Über die Hintergründe der sogenannten Kuba-Krisen.
Vor den Küsten Kubas operiert ein besonderer Verband der US-Streitkräfte, der auf Beschluß Carters im August 1979 formiert wurde. Zu der "Eingreiftruppe Karibik" gehören mit den in Guantanamo stationierten US-Soldaten über 20.000 "Marines", Ledernacken also mit Vietnamerfahrung. Zur "Eingreiftruppe Karibik" gehören die "Todesengel" des Vietnammassakers, die B 52. Was da in der karibischen See und im Golf von Mexiko aufmarschiert, ist jene Armada, die auf Befehl Carters Kanonenbootpolitik im zentralamerikanischen Raum praktiziert.
Die Seemanöver haben aggressiven Charakter, sie sollen Kuba herausfordern, sie sollen die revolutionären Prozesse in dieser Hemisphäre einschüchtern, sollen Konterrevolutionen provozieren und initiieren. Nun ist die Geschichte der von den USA inszenierten Anschläge gegen Kuba so alt wie die Revolution des kubanischen Volkes selbst: 21 Jahre. Seit über zwei Jahrzehnten verfolgt der Imperialismus das kubanische Modell mit abgrundtiefem Haß. Kein Mittel war den Regierungen der USA schäbig und hinterhältig genug, um nicht gegen das revolutionäre Kuba eingesetzt zu werden. Nur einige Stationen:
1961 landet in der Playa Giron, der Schweinebucht, eine Invasionsarmee aus konterrevolutionären Elementen, aus CIA-Agenten. Mit ausdrücklicher Billigung des damaligen US-Präsidenten Kennedy. Die ‚Eroberer‘ im Dienste der United-Fruit-Company werden vernichtend geschlagen. Der ClA bedient sich darauf mehrfach der Mafia und dingt Mörder an, die Castro töten sollen. Auch in diesem Geschäft waren die "ehrenwerten" Politiker aus dem Weißen Haus mit von der Partie. Übrigens nicht sonderlich verwunderlich, wenn man daran denkt, daß der Vizepräsident Agnew ein gewöhnlicher Krimineller war und Nixon um das Gefängnis nur deshalb herumkam, weil Carter seine Hand über ihn hielt. Und schließlich sei daran erinnert, daß auch die in unserem Lande so hoch gerühmte Großagrarierin und Mutter des gegenwärtigen Präsidenten, Lilian Carter, für eine Million Dollar einen Killer anheuern wollte, der Khomeni umlegen sollte. Chikago 1930 gehört längst zum Stil der "westlichen Führungsmacht".
Doch zurück zur Moral der Washingtoner Hausherren und ihren Komplotts gegen Kuba. Als alles nicht zum Sturz Castros führte, beschloß man im Weißen Haus, Millionen Kubanern das Leben zur Hölle zu machen, ihnen durch Hunger und Entbehrungen den Sozialismus auszutreiben. Man beschloß die Wirtschafts- und Handelsblockade. Sie existiert nunmehr seit 19 Jahren.
Die künstlich geschürten "Kuba-Krisen", erinnert sei an die "Raketen-Krise", erinnert sei an die "Krise" um die sowjetische "Kampfbrigade", wenige Tage vor Beginn der Vl. Gipfelkonferenz der nichtpaktgebundenen Staaten im September 1979 in Havanna - auch das gehört zum psychologischen Krieg, den die USA gegen Kuba führen. Und natürlich die Kampagne, die seit dem 1. April dieses Jahres gegen Kuba angelaufen ist. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß ausgerechnet die USA, die gegen mexikanische Einwanderungswillige mit tausend Kilometer Zaun, mit schußbereiten Zivilgardisten, mit Menschenjagd vorgehen, daß diese USA jetzt kubanische Auswanderer kampagnenartig über die Straß von Florida locken. Noch dazu aus einem Land, das jeden gehen läßt, der über ein gültiges Einreisevisum eines Landes seiner Wahl verfügt. Aber genau diese Einreisevisa wurden Kubanern über lange Zeit von den USA verwehrt. Selbst 1979 amnestierte Schweinebuchtagenten mit US-Paß, ja solche, die direkt im Sold des CIA standen, waren der Regierung in Washington unerwünscht. Vielmehr erhielten nicht wenige von ihnen den Auftrag, im Lande, in Kuba also, "tätig" zu werden. Die Aktionen in der peruanischen Botschaft von Havanna im April und die Aktionen vor der US-Mission im Mai, die Bootpeople vor Miami - das alles zeigt die Symptome einer von langer Hand vorbereiteten Kampagne, die, wie man an der Reaktion von weit über 90 Prozent der kubanischen Bevölkerung spürt, das Volk nur noch enger um die Ideale der Revolution zusammenschweißt.
Natürlich erhebt sich die Frage, wo liegen die Hintergründe für die neue Strategie der USA in der lateinamerikanischen Hemisphäre? Und weiter ist zu fragen, ob denn die USA die Initiative in diesem Raum in die Hand bekommen haben, ob sie denn in der Offensive sind?
Das Gegenteil ist der Fall. Mit dem Sturz der Somozadiktatur in Nikaragua, der ältesten Diktatur Lateinamerikas, wurde der Block der reaktionären Regimes in Mittelamerika zutiefst erschüttert. Das imperialistische Herrschaftssystem der USA in dieser Region ist ernsthaft in Frage gestellt. Zugleich nimmt die demokratische und revolutionäre Bewegung in Mittelamerika einen bislang nicht gekannten Aufschwung. Dafür spricht die Entwicklung in EI Salvador. Das proimperialistische Romeroregime wurde beseitigt. Und die jetzt dort herrschenden Kräfte müssen sich vor dem anwachsenden revolutionären Volkszorn mit Manöver, mit blutiger Unterdrückung verteidigen. Aber auch in Guatemala und Honduras werden die Herrschenden durch revolutionäre Erschütterungen aufgeschreckt.
Auf der kleinen Karibikinsel Grenada wurde das US-hörige Garyregime beseitigt. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Bishop verfolgt einen fortschrittlichen politischen Kurs. Auch auf Dominica und Santa Lucia haben sich progressive Veränderungen vollzogen. Die Regierungen von Guyana und Jamaika verteidigen ihre politische und ökonomische Unabhängigkeit.
Seit Oktober 1979 wurde die Karibikinsel St. Vincent unabhängig. Immer energischer fordert das puertorikanische Volk die Beendigung des Kolonialstatus. In Ekuador wurde das Militärregime durch eine zivil gewählte Regierung abgelöst. Präsident Roldos schlägt einen nationalistisch orientierten Kurs ein. In Mexiko konnte die Kommunistische Partei nach mehreren Jahrzehnten der Illegalität und Halblegalität 1979 erstmalig legal an Wahlen teilnehmen und zog mit 19 Abgeordneten in das Parlament ein.
Aber auch auf dem südamerikanischen Kontinent sind proimperalistische Positionen ins Wanken geraten. So wurde in Bolivien die faschistische Militärdiktatur beseitigt. Die seit 1971 verbotenen Parteien und Gewerkschaften gewinnen zunehmend an Einfluß. So ging 1979 die "Demokratische Volksunion" (UDP), die auf Initiative der Kommunisten Boliviens gegründet wurde, bei Wahlen als stärkste politische Kraft hervor. Jüngste Putschversuche reaktionärer Militärs scheiterten an der UPD.
In Peru stellen die linken Parteien ein Drittel der Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung. In den faschistischen Regimen von Brasilien, Argentinien, Uruguay hat der soziale und demokratische Kampf durch Massenstreiks einen Aufschwung genommen, und die scheinbar stabil erscheinenden Diktaturen unterliegen Erosionserscheinungen. Schließlich errang die demokratische Bewegung Brasiliens einen großen Erfolg, denn nach 15 Jahren des Exils kehrten die Führer der verbotenen Oppositionsparteien nach Brasilien zurück. Darunter der legendäre Führer der brasilianischen Kommunisten, Carlos Prestes.
Auch das blutige Pinochetregime in Chile vermag nur noch durch brutalsten Terror seine mörderische Macht zu behaupten. Der Widerstand im Lande wächst, die sozialen Spannungen erreichen den Siedepunkt, die faschistische Junta ist total isoliert.
Wir können festhalten: Zu Beginn der achtziger Jahre erlebt Lateinamerika einen neuen revolutionären Aufschwung. Oder um es mit den Worten des chilenischen Kommunisten Volodia Teitelboim zu sagen: "Wir erleben eine dynamische Linkswendung in Richtung auf politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt." Man kann davon sprechen, daß die Lateinamerikaner ein neues nationales Selbstbewußtsein entwickeln.
Zu Beginn der siebziger Jahre ging schon einmal eine Welle der nationalen Erhebung über den Kontinent. Ausgelöst durch Kuba, durch das historische Programm der Regierung der Unidad Popular in Chile, durch fortschrittliche Reformen in Peru, Bolivien, Ekuador und Panama. Der Imperialismus antwortete mit einer konterrevolutionären Offensive. Die Blutspur dieses Kurses Washingtons ist bekannt. Demokratisch gewählte Regierungen wie in Chile wurden gewaltsam gestürzt. Bürgerliche Verfassungen solcher Länder wie Uruguay wurden wie ein Fetzen Papier zerrissen. Faschistischer Terror wurde zum Schrecken Lateinamerikas. Und in der endlosen Reihe der Opfer dieses Terrors stehen solche Namen wie Salvador Allende, Victor Jara, General Carlos Prats, Orlando Letelier, Juan Jose Torres und Bischof Romero. Ziel der konterrevolutionären Offensive war die Zerschlagung der revolutionären Bewegung um in diesem Teil der Welt eine langfristige Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten des Imperialismus und der mit ihm verbündeten lateinamerikanischen Oligarchien durchzusetzen.
Wie die Bilanz zu Beginn des neuen Jahrzehnts beweist, ist diese Rechnung nicht aufgegangen. Die 330 Millionen Lateinamerikaner – übrigens ist jeder zweite Lateinamerikaner jünger als 20 Jahre - wollen Bildung, Arbeit, nationale Unabhängigkeit, Freiheit und Selbstbestimmung. Und genau diese Errungenschaften des kubanischen Volkes markieren den Wendepunkt in der Geschichte dieses Kontinents. Die kubanische Revolution beeinflußte in zunehmendem Maße alle gesellschaftlichen Prozesse in Lateinamerika auf die eine oder andere Art. Und gerade weil die Erfolge Kubas unter denkbar schwierigen Bedingungen erkämpft wurden, sind sie für die Völker Lateinamerikas doppelt überzeugend.
Gewiß, zur Zeit versucht der US-Imperialismus eine zweite Welle der Konterrevolution zu starten. Er bedient sich dabei der Kanonenbootpolitik, der haßerfüllten Kampagnen und er bedient sich der westeuropäischen Satelliten des Weißen Hauses. Darum die haßerfüllten Kommentare in der bundesdeutschen Presse. Darum die Hoffnung der Bourgeoisie dieses Landes, Castro möge am Ende sein. Aber sie irren sich. Weder Castro ist am Ende noch die revolutionäre Bewegung auf diesem Kontinent.
Ganz im Gegenteil. Die neue konterrevolutionäre Offensive des Imperialismus in Lateinamerika geht von schwächeren Positionen aus, als die von vor zehn Jahren. Daß sie nicht ungefährlich ist, davon zeugt die Armada der USA in der Karibik. Darum sind alle Demokraten, alle antiimperialistischen Kräfte unseres Landes, alle, die sich den Idealen des Internationalismus verschrieben haben, aufgefordert zur Solidarität. Mit Kuba, mit Nikaragua, mit El Salvador, mit allen Völkern Lateinamerikas.
Fritz Noll
CUBA LIBRE 2-1980