Vorurteile verdecken die Wahrheit
CDU-Sprecher Günther Henrich witterte einen Skandal. REPORT-Moderator Franz Alt wußte es dann schon ganz genau: Für die von der "Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba" in einer ersten Stellungnahme des Büros ‚gewählte Formel, bei den Kubanern auf dem Gelände der Botschaft Perus in Havanna handele es sich "durchweg um Asoziale und Kriminelle",- sei niemand anders verantwortlich als ich.
Macht nichts, daß ich, als das Büro der Freundschaftsgesellschaft die Erklärung verbreitete, mich gar nicht in der Bundesrepublik befand, daß die Erklärung keine Unterschrift trug, daß sie auch nicht im Namen des Vorstandes abgegeben wurde, daß der vorgedruckte Briefbogen mich lediglich als Vorstandsmitglied auswies: Die Erklärung mußte herhalten, um einen "Fall Thüsing" zu konstruieren.
Auch ich kritisiere die in der Erklärung gewählten Formeln; auch die Kubaner selbst haben nicht von "Asozialen", sondern von "antigesellschaftlichen Kräften" gesprochen. Doch unverkennbar ist, daß die Ereignisse in Havanna vielen gerade recht kamen, um hämisch festzustellen, nun habe sich "das Castro-Regime entlarvt".
Mit der Wahrheit ging man dabei großzügig um. Vorurteile waren wichtiger als beispielsweise die Erklärungen der Regierung Kubas oder die Berichte von Augenzeugen.
Dabei sind die Vorgänge leicht zu durchschauen. Sieben Kubaner hatten sich unlängst gewaltsam Zugang zur Botschaft Perus verschafft, wohl in der Hoffnung, daß ihnen Peru eine Einreise gestatten würde. (Das war auch in der Vergangenheit schon geschehen. Daraufhin hatte seinerzeit Peru von den Kubanern eine Bewachung der Botschaft verlangt.) Weil bei dem Gewaltakt ein kubanischer Wachposten erschossen worden war, zog die Regierung Kubas die Bewachung zurück. Die kubanische Tageszeitung "Granma" schrieb, die Tat sei wie alle Botschaftsbesetzungen kriminell gewesen, aber niemand werde gehindert, die Botschaft Perus wie auch die anderer Länder, die in der Regel nicht bewacht sind. zu betreten und das Land zu verlassen, wenn eine Einreisegenehmigung vorgelegt werde.
Fidel Castro erklärte: "Die historische Aufgabe, eine Revolution zu machen und den Sozialismus aufzubauen, ist absolut freiwillig."
Im Glauben, Peru werde ohne weiteres die Ausreise gestatten, kamen daraufhin einige tausend Menschen auf das Gelände der Botschaft. Die Zahlenangaben, und zwar auch die in den Berichten westlicher Beobachter, schwanken zwischen 3.000 und 10.000.
Für Kenner Kubas passierte nichts Überraschendes. Natürlich gibt es in einer Millionenstadt wie Havanna einige tausend, die aus unterschiedlichen Gründen, und darunter natürlich auch ehrenhaften, unzufrieden sind, die glauben, ihr Glück anderswo machen zu können, die sich außerhalb von Kuba ein anderes und besseres Leben versprechen; schließlich ist Kuba nach wie vor ein Entwicklungsland; harte Arbeit wird gefordert. Pflanzenkrankheiten und Wirbelstürme haben im letzten Jahr einen Großteil des Zuckerrohrs und fast die gesamte Tabakernte vernichtet; Versorgungsengpässe waren die Folge. Kubas Engagement in Afrika und die großzügige Hilfe für das vom Krieg verwüstete Nicaragua und andere Länder Lateinamerikas kosten Arbeitskraft und Geld.
Das Kommerzfernsehen und der Rundfunk der USA, die auf Kuba empfangen werden können, zeigen nicht die Millionen im Elend der Slums amerikanischer Großstädte, sondern eine Welt unbeschwerten Konsums. Seit etwa zwei Jahren erlaubt Kuba auch Verwandtenbesuche der über fünfhunderttausend Kubaner, die meist in den ersten Jahren nach dem Sieg der Revolution Kuba in die Vereinigten Staaten verlassen durften.
Die Einstellungen dieser US-Kubaner sind eine Herausforderung für das Wertsystem Kubas, insbesondere für die Jugend, für die es selbstverständlich geworden ist, daß kein Kubaner mehr hungert, daß es für jeden Arbeit gibt, daß jedes Kind zur Schule geht, es eine gute medizinische Versorgung gibt und die die Zeit der Diktatur und des Massenelends nicht mehr erlebt hat. Außerdem, das stellte die Regierung Kubas ausdrücklich fest, gibt es Kubaner, "die aus ideologischen Gründen nicht mit der Revolution und dem (kubanischen) Sozialismus übereinstimmen".
Was also hier von interessierten Meinungsmachern und Politikern als "Bankrott Kubas" propagiert und eingesponnen wird in eine Kampagne gegen Sozialdemokraten, die in Freundschaftsgesellschaften dafür eintreten, daß sich Menschen verschiedener Länder und verschiedener gesellschaftlicher und politischer Systeme kennenlernen, ist ein leicht durchschaubares Manöver.
Es soll dennoch dem Pressesprecher der CDU nicht genommen werden, im "Sturm auf die Botschaft Perus" ein "anrührendes Zeichen der Sehnsucht nach materieller und geistiger Freiheit" (in dieser Reihenfolge!) zu sehen. In den Slums von Lima wird mancher Kubaner, der jetzt unbedingt heraus will, bald anders denken.
Die Innenminister der Bundesrepublik haben sich am vergangenen Wochenende bereit erklärt, 400 der ausreisewilligen Kubaner aufzunehmen. Diese Entscheidung könnte unkommentiert bleiben, wenn nicht um die Einreise jedes einzelnen politischen Gefangenen aus faschistischen und Militärdiktaturen wie Argentinien, Uruguay und Chile, wegen regelmäßig erhobener Sicherheitsbedenken gerungen werden müßte. Die Innenminister handeln offensichtlich nach dem Grundsatz: Wer aus einem kommunistischen Staat heraus will, ist in jedem Fall ein Demokrat, wer als politischer Gefangener aus einer Militärdiktatur heraus möchte, aber steht im Verdacht, ein gefährlicher Umstürzler zu sein. Das Demokratiebild einiger Innenminister bedarf offenbar dringend der Aufklärung im Sinne des Grundgesetzes.
Klaus Thüsing, MdB
Stellvertretendes Mitglied des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit
CUBA LIBRE 2-1980