In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres hat die kubanische Regierung einen spektakulären Wandel in ihrer Politik gegenüber den nach der Revolution von 1959 ins Ausland geflüchteten Bürgern Kubas vollzogen.
In kürzester Frist wurde durch die Aufnahme des Dialogs mit den Exilkubanern unter anderem die Freilassung von ca. 3.600 Gefangenen (das sind mehr als 80% aller wegen konterrevolutionärer Vergehen in Haft befindlichen Personen) ausgehandelt.
Das erste Signal für einen Umschwung in der kubanischen Politik wurde durch die Reise von 55 exilkubanischen Jugendlichen aus den USA und Puerto Rico im Dezember 1977 nach Kuba gesetzt. Während ihres Aufenthaltes arbeiteten die Mitglieder dieser "Brigada Antonio Maceo" im Bausektor des Landes und es kam auch zu einem Gespräch mit Fidel Castro.
Anläßlich einer Pressekonferenz, zu der die kubanische Regierung eine Reihe exilkubanischer Journalisten nach Havanna eingeladen hatte, machte Castro am 6, September 1978 das öffentliche Angebot zu einem Dialog mit Repräsentanten der "kubanischen Gemeinschaft im Ausland", Er erklärte, daß einerseits die unumkehrbare Konsolidierung der Revolution, andererseits die Beendigung der Unterstützung für terroristische Gruppen der Exilkubaner durch die US-Regierung seit Carters Amtsantritt ausschlaggebend für diese Entscheidung gewesen seien, Gleichzeitig machte Castro deutlich, daß weder amerikanische Regierungsvertreter, Regie noch überzeugte Konterrevolutionäre unter den Exilierten als Gesprächspartner in Frage kämen. Er gab bekannt, daß schon inoffizielle Kontakte zu einzelnen Persönlichkeiten bestünden und Ende August der US-Regierung eine erste Liste mit 48 Namen zur Erteilung der Einreiseerlaubnis zugestellt worden sei. Am 20./21. Oktober 1978 kam es schließlich zu ersten Gesprächen mit einer sechsköpfigen Delegation der kubanischen Kolonie in Miami (Florida), wo die meisten Exilkubaner leben. Den Rückflug trat diese Delegation schon zusammen mit den ersten 46 Ausreisewilligen (Gefangene und Ex-Häftlinge) an.
Genau einen Monat später, am 20./21. November, wurden die Gespräche auf einer breiteren Basis mit 75 Vertretern von Exilkubanern aus den USA, Puerto Rico, Venezuela, Spanien und Panama fortgesetzt und am 8. Dezember - mit einer auf 140 Personen erweiterten Zahl von Repräsentanten des Exils - vorläufig abgeschlossen.
Ergebnis dieser Verhandlungen waren bindende Abmachungen zu drei wichtigen Themenkomplexen:
- Die Regierung Kubas erklärte ihre Bereitschaft, ca. 3.000 Häftlinge, die noch wegen konterrevolutionärer Vergehen einsitzen, sowie deren nächste Angehörige in ein Land ihrer Wahl ausreisen zu lassen, wenn sie dies möchten. Das gleiche gilt für ca. 600 Personen, die aufgrund des Versuchs, das Land illegal zu verlassen, verurteilt wurden. Eine Sonderregelung legt fest, daß alle weiblichen Häftlinge (insgesamt ohnehin nur ca. 50 Personen) entlassen werden, während von den männlichen diejenigen in Haft bleiben, die entweder aufgrund von Verbrechen während der Batista-Diktatur, oder aufgrund terroristischer Aktivitäten nach dem Sieg der Revolution verurteilt worden sind.
Das Recht auf Ausreise gilt auch für alle ehemaligen Häftlinge, die früher einmal wegen der gleichen Vergehen bestraft wurden. Als Minimalkontingent wurde die Freilassung von 400 Gefangenen pro Monat festgelegt.
Diese Zahl ergibt sich durch die Weigerung der USA, monatlich mehr als 400 aufzunehmen. Anfänglich bestand sogar eine monatliche Höchstzahl von nur 25 pro Monat und Fidel gab auf einer Pressekonferenz bekannt, daß die US-Regierung das erste Angebot Kubas zur Freilassung von zunächst 48 Häftlingen fast drei Monate lang (!) verschleppt habe, bis für die letzten die Einwanderungserlaubnis erteilt wurde. Es muß für die Freigelassenen mehr als desillusionierend sein zu erfahren, daß sie inzwischen für die USA ungeliebte Übrigbleibsel der gescheiterten Politik früherer Präsidenten geworden sind - und dies trotz aller verbalen Kraftmeierei Carters für diese Gefangenen. Erst heftige Proteste der Exilkubaner und der mahnende Hinweis Castros, die USA trügen für die nun Freigelassenen eine historische Verantwortung führten dazu, daß das Kontingent auf 400 erhöht wurde - mehr seien "immigrationspolizeilich" im Monat nicht zu verkraften...Anzumerken bleibt noch, daß eine klare Antwort der US-Regierung zur Einreiseerlaubnis der Ex-Häftlinge noch aussteht. Das jetzige Angebot bezieht sich nur auf bis heute inhaftierte Personen.
- Zum Problem der Familienzusammenführung wurde festgelegt, daß Kubaner, die nahe Angehörige im Ausland haben (als nahe Angehörige gelten Ehepartner und minderjährige sowie behinderte Kinder), ausreisen können, wenn sie wollen. Eine Rückreise von Angehörigen nach Kuba selbst ist bisher nicht vorgesehen.
- Bezüglich der Reisemöglichkeiten von Exilkubanern in ihre alte Heimat einigte man sich darauf, daß ab Januar 1979 Anträge für Touristenreisen gestellt werden können. Zunächst wird es im allgemeinen nur Gruppenreisen geben, Ausnahmen sollen bei Personen gemacht werden, die ausreichende humanitäre Gründe für individuelle Besuche geltend machen können.
Neben diesen drei Bereichen, zu denen konkrete Beschlüsse gefaßt wurden, brachten die Vertreter der Exilkubaner noch eine Reihe anderer Fragen in die Gespräche ein, Unter anderem ging es um die Möglichkeiten für Kubaner im Ausland, Mitglied von kubanischen Massenorganisationen zu werden, um eine mögliche Teilnahme von Kindern an Pionierlagern auf der Insel und Studienmöglichkeiten für die Älteren. Darüberhinaus wurde das Problem der Repatriierung aufgeworfen. Die kubanische Regierung hat sich bereit erklärt, alle diese Vorschläge zu prüfen und den Dialog in Zukunft weiterzuführen.
Die Repräsentanten der Exilkubaner haben übrigens inzwischen eine feste Organisation ins Leben gerufen. Vorsitzender des aus 18 Mitgliedern bestehenden Koordinationskomittees ist der Baptistenpfarrer José Reyes aus Palm Springs. Interessant ist, daß ein Unterausschuß sich vor allem um den Kontakt zur US-Regierung kümmert und in diesem Rahmen Carter aufgefordert wurde, die Wirtschaftsblockade gegen Kuba endlich aufzuheben.
Hieran wird auch deutlich, daß Kuba aus diesem Schritt der Freilassung von Häftlingen Nutzen ziehen kann. Zum einen wird Carters Menschenrechtskampagne aller Wind aus den Segeln genommen und zum anderen die exilkubanische Kolonie nachhaltig gespalten. Während ein kleiner Rest sich nach wie vor auf einen Kampf gegen die Revolution versteift hat und verzweifelt versucht, den schwindenden Einfluß durch Terrorakte gegen kubanische Einrichtungen im Ausland zu kompensieren, hat die Mehrheit offenbar den Kurswechsel und die Gespräche begrüßt. Sie verwandelt sich nun womöglich in eine pressure group für zentrale Forderungen der kubanischen Regierung gegenüber der US-Administration. Bleibt abzuwarten, wie Carter versuchen wird, sich aus dieser Zwickmühle herauszuwinden.
Inzwischen sind jedenfalls die ersten Gruppen Freigelassener in den USA angekommen und nach westlichen Agenturmeldungen sind auch einige in Venezuela eingetroffen. Die USA sollte es, nebenbei bemerkt, nachdenklich stimmen, daß von den ersten 400 nach Angaben Castros nur knapp 100 den Wunsch geäußert haben, das Land zu verlassen, Der "Rest" möchte nach der Freilassung in Kuba bleiben - schwer vorstellbar angesichts der katastrophalen Haftbedingungen, von denen die bürgerlichen Medien immer zu berichten wissen...
Angemerkt werden soll auch noch, daß ca. 100 Gefangene sich geweigert haben, die Aufnahme des Dialogs und das Programm zur Begnadigung zu unterstützen. Castro erklärte dazu auf einer Pressekonferenz, daß Kuba kein Interesse an "freiwilligen Häftlingen" habe und auch diese Gruppe, soweit sie unter die Amnestie fallen, freigelassen werde. Es hat den Anschein, daß diese nun einer "zwangsweisen Amnestierung" anheimfallenden Gefangenen immer noch davon träumen, irgendwann einmal von US-Marines befreit zu werden, Auch Kuba hat offensichtlich seine "Ewig Gestrigen".
Daß die westlichen Presseagenturen und Massenmedien diesen begrüßenswerten Wandel der kubanischen Politik der im übrigen ohne jede Vorleistung erfolgte und erklärtermaßen als humanitärer Beitrag zur Verständigung unter Kubanern verstanden werden will, somit auch von den USA keine Gegenleistung im Nachhinein verlangt, so gut wie verschwiegen hat, mag zum einen daran liegen, daß man das bisherige Lieblingsthema der bürgerlichen Presse, die Mär von Zehntausenden politischer Gefangener, noch ein paar Monate über die Runden zu retten versucht. Den Vogel dieser Art der Berichterstattung schoß kürzlich wieder einmal die "Neue Zürcher Zeitung" ab, als ein Korrespondent namens R.F.L. in einem Artikel zwar nicht umhin konnte, von der Amnestie zu berichten, im gleichen Atemzug aber wiederum von einem "tropischen GULAG" Neues zu melden wußte.
Ausschlaggebend für das vornehme Schweigen unserer Presse dürfte jedoch sein, daß sich durch die kubanische Initiative die Carter’sche "Menschenrechtspolitik" einmal mehr als eine Kanone erwiesen hat, die pausenlos Rohrkrepierer, zuwege bringt - wenn sie nicht gerade nach hinten los geht. Vor dem Hintergrund der Tatsachen, daß auf der einen Seite keiner der Menschenrechtskämpfer aus Carters Stab an der Amnestie für die kubanischen Häftlinge mitwirken konnte (und es somit auch nichts auf dem propagandistischen Erfolgskonto der USA zu verbuchen gibt), auf der anderen Seite erst die Änderung der inhumanen Einwanderungsbestimmungen der USA von den angeblichen Menschenrechtsverletzern angemahnt werden mußte, sollte man Carter vielleicht empfehlen, zunächst einmal gleichzuziehen und die politischen Gefangenen der USA zu amnestieren. Vielleicht würde solche Art der Eigenwerbung der nach Nicaragua, Iran und und... arg lädierten "Menschenrechtskampagne" ein wenig auf die Beine helfen. Überfällig ist ein solches "Kehren vor der eigenen Tür" schließlich schon seit Jahren.
31.1.1979
Freundschaftsgesellschaft BRD-Cuba, Informationsdienst Nr. 12 / 2-1979