Eben noch schlug tropischer Regen auf Havanna. Jetzt stehen wir – eine Million – auf dem Platz der Revolution. Castro redet. Ein Revolutionär, den viele verstehen, auch wenn sie nicht spanisch sprechen: "Krieg dem Krieg fordern die Jugendlichen der Welt!
Die Kriegstreiber werden nicht durchkommen.
Die Fürsprecher, die die Welt in eine nukleare Katastrophe treiben wollen, anstatt sich der Idee der von jeglicher Ausbeutung befreiten Menschen und Völker zu beugen, werden nicht durchkommen.
Die Abenteurer, die die Welt in eine nukleare Katastrophe treiben wollen, werden nicht durchkommen..." Castro spricht über eines der zentralen Themen dieses Festivals, den Kampf um den Frieden.
Tausende Fahnen wehen, Sprechchöre springen über den Platz, ergreifen Kubaner und Delegierte aus aller Welt. Castro: "Die vielen Teilnehmer, die trotz des strömenden Regens, der bis vor einigen Minuten niederging, trotz der Feierlichkeiten, die bis zum Morgengrauen andauerten, zusammengekommen sind – dieses vereinte, edle und begeisterte Volk, das hier mit euch jungen Delegierten des Festivals vereint ist, sagte euch, daß es eure Hoffnungen teilt." In dieser Rede auf der großen Abschlußveranstaltung der XI. Weltfestspiele der Jugend und Studenten faßt Fidel die Erfahrungen der Delegierten aus aller Welt zusammen.
Zehn Tage zuvor war zum ersten Mal ein Jumbo-Jet der Lufthansa in Havanna mit 340 Delegierten der Bundesrepublik Deutschland gelandet. 46 Jugend- und Studentenorganisationen waren aus unserem Land vertreten Sowjetische und Maschinen aus der DDR bestimmen das Bild, weiter hinten steht eine Maschine der jungen Luftflotte Angolas. Trotz des frühen Morgens ist die Luft bereits feucht und warm. Der offene und herzliche Empfang der Kubaner überwindet unsere erste Beklommenheit. Eine Band spielt heiße Rumba-Rhythmen über dem Flughafenportal. Deutschsprechende Betreuer stehen bereit. Jedem wird die Hand geschüttelt, wohlvertraut mit deutschen Sitten. Sie reichen Getränke. Einige Mitglieder der Naturfreundejugend stimmen ein Lied an: "Auf nach Havanna", erst vorsichtig, dann singen alle, das Lied erfüllt die Ankunftshalle des Flughafens.
Auf der Fahrt zum Quartier sehen wir: Kuba ist ein grünes Land. Alles wächst schnell und üppig im subtropischen Klima. Am Straßenrand stehen Kubaner, winken und rufen. Begeisterung, die langsam auch die eher kühlen Delegierten unseres Landes erreicht. Vom Bus sehen wir überall Baustellen, viele neue Wohnsiedlungen und Schulen, Lastwagen aus den sozialistischen Ländern. Zwei Vertreter der Beamtenjugend, CDU-Mitglieder, unterhalten sich: "Mit Bahro kriegen wir hier keinen Boden unter die Füße." Sie haben recht behalten.
Wir erreichen unser Quartier, die Lehrerfortbildungsstätte José Martí. Wieder spielt eine Band. Platten mit Speisen, Getränke stehen bereit. Es wird die erste große Begegnung mit kubanischer Gastfreundschaft, die dieses Festival begleiten wird.
Professoren putzen Toiletten und Waschräume
An dieser Schule werden sonst 2.500 Studenten als Grundschullehrer ausgebildet. Zirka zwei solcher Ausbildungsstätten gibt es in jeder Provinz. Die Studenten leben fünfeinhalb Tage der Woche in der Schule. Die Ausbildung ist kostenlos, ebenfalls Lehrmittel, Kleidung, Unterkunft, Essen und die Teilnahme an Kultur- und Freizeitaktivitäten.
Die Betreuung der Gäste vom Kochen über das Putzen der Toiletten und Waschräume bis hin zum Wechseln und Waschen der Bettwäsche, haben die Professoren und Studenten der Schule übernommen. Der Dienst für die Gäste sei ihnen eine Ehre, erklären sie.
"Jugend der Welt, Kuba ist euer zuhause!" - Diese Losung klebt nicht nur überall an den Wänden, sondern wir erfahren sie täglich im Umgang mit den Menschen. Kaum gehen wir in den kleinen Ort neben unserem Quartier, umringen uns Kinder, die Unterschriften der Festivaldelegierten sammeln. Nur 25 Jahre zuvor hätten viele von ihnen als Strichjungen oder Dirnen der US-Bourgeoisie bei ihren Wochenendtrips nach Havanna zur Verfügung gestanden. Wer diese gesunden und ernährten Kinder sieht und aus dem Fernsehen, aus Zeitschriften oder eigener Erfahrung weiß, unter welchen Bedingungen Kinder in den Elendsvierteln Brasiliens oder Boliviens hausen, trainiert zur Unmenschlichkeit, begreift, was die kubanische Revolution dem Menschen gebracht hat. Und das erzählen die Kubaner jedem. Viele von uns fragen nach dem Weg und werden in die Wohnung eingeladen. Nachbarn versammeln sich. Alle diskutieren gemeinsam mit Händen, Füßen und internationalen Sprachbrocken. Über die kubanische Revolution und die Klassenkämpfe der Welt. Ein junger Mann, der in Angola gekämpft hat, erzählt, er sei zu jung gewesen, um aktiv an der kubanischen Revolution teilnehmen zu können, darum habe er sich nach Angola gemeldet. Er sei auch genommen worden, obwohl sich viel mehr Freiwillige gemeldet hätten. Das sei praktische internationale Solidarität und habe eine lange Tradition in der internationalen Arbeiterbewegung. Er zitiert Castro, der am Tage zuvor anläßlich des 25. Jahrestages des Sturms auf die Moncada gesprochen und auf die Traditionen der internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg verwiesen hatte (siehe auch S. 36 in dieser Ausgabe).
Solidarität vereint die Jugend aus aller Welt
So werden auch bei der Eröffnungsveranstaltung die Delegierten aus Angola, Mozambique, Namibia und Zimbabwe, die Vertreter der jungen Nationalstaaten und Befreiungsbewegungen von den Kubanern mit großem Beifall begrüßt, eine Demonstration der Solidarität mit dem Kampf der Völker des südlichen Afrika. Diese Solidarität verbindet die Jugend der Welt, das können Delegierte an diesem Tage im Lateinamerikastadion von Havanna erleben und fühlen. Ja, fühlen, als die Delegation Chiles einmarschierte, Kubaner und Gäste sich erhoben und die Kraft der Solidarität demonstrierten, die auch die Pinochet-Junta überwinden wird.
Dieses Thema bestimmt auch die Eröffnungszeremonie. 1.200 Schulkinder und 1.200 Studenten der Militärschulen spielen ein Sportbild unter den folgenden Leitsätzen:
"Für die Jugend der Welt ist Zukunft Solidarität, Internationalismus. In diesem Geiste müssen die neuen Generationen erzogen werden mit dem Wissen, daß sie ein Teil der großen Menschenfamilie sind, über alle Grenzen hinweg."
Flankiert von den Soldaten, folgen kreative Spielszenen der Kinder nach dem Liede: "Ich möchte ein Sportler sein."
Späte im Bus kritisieren einige Jungsozialisten, daß Kinder und Soldaten gemeinsam auftreten. Sicher, wir kommen aus einem Land, dessen Armee zweimal über ihre Nachbarn herfiel und ihnen Leid und Zerstörung brachte. Noch heute pflegt die Bundeswehr die Traditionen der Hitlerarmee. Das kubanische Volk ist stolz auf seine Armee. Ihre Soldaten sichern die Freiheit, stehen in der Tradition des Kampfes gegen Unterdrücker und Faschisten. Und kämpfen noch heute an der Seite derer, die Kolonialismus und Neokolonialismus beseitigen werden. Ohne die bewaffnete Volksarmee wäre die konterrevolutionäre Landung der CIA-Truppen in der Schweinebucht erfolgreich gewesen.
Das große Thema dieses Festivals ist der Kampf um Frieden und Abrüstung, die Sorge, daß die Politik vor allem der US-Regierung die erreichten Positionen internationaler Entspannung gefährdet. Während der Eröffnungsfeier spielen 1.470 Studenten der "Präsident-Allende-Lehrerausbildung" ein Bild nach den Leitworten:
"Wir kämpfen für eine Welt ohne Krieg.
Mit unserem Kampf schaffen wir den freien Himmel,
wo die Taube fliegen kann,
ohne vom imperialistischen Adler aufgehalten, verfolgt oder verletzt zu werden.
Tauge der Welt, gerecht, unteilbar, ersehnt.
Du bist nicht ohne Schutz.
Wir setzen uns ein,
um auf der Welt Platz für Dich zu schaffen."
Franz Sommerfeld
Rote Blätter, September 1978
Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba - Informationen
Oktober 1978