könnte."

CUBA LIBRE
Heinz Pohlmann

CUBA LIBRE 2-1980