Der Marxismus-Leninismus und die kubanische Revolution

Fidel Castro Ruz, Erster Sekretär des ZK der KP Kubas, Vorsitzender des Staatsrates und des Ministerrates der Republik Kuba

Im Januar 1979 jährt sich zum 20. Male der Tag des Sieges der kubanischen Revolution, die ein kleines halbkoloniales Land in das erste freie Territorium Amerikas verwandelte, wo erfolgreich die neue, sozialistische Gesellschaft aufgebaut wird. Am Vorabend des ruhmreichen Jahrestages kam ein Korrespondent der Zeitschrift, Luis Padilla, Mitglied des ZK der KP Boliviens, in Havanna mit Genossen Fidel Castro zusammen.

Fidel Castro interessierte sich für die Tätigkeit und die Struktur der Zeitschrift, für ihre Verbreitung in der Welt und insbesondere in der westlichen Hemisphäre. Er würdigte die großen Erfolge der Zeitschrift in den 20 Jahren ihres Bestehens und erklärte, die KP Kubas werde auch weiterhin darum bemüht sein, die Verbreitung der Zeitschrift und die Erhöhung ihres Einflusses zu fördern. Erörtert wurde die Möglichkeit der Herausgabe der Zeitschrift in Kuba.

Nachstehend veröffentlichen wir in etwas gekürzter Form den Wortlaut des Interviews mit Fidel Castro.


Frage: Genosse Fidel Castro, ein Thema, das in unserer Zeitschrift oft behandelt wird, ist das im Lichte des Marxismus-Leninismus gesehene Verhältnis zwischen den spezifischen Entwicklungsbedingungen eines Landes und den Gesetzmäßigkeiten des historischen Prozesses. Was besagen hierzu die Erfahrungen Kubas?

Antwort: Ich kann sagen (und das ist meine tiefe Überzeugung), daß wir die Revolution nicht vollbracht hätten, wenn wir in unserem Kampf nicht von den Leitsätzen des Marxismus-Leninismus ausgegangen wären. Ich meine, daß diese Leitsätze universeller Natur sind. Die Aufgabe einer jeden revolutionären Gruppe, einer jeden wahrhaft revolutionären Kraft besteht gerade darin, sie richtig zu interpretieren und auf die konkreten Bedingungen eines jeden Landes anzuwenden. Und natürlich kann von der Preisgabe dieser Leitsätze gar keine Rede sein. Wir haben die Bedeutung des Marxismus-Leninismus niemals bestritten.

Bekanntlich muß ein Revolutionär bestimmte Eigenschaften besitzen, darunter vor allem Auflehnung gegen die bestehende ungerechte Ordnung, Rebellengeist und Gerechtigkeitssinn. Aber das ist noch nicht alles, denn nur die revolutionäre Theorie macht den Menschen ’zum Revolutionär. In unseren: und konkret in meinem Falle ist das gerade so gewesen. Gerade die revolutionäre Theorie, gepaart mit einem Charakter und mit Eigenschaften bestimmten Typs, hat aus mir einen Revolutionär gemacht. Und dafür werde ich dem Marxismus-Leninismus ewig dankbar sein.

Ich bin Zeuge, wie sich die marxistisch-leninistischen:Ideen im Verlauf dieser 20 Jahre immer weiter über alle Kontinente ausgebreitet haben. Und heute gibt es in der sogenannten dritten Welt - und nicht nur in den entwickelten kapitalistischen Ländern - keine einzige fortschrittliche Bewegung, keinen einzigen fortschrittlich denkenden Menschen, die in ihrem Kampf nicht die Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus berücksichtigen würden. Ich darf sogar mit Bestimmtheit sagen, daß der Marxismus-Leninismus die auf unserem Planeten am weitesten verbreitete Lehre ist. Es ist bereits eine Tatsache, daß unzählige Menschen, selbst Angehörige der Bourgeoisie, seinen wissenschaftlichen Wert anerkennen. Dabei werden die einen progressiv gesinnten Politiker in dieser Hinsicht konsequenter und andere weniger konsequent sein. Aber die Realität von heute ist so, daß die Ideen des Marxismus-Leninismus in der Welt weit verbreitet sind.

Wenn wir in Kuba bei unserer Analyse nicht von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus ausgegangen wären, hätten wir sicherlich niemals die Revolution vollbringen können. Das ist das Wichtigste, was ich hervorheben möchte. Ich bin zutiefst überzeugt, daß wir ohne die gediegene theoretische Vorbereitung nicht imstande gewesen wären, die richtige und siegbringende strategische Linie zu umreißen. Ohne die theoretische Basis hätten wir vielleicht zu demokratischen, progressiven, nicht aber zu revolutionären Ideen gelangen können. Ohne die revolutionäre Strategie hätten wir in unserem Lande nicht die tiefgreifenden sozialen Umgestaltungen vollzogen, hätten wir uns niemals von der imperialistischen Herrschaft befreit.

Frage: Sie sind gerade auf die Verbreitung und Interpretation der marxistisch-leninistischen Lehre eingegangen...

Antwort: Wie mir scheint, sollte man von der Anwendung des Marxismus-Leninismus, nicht aber von seiner Interpretation sprechen. Bekanntlich genießen unzählige Menschen die Früchte jener großen Umwälzung in der Wissenschaft von der Gesellschaft, wie sie der Marxismus-Leninismus ist; bisweilen bedienen sich sogar die Feinde seiner Werte und suchen sie gegen die Revolution auszunutzen.

Ich glaube, man kann und muß den Marxismus-Leninismus als Anleitung zum Handeln interpretieren und anwenden, aber man darf sein Wesen nicht preisgeben. Wer sein Wesen ablehnt, ist kein Marxist-Leninist und Revolutionär mehr. Insgesamt kann man sagen, daß die heutigen progressiven Bewegungen der "dritten Welt" zum Marxismus-Leninismus tendieren.

Uns Kubanern hat das Leben selbst bewiesen, daß man diese Lehre interpretieren und auf die konkreten Bedingungen anwenden muß, aber auf keines seiner allgemeiner Prinzipien verzichten, keines preisgeben darf. Und wenn wir in dieser Hinsicht nicht fest, wenn wir nicht konsequent gewesen wären, sondern auf das, was das Wesen dieser Prinzipien ausmacht, verzichtet, wenn wir auch nur eines dieser Prinzipien preisgegeben hätten, so hätten wir die Revolution nicht vollzogen, hätten wir diese 20 Jahre nicht durchstehen, der Blockade und der imperialistischen Aggression nicht standhalten können.

Gerade die Anwendung dieser Prinzipien hat uns zur Erringung der revolutionären Macht geführt. Und das war schon damals klar, als wir noch nicht den Akzent auf die sozialistischen Ideale legten, als wir noch nicht vom Marxismus-Leninismus sprachen. In der Periode unseres Kampfes gegen die Tyrannei, des Kampfes für die Errichtung der revolutionären Macht haben wir keine sozialistischen Ziele gestellt, sondern uns an eine fortschrittliche Plattform gehalten, wie es das Moncada-Programm war, das man heute als das Programm der nationalen Befreiungsrevolution, der demokratischen und der Volksrevolution bezeichnen kann. Unserer Ansicht nach durfte man unter den Bedingungen Kubas jener Zeit nicht vom Sozialismus als nächstem Ziel sprechen. Dieses Ziel konnte man theoretisch stellen, wie das die existierenden marxistischen Vereinigungen und die marxistische Organisation - die Sozialistische Volkspartei - getan haben. Aber diese Organisation, die unter den Bedingungen des kalten Krieges, der imperialistischen Herrschaft in unserem Lande wirkte, hatte wenig Chancen, die Mehrheit des Volkes zugewinnen und die gewaltigen Schwierigkeiten zu überwinden, die der sozialistischen Revolution im Wege standen.

Mit anderen Worten, gerade der Bewegung des 26. Juli gelang es, die tiefe Unzufriedenheit des Volkes, die Auflehnung gegen die bestehende Ordnung, gegen Armut und Elend in die erforderlichen Bahnen zu lenken, noch bevor die Massen politisches Bewußtsein erlangt und sich eine bestimmte politische Kultur angeeignet hatten. Man darf nicht vergessen, daß Kuba eine amerikanische Halbkolonie war, wo alle Massenmedien unter Kontrolle des Imperialismus und der Reaktion standen, denen es gelungen war, die marxistisch-leninistische Partei bis zu einem gewissen Grade zu isolieren.

Im Lande gab es eine gewaltige Masse von Menschen, die zwar irregeführt, politisch desorientiert, aber zugleich unzufrieden, grausam ausgebeutet, mit der bestehenden Lage nicht einverstanden und zum Kampf bereit waren. Es war, so meine ich, ein Verdienst der Bewegung des 26. Juli, daß es ihr gelang, in sich die Hoffnungen dieser Menschen zu vereinen, die zwar kein ausreichend entwickeltes politisches Bewußtsein besaßen, jedoch eine potentiell revolutionäre Kraft darstellten; daß es ihr gelang, diese Masse zum Kampf für konkrete Ziele zu mobilisieren: Sturz der Tyrannei, Errichtung der Volksordnung, Beseitigung der Korruption und Ungerechtigkeit, Erfüllung der Forderungen der Bauern, Arbeiter und aller Werktätigen, d.h. für Ziele, die noch nicht die Form eines sozialistischen Programms angenommen hatten. Ich glaube, daß es unsere große Leistung war, diese konkreten Ziele gestellt zu haben, obwohl wir schon damals Marxisten-Leninisten waren und natürlich in entsprechender Weise dachten. Das Wesen dessen, was wir getan haben, war: Wir haben rechtzeitig und richtig die potentiell revolutionäre Situation in unserem Lande eingeschätzt; ausgehend von den marxistisch-leninistischen Ideen haben wir ein Programm ausgearbeitet, das in sich die sehnlichen Hoffnungen der breitesten Volksmassen vereinte und sie auf den revolutionären Weg und vor allem auf den Weg der Eroberung der Macht lenkte.

Frage: Von welchen Kriterien ließen Sie sich bei der Wahl des revolutionären Weges leiten, oder von welchen Prämissen gingen Sie in Ihrer Analyse aus?

Antwort: Das sagt deutlich das Moncada-Programm aus. In unserem Lande gab es z.B. eine große Arbeitslosigkeit, man zählte über 500.000 Arbeitslose. Und das bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 5,5 Millionen!

Eine schwere Lage entstand im Dorf: Die Mehrheit der Bauern besaß entweder kein Land und keine Arbeit oder mußte hohen Pachtzins zahlen. Der Ausbeutungsgrad der Arbeiter (im wesentlichen Landarbeiter, da Jie ganze Wirtschaft des Landes von der Zuckerindustrie abhing) war sehr hoch. Das Kulturniveau der Bevölkerung war niedrig, es herrschte Analphabetentum, es fehlte an Schulen. Die sanitären Lebensbedingungen waren katastrophal, häufig brachen Seuchen, alle möglichen Krankheiten aus; in vielen Familien starben zwei, drei Kinder. Die Wohnverhältnisse waren jämmerlich, es grassierten Korruption, Machtmißbrauch, Diebstahl, Prostitution und Glücksspiel.

Die erdrückende Mehrheit des Volkes sah die Ursache für die Arbeitslosigkeit, für das Elend, für den Mangel an Schulen und Krankenhäusern in der Korruption der Behörden, nicht aber im System.

Gerade der Marxismus-Leninismus lehrte uns, daß man das System verändern, die sozialen Kräfte in Bewegung setzen und den Kampf der ausgebeuteten Massen gegen die Ausbeuter entfalten muß. Wir erkannten das mit äußerster Klarheit. Unser ganzer strategischer Plan zur Eroberung der Macht beruhte unter jenen Umständen darauf, die Arbeiter und Bauern zunächst gegen die Regierung. und später gegen das System zu mobilisieren. Um diese Konzeption auszuarbeiten, mußten wir von der Theorie ausgehen. Zu einer solchen Theorie wurde für uns der Marxismus-Leninismus.

Wir haben die revolutionäre Macht errungen und wenden die Leninschen Prinzipien in der Praxis an. Wir haben den bürgerlichen Staat zerstört und mit Unterstützung der Arbeiter und Bauern einen neuen Staat geschaffen. Das war bereits die Vorstufe zur sozialistischen Revolution und deren unerläßliche Bedingung.

Daher sind die Ideen von Marx und Engels für uns - das steht außer jedem Zweifel - von absolutem Wert. Wir haben die revolutionäre Diktatur des Volkes, die revolutionäre Diktatur der Arbeiter und Bauern errichtet. Ohne sie hätten wir die bürgerlichen Strukturen nicht zerstören, der Herrschaft der Bourgeoisie, der bürgerlichen Ideologie kein Ende setzen können. Man muß begreifen, daß die Bourgeoisie die Macht nicht nur mit Hilfe der Armee, nicht nur durch das Monopol auf die Produktionsmittel und die absolute Kontrolle über die ökonomischen Ressourcen des Landes behauptet. Sie behauptet die Macht, gestützt auf den bürgerlichen Staat, mit Unterstützung des internationalen Imperialismus und insbesondere mit Hilfe der bürgerlichen Ideologie, die im Laufe von Jahrhunderten gezüchtet wird. Deshalb mußten wir den bürgerlichen Staat vernichten und das Eigentum der Bourgeoisie. der Latifundistas und der internationalen imperialistischen Monopole, in erster Linie der der USA, denen ein großer Teil der Reichtümer unseres Landes gehörte, expropriieren. Wir mußten die bürgerliche Armee beseitigen. was wir auch taten, indem wir eine Armee der Arbeiter und Bauern schufen. Außerdem entfalteten wir eine große ideologische Schlacht. Das geschah in einem Lande, dessen Bevölkerung zu rund 90 Prozent unter dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie. unter dem Einfluß der bürgerlichen Predigten stand, die durch die Massenmedien weitverbreitet wurden. Diese Propaganda hatte nach dem Sieg der Oktoberrevolution besonders breites Ausmaß angenommen.

Wie haben wir im ideologischen Kampf die Oberhand gewonnen?

Wir siegten durch revolutionäre Taten. Die revolutionäre Wirklichkeit veränderte das Bewußtsein der Massen, und die revolutionären Ideen setzten sich in revolutionäre Taten um. Das beschleunigte den Prozeß.

Aber eine gewisse Zeit lang, in der ersten Phase der Revolution, wurde nicht vom Sozialismus und schon gar nicht vom Kommunismus gesprochen, weil das breite Volksschichten abgestoßen hätte. Es entstand eine eigenartige Situation. Die Massen hatten den Staat stets als etwas Abseitiges, etwas Fremdes, Bedrückendes angesehen. Nach dem Sieg der Revolution und nach der Aufstellung der Arbeiter-und-Bauern-Armee erhielt das Volk erstmalig Waffen in die Hand, errang erstmalig die Macht, sah erstmalig; daß die staatlichen Institutionen ihm gehören und seinen Interessen dienen. Die Waffen waren jetzt nicht gegen das Volk gerichtet, sondern befanden sich in seinen Händen. Das war eine der ersten Segnungen, die die werktätigen Massen durch den Sieg der Revolution erhielten.

Frage: Wie reagierten darauf die bürgerlichen Parteien?

Antwort: Natürlich begannen die bürgerlichen Parteien zu handeln. Während sie in den ersten Monaten eine abwartende Haltung bezogen, begannen sie in dem Maße, wie der Prozeß immer radikaler, wahrhaft revolutionär wurde, von der Revolution abzurücken und traten ihr entgegen.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt mußten wir die Massenmedien expropriieren, was für die Erziehung unseres Volkes zum sozialistischen Bewußtsein von größter Bedeutung war.

Und da setzt eine Verschärfung des Klassenkampfes ein. Einerseits sind Unzufriedenheit und Opposition bei den Ausbeuterklassen zu beobachten und andererseits beim Volk — den Arbeitern, Bauern, den fortschrittlichsten Vertretern der Mittelschichten — Unterstützung und Bereitschaft, für den Schutz der revolutionären Gesetze einzutreten. Es sei gesagt, daß sich die Mittelschichten spalteten: Der eine Teil unterstützte die Rechten, der andere ging auf die Seite der Revolution über. So ging.z.B. ein Teil der Ärzte, Ingenieure und Architekten auf die Seite der rechten Kräfte über, ein anderer Teil bezog linke Positionen. Die Revolution-gewährte den Mittelschichten bestimmte Vorteile, z.B. durch Annahme des Gesetzes über die Wohnungsreform. Während früher die Wohnungen für sie sehr teuer waren und viele überhaupt keine hatten, erhielten sie aufgrund dieses Gesetzes Wohnung. Diese Schichten reagieren feinfühlig auf die Achtung, die man ihnen entgegenbringt. Deshalb unterstützte ein beträchtlicher Teil von ihnen den Kampf gegen Prostitution, Glücksspiel, Rauschgiftsucht und andere Laster. Man darf nicht vergessen. daß die Haltung eines Menschen nicht allein von ökonomischen Maßnahmen abhängt. Auch wenn diese Maßnahmen die entscheidende Bedeutung haben, gibt es noch eine ganze Reihe moralischer, kultureller und geistiger Faktoren, die angetan sind, viele Menschen auf die Seite der Revolution zu ziehen. Tritt die Revolution für Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, öffentliche Moral und Ethik in der Verwaltung ein, so gewinnen diese Losungen die breitesten Kreise für sie. Die Revolution tritt also nicht allein für soziale Gerechtigkeit ein: Auf ihrem Banner stehen auch Losungen, die in der Vergangenheit als liberal galten.

Bereits die französische Revolution hat ja den Gedanken von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit aufgebracht, aber erst die sozialistische Revolution verwirklicht ihn in der Praxis und verkörpert ihn erstmalig in der Gesellschaft. Und gerade dieser moralische Aspekt — der Freiheitsgeist — wird vom Volk hochgeschätzt. Es geht nicht allein darum, daß irgend jemand von Steuern befreit wird, ein Stück Land, ein Haus erhält oder materiell besser gestellt wird. Die Revolution verbessert nicht nur das materielle Leben des Volkes, sie hebt von ihren ersten Tagen an dessen Moral. Alle diese Faktoren sind für den revolutionären Prozeß von großer Bedeutung.

Ich will ein Beispiel anführen. Bei einer Umfrage unter den Bauern in Bezirken, die nach der Agrarreform die stärkste Entwicklung erfuhren (es wurden Verbindungswege und Schulen gebaut, die Bauernschaft erhielt Kredite, alle möglichen materiellen Vergünstigungen usw.), stellte sich folgendes heraus: Ihnen gefällt an der Revolution am meisten, daß sie alle Bauern gleichstellt. Natürlich beginnt der Bauer in materieller Hinsicht besser zu leben, aber vor allem fühlt er sich als eine Persönlichkeit in der Gesellschaft. Früher war er in den Hinterhof der Gesellschaft verwiesen, ein Mensch dritter oder vierter Klasse, den niemand ernst nahm, den alle betrogen, unterdrückten und verachteten. Der Bauer war gewohnt, stets mehrere Herren zu haben. Und plötzlich beginnt er sich als gleicher unter den anderen zu fühlen, erlangt er also das Gefühl der eigenen Würde, wird er zu einer Persönlichkeit in der Gesellschaft. Dieser Aspekt ist von sehr großer Bedeutung.

Zu all dem kommen internationale Faktoren hinzu. Nach dem Sieg der Revolution organisiert der Imperialismus die Blockade des Landes, entfesselt aggressive Akte gegen Kuba, versucht es mit allen Mitteln zu vernichten. Gleichzeitig unterstützen die UdSSR und die anderen sozialistischen Staaten die Revolution, helfen Kuba, der Blockade standzuhalten, liefern ihm Treibstoff, gewähren ihm Kredite, kaufen seine Waren, stellen Waffen für die Verteidigung gegen eine Aggression zur Verfügung. Das alles hat das Bewußtsein des Volkes beispiellos erhöht.

Für eine der bedeutendsten Errungenschaften der Revolution halte ich die Entwicklung des fortschrittlichen Bewußtseins beidem zuvor unterdrückten Volk, das sich, wie in keinem anderen Land Lateinamerikas, unter völliger ideologischer Herrschaft des Imperialismus befand. Auf Kuba entstanden starke patriotische Kampftraditionen, Traditionen des Unabhängigkeitskampfes, aber es gab kein sozialistisches Massenbewußtsein.

Wie erklären sich da die Hebung der politischen Kultur und die Entstehung des revolutionären Bewußtseins? Das erklärt sich aus der revolutionären Situation sowie aus der Aneignung der revolutionären Theorie. Die Volksmassen begannen sich die revolutionäre Theorie zu eigen zu machen, nachdem die grundlegenden revolutionären Gesetze und Maßnahmen in die Tat umgesetzt worden waren, und das Volk trat für deren Schutz ein. Deshalb wurde am 16. April 1961, vor dem Einfall der amerikanischen Söldner bei Playa Girón, als wir die Opfer der heimtückischen Bombardierung aus der Luft beisetzten, der sozialistische Charakter der Revolution verkündet. Sowohl die Arbeiter als auch die bäuerlichen Massen unterstützten mit der Waffe in der Hand diese Erklärung und nahmen den Kampf bei Playa Girón auf, wobei sie bereits die sozialistische Revolution verteidigten. Frage: Kann man vor dem Hintergrund dieses, Prozesses das Verschwinden der bürgerlichen Parteien für natürlich halten?

Antwort: Das war natürlich und logisch. Sie mußten verschwinden.

Frage: Es handelt sich also nicht um eine willkürliche Maßnahme, um einen administrativen Akt, um eine Einschränkung der politischen Freiheiten, wie das die bürgerliche Propaganda zu behaupten pflegt?

Antwort: Nein, wir haben kein Gesetz angenommen, das irgendeine Partei verbietet. Anders ausgedrückt, die bürgerlichen Parteien waren so schwach, so labil, so vom Imperialismus abhängig, daß sie in unserem Lande eines natürlichen Todes starben. Ihr Verschwinden war gesetzmäßig, aber es war mit keinem Gesetz, mit keiner gesetzgeberischen Maßnahme, mit keinem Dekret der Revolution verbunden. Gleichzeitig vollzog sich die Vereinigung der revolutionären Parteien und Kräfte.

Frage: Wie verlief dieser Prozeß?

Antwort: Ich halte das ebenfalls für eine bedeutende Lehre der Revolution. Die Vereinigung der revolutionären Kräfte war in unserem Lande beispielgebend, sie wurde zu einem der entscheidenden Faktoren für die Konsolidierung der Revolution. Die von uns verkündete und geschaffene Bewegung war zweifellos die größte Kraft, sie besaß den stärksten Einfluß auf die Massen. Gleichzeitig war sie die breiteste und heterogenste Bewegung. Wir als’ die reale Kraft, welche die größte Unterstützung des Volkes genoß, waren also auch vom.Geist der Einheit durchdrungen, uns waren Hochmut, enger Egoismus und Sektierertum fremd. Wir gingen stets gegen das Sektierertum an, da es in der ersten Zeit unter denen. die den Kampf in den Bergen und in den Ebenen führten, die Gefahr des Sektierertums gab. Ich ging dagegen an, daß bei denen, die den Partisanenkrieg in den Bergen führten, Eitelkeit und das Gefühl der Überlegenheit über andere aufkamen, ‚was eine Erscheinungsform des Sektierertums innerhalb der Bewegung des 26. Juli gewesen wäre. Freilich begannen sich innerhalb unserer Bewegung aufgrund ihrer bestimmten Heterogenität verschiedene Tendenzen zu entwickeln. Das war natürlich, und wir mußten eine große Erziehungsarbeit leisten. So gingen z. B. die Teilnehmer der Kämpfe in der Sierra Maestra wie auch fast alle Kämpfer, die in der Ebene operiert hatten, auf die Positionen des Sozialismus, des Marxismus-Leninismus über. Wir wußten sehr genau, daß die Stärke der Revolution in der Einheit liegt, und mußten daher iin den ersten Etappeneinen beharrlichen Kampf gegen Spaltertendenzen und antikommunistische Vorurteile führen. Der Imperialismus nutzt derartige Spaltertendenzen, den Antikommunismus oder die Furcht vor dem Kommunismus aktiv für seine Wühlaktionen gegen die revolutionären Prozesse.

Wir, die Führer der Bewegung des 26. Juli, waren nämlich Marxisten und unterhielten enge Beziehungen zur Sozialistischen Volkspartei. hatten die gleichen Ansichten wie deren Mitglieder. Das schuf ideologische Grundlagen, welche die Vereinigung erleichterten. Die Führung des Revolutionären Direktoriums bezog ebenfalls sehr fortschrittliche Positionen, die den sozialistischen nahe kamen. Somit vertraten diese drei Organisationen die gleiche politische Richtung, auch wenn es natürlich einzelne Ausnahmen gab.

Das förderte die Annäherung. Aber die größte Bedeutung hatte, so meine ich, die Tatsache, daß unsere Bewegung keine egoistische Position bezog. Wir wußten sehr genau, daß das Unterpfand für die Unbesiegbarkeit der Revolution in der Einheit aller Kräfte liegt, unabhängig von der Stellung und dem Einfluß einer jeden davon.

Außerdem gingen wir stets bedachtsam an eine weitere Frage heran. Es gab viele kleine Organisationen, aber wir schlossen sie niemals aus dem Vereinigungsprozeß aus, da sie sich gegen Batista wandten. Wir gaben ihnen die Möglichkeit, sich uns anzuschließen, sich in die allgemeine Sache einzureihen. Und die Revolution hat niemals auch nur eine einzige bürgerliche Partei aus den Reihen der Batista-Gegner verboten, ihr die Tür versperrt. Die bürgerlichen Parteien kehrten sich jedoch aus ideologischen und sozialen Gründen selbst von der Revolution ab.

Auf diese Weise vereinigten sich drei Organisationen: die Bewegung des 26. Juli, die Sozialistische Volkspartei und das Revolutionäre Direktorium. Wir arbeiteten zusammen und koordinierten von Tag zu Tag immer mehr unsere Handlungen. Eine sehr große Rolle bei der Herstellung der Einheit spielten meiner Ansicht nach sowohl die Führer der Bewegung des 26.Juli als auch die Führer der Sozialistischen Volkspartei und des Revolutionären Direktoriums.

Natürlich hatten alle diese Organisationen ihre eigenen ungelösten Probleme. Vor allem war eine große Arbeit zu leisten, um die Massen zu überzeugen, politisch zu erziehen. Freilich gab es in unserer Bewegung Verluste, ebenso wie in den anderen Organisationen. In der Sozialistischen Volkspartei stand die Sache etwas anders, diese Partei stieß auf andere Probleme. Zu einem bestimmten Zeitpunkt machten sich innerhalb dieser Partei Anzeichen für Sektierertum bemerkbar, die den Bemühungen um die Herstellung der Einheit schadeten. In dem Maße, wie die Revolution auf ideologischer Ebene immer mehr mit dem Sozialismus und dem Marxismus-Leninismus identifiziert wurde, was die Folge einer bestimmten Politik und bestimmter Anstrengungen war, behinderte auch das Sektierertum immer mehr die Herstellung eines Klimas des Vertrauens. Es war notwendig, diesen Tendenzen entgegenzutreten, und letztlich wurde das Sektierertum besiegt.

Frage: Genosse Fidel Castro, wie kann man angesichts der gewaltigen Arbeit, die Ihr Volk geleistet hat, und angesichts der Errungenschaften der Revolution die gegenwärtige Etappe des sozialistischen Aufbaus in Kuba charakterisieren?

Antwort: In Kuba können wir selbstverständlich noch nicht von entwickeltem Sozialismus sprechen. In den zurückliegenden Jahren hat unser Volk eine hohe politische Kultur erworben, und es unterstützt in seiner erdrückenden Mehrheit bewußt, entschlossen und mit Begeisterung den Sozialismus.

Die kubanische Revolution mußte einen Kampf auf Leben und Tod führen, und man kann sagen, daß die Hauptaufgabe in den ersten zehn Jahren darin bestand, zu überleben, die revolutionären Errungenschaften zu behaupten. Natürlich wurden schon damals einige Umgestaltungen vollzogen und bestimmte Erfolge erzielt — vor allem auf den Gebieten der Kultur, der Ideologie, des Bildungs- und des Gesundheitswesens. Was die Wirtschaft betrifft, so konnten wir in diesem Bereich, das muß man sagen, nicht in beschleunigtem Tempo vorankommen. Die Lage wurde dadurch erschwert, daß unsere Revolutionäre unerfahren waren und daß es sich um eine sozialistische Revolution in einem schwachentwickelten Land handelte.

Im zweiten Jahrzehnt, als sich die Revolution gefestigt hatte, wurden auf allen Gebieten — in der Wirtschaft wie auch im sozialen Bereich — große Erfolge erzielt, trotz der mangelnden Erfahrungen und der Fehler, die es gewöhnlich im Verlauf des revolutionären Prozesses gibt. Auch wir haben eine entsprechende Etappe durchlaufen und geglaubt, wir könnten alles besser und anders machen, als das andere tun. Ich stelle diese Frage offen, damit unsere Erfahrungen anderen Revolutionären als Lehre dienen, damit jene begreifen, daß man auch nicht die geringste Unterschätzung der Erfahrungen anderer Länder dulden darf, obwohl das Schöpfertum im revolutionären Prozeß ein unerläßlicher und wichtiger Faktor ist. Dabei muß man Bescheidenheit besitzen, die für die Revolutionäre sehr wichtig ist, weil es ohne revolutionäre Bescheidenheit an Schöpfertum und kritischer Analyse mangeln wird. Macht sich ein Revolutionär die Erfahrungen anderer Länder nicht zu eigen, so zeigt er Überheblichkeit.

Ich glaube, daß Kuba heute eine wichtige Quelle revolutionärer Erfahrungen ist, besonders für die schwachentwickelten Länder. Ich bin überzeugt, daß wir in unseren Verbindungen mit anderen, auf dem Wege der Revolution voranschreitenden Ländern die Möglichkeit haben werden, ihnen unsere Erfahrungen zu vermitteln, ihnen unsere Erfolge und Fehler zu erklären, besonders jene, die uns in den ersten Jahren unterlaufen sind. Wir haben sie niemals verheimlicht.

In den letzten zehn Jahren hatte unser Land eine rasche und beschleunigte wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung zu verzeichnen, eine wahrhaft ungewöhnliche Entwicklung. In der materiellen Produktion, auf sozialem, ideologischem und politischem Gebiet stehen wir fest auf den Beinen und haben die Bedingungen für den weiteren raschen Vormarsch nicht nur in den nächsten fünf oder zehn Jahren, sondern auch für die kommenden zwanzig Jahre geschaffen.

In den ersten Jahren hatten wir praktisch nicht einmal Jahrespläne. Heute aber arbeiten wir einen Fünfjahrplan für die Jahre 1981—1985 sowie einen Perspektivplan für den Zeitraum 1981— 2000 aus. Wir fühlen uns wesentlich sicherer. Wir haben jetzt mehr Kader, die über Erfahrungen und Kenntnisse verfügen und ihre Arbeit verantwortungsbewußt tun.

Natürlich kann nur der Sozialismus mit seinen Möglichkeiten, die ökonomische Entwicklung zu planen und alle Ressourcen rationell zu nutzen, eine beschleunigte Entwicklung auf ökonomischem und sozialem Gebiet durchsetzen.

Was ist die Hauptschwierigkeit in den ökonomisch zurückgebliebenen Ländern, die den Aufbau des Sozialismus in Angriff nehmen? Das ist. daß sie ihren Weg unter Bedingungen antreten, da äußerste Armut und akuter Mangel an Ressourcen herrschen und die Notwendigkeit besteht, zwei bedeutende Probleme zu lösen: die ökonomische und die soziale Entwicklung. Diese Länder können nicht die Methoden anwenden, zu denen die kapitalistischen Staaten gegriffen und von denen Marx wie auch Engels beim Studium der Geschichte der englischen Arbeiterklasse gesprochen haben. Auf welchem Wege sind diese Länder zum Kapitalismus gekommen, wie haben sie Kapital akkumuliert? Auf dem Wege der Ausplünderung und Ausbeutung der Völker in den Kolonien. der erbarmungslosen Ausbeutung der Arbeiter in den Metropolen. Ein sozialistisches Land kann diesen Weg nicht gehen: die Arbeiter zwingen, 15 Stunden täglich zu arbeiten; es kann nicht Kinder ausbeuten. Im Gegenteil: Es muß für die Kinder Schulen bauen, für sie sorgen und sie erziehen. Es kann nicht Frauen ausbeuten, es kann nicht Sklaven ausbeuten, es kann nicht Kolonien besitzen und ausplündern. Es muß, auch wenn es arm ist, bei Mangel an ökonomischen Ressourcen die Probleme der sozialen Entwicklung so lösen, daß es keine Arbeitslosigkeit, daß es keine Prostitution. daß es keine Analphabeten, daß es keine vergessenen Kranken und Alten ohne Unterstützung, ohne Rente oder irgendeine andere Beihilfe gibt. Kurzum, es muß die sozialen Probleme human lösen, zugleich aber Mittel akkumulieren und große Summen in die ökonomische Entwicklung investieren, Das ist zweifellos eine sehr ernste Frage.

Ich würde sagen, daß vorläufig noch nicht ausreichend geklärt ist, wie die schwachentwickelten Länder. die den Weg des Sozialismus einschlagen, ihre Probleme lösen können‘ In dieser Hinsicht ist Kuba in der westlichen Hemisphäre die Erstinformationsquelle, weil wir von unserer eigenen Erfahrung ausgehen und die Schwierigkeiten, auf die man dabei stößt, kennen, alle diese Probleme in der Praxis lösen, wozu große Anstrengungen, die Arbeit des ganzen Volkes, die Verbindung von Studium und Arbeit und natürlich die internationale Unterstützung notwendig sind. Was Kuba betrifft, so hatten und haben wir diese Unterstützung, das gilt insbesondere für die Länder des sozialistischen Lagers und in erster Linie für die Sowjetunion.

Man kann sagen, daß sich unsere Revolution gegenwärtig in der Etappe der beschleunigten ökonomischen und einer durchaus befriedigenden sozialen Entwicklung befindet. Aus dem Bereich der Produktion will ich das folgende Beispiel anführen. Eines der komplizierten und schwierigen Probleme ist die Mechanisierung der Zuckerrohrernte, und zwar ein so kompliziertes, daß z. B. 1970 bei der Zafra 350.000 Macheteros eingesetzt wurden. Bei der gegenwärtigen Zafra sind .130.000 Macheteros tätig, d.h.. wir haben 220.000 Menschen freigesetzt. Bei uns ist die Ernte bereits zu 50 Prozent und die Verladung des Zuckerrohrs zu 100 Prozent mechanisiert. Diese Leistung scheint mir die bedeutendste zu sein, weil wir, als die Revolution siegte, z.B. keine Maschinen für die Zuckerrohrernte besaßen. Allmählich wurde deren Projektierung organisiert, denn erwerben konnten wir sie nicht; wir mußten diese Maschinen mit Unterstützung der Sowjetunion selbst konstruieren. Jetzt besitzen wir bereits ein Werk für den Bau von Kombines, und wir haben eines der Probleme gelöst, welche die ökonomische Entwicklung des Landes gefesselt haben.

Jetzt will ich einen Vergleich zu den USA ziehen. Natürlich ist dort das technische Niveau höher, aber wir haben kein Problem de: Analphabetentums; wir haben keine Analphabeten, in den USA hingegen gibt es sie; wir haben keine ungebildeten Menschen, in den USA hingegen gibt es sie. Das heißt, bei einigen Kennziffern aus dem Bildungswesen übertreffen wir die USA; mit Kuba kann sich kein anderes lateinamerikanisches Land messen. Das gleiche kann man auch von den Kennziffern aus dem Gesundheitswesen sagen, welche die höchsten auf dem amerikanischen Kontinent sind. Die medizinische Hilfe ist in den USA sehr teuer, und Millionen Menschen können sie nicht in Anspruch nehmen. Bei uns aber genießt die ganze Bevölkerung medizinische Hilfe. Vergleicht man Kuba mit den lateinamerikanischen Ländern, so ist die Kindersterblichkeit bei uns wesentlich niedriger: im ersten Lebensjahr sterben von je 1.000 Kindern weniger als 25. Bei uns sind solche Krankheiten wie Sumpffieber, Typhus, Tuberkulose und Kinderlähmung ausgerottet. Bei uns wird ein umfangreiches Programm von Vorbeugungsmaßnahmen gegen Tetanus und andere Krankheiten verwirklicht. Als die Revolution siegte, gab es im Lande 6.000 Ärzte, und fast alle arbeiteten in den Städten. Heute haben wir, obgleich 3.000 Ärzte in die USA gegangen sind, ihrer 14.000. Das heißt, heute kommt ein Arzt auf etwa 800 Einwohner, wobei die medizinische Ausbildung der Ärzte bedeutend besser ist. Von unseren Ärzten arbeiten mehr als 1000 im Ausland. An den Universitäten studieren 12.000 Studenten an den medizinischen Fakultäten. Wir schaffen in jeder Provinz eine medizinische Lehranstalt, und schon heute nehmen sie alljährlich 3.500-4.000 Studenten auf.

Nehmen wir den Bereich der Kultur, so hat er eine sehr starke Entwicklung erfahren, und man kann sagen, daß diese Entwicklung jetzt noch weit schneller verläuft. Wir haben heute ein Programm für den Aufbau von Kunstschulen — sowohl für Berufs- als auch für Laienkünstler — in jeder Provinz. Bedeutende Erfolge hat die Filmkunst erzielt. Das kubanische Ballett ist weltbekannt und gehört zu den besten in der Welt. Vor kurzem wurde sein 30jähriges Bestehen begangen.

Was den Sport betrifft, so ist Kuba zu einer Sportmacht geworden, die heute mit den USA wetteifert und diese in einigem bereits überflügelt. Die kubanischen Sportler verbessern bei den panamerikanischen und olympischen Spielen ständig ihre Ergebnisse. Mit dem Sport geht es in Kuba aufwärts, wir haben Dutzende von Sportschulen, und praktisch in jeder Provinz gibt es Schulen für Sportlehrer.

Frage: Sie sprachen von der Propagierung des Marxismus-Leninismus. Ich glaube, daß damit die Frage des proletarischen Internationalismus, seiner Bedeutung für die Entwicklung des gegenwärtigen revolutionären Prozesses verbunden ist. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Antwort: Das ist eine prinzipielle Frage. Wir messen dem proletarischen Internationalismus große Bedeutung bei. Das ist der Eckpfeiler des Marxismus-Leninismus. Und ich glaube nicht, daß irgendwelche Gründe die Preisgabe der Prinzipien des proletarischen Internationalismus rechtfertigen können. Ich meine, der proletarische Internationalismus ist der großartigste Wesenszug des Marxismus-Leninismus, des Sozialismus, man darf sagen, die edelste Eigenschaft der Revolutionäre.

Marx und Engels sagten weitblickend voraus, daß das Unterpfand für den Sieg der Revolution’ in der Vereinigung der Proletarier aller Länder liegt, und schlossen daher das "Manifest der Kommunistischen Partei" mit den Worten: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" Und niemand kann es besser als wir wissen, wie richtig diese Wahrheit ist.

Wer trat uns entgegen, als wir unsere Revolution vollzogen hatten? Der Imperialismus. In erster Linie der amerikanische Imperialismus. Und wer leistete dem amerikanischen Imperialismus bei der Blockade gegen Kuba Handlangerdienste? Die Oligarchie der ganzen Welt, die Bourgeoisie der ganzen Welt, die Reaktionäre der ganzen Welt. Anders ausgedrückt, die amerikanische Blockade konnte in dem Maße verstärkt werden, wie es den USA gelang, viele bürgerliche Regierungen in den Wirtschaftsboykott gegen Kuba einzubeziehen.

Und wer unterstützte uns? Die Sowjetunion, die anderen sozialistischen Länder, die sozialistische Gemeinschaft, die Arbeiter-und-Bauern-Staaten der Welt.

Möge mir doch jemand sagen, ob die kubanische Revolution ohnedies die amerikanische Blockade und die Feindschaft der USA hätte überstehen können? Wo hätten wir Waffen für unsere Verteidigung erwerben können? Kein kapitalistisches Land der Welt hätte Kuba Waffen verkauft. Einzig und allein die sozialistischen Länder lieferten uns diese Waffen, gewährten uns Kredite, wobei die Sowjetunion zu einem bestimmten Zeitpunkt uns diese Waffen unentgeltlich lieferte.

Oder nehmen Sie die Situation, als die USA die Treibstofflieferungen nach Kuba einstellten. Welches kapitalistische, imperialistische Land hätte dem Druck der USA standgehalten und z.B. der Politik der USA zuwidergehandelt? Der Treibstoff konnte zu uns nur aus einem Lande - aus der Sowjetunion - kommen, und er ist gekommen. Und welcher Staat hätte von uns Zucker gekauft? Nur die sozialistischen Länder konnten den Markt bieten, den uns die USA entzogen hatten, und dabei erzeugten die sozialistischen Länder selbst genügend Zucker, um sich voll zu versorgen. Aber sie änderten sogar die Pläne für die Entwicklung der Zuckerindustrie und räumten uns einen Platz in ihrer Wirtschaft ein. Welche Länder verkauften uns Nahrungsmittel, verkauften Ausrüstungen? Nur die sozialistischen Länder und vor allem die Sowjetunion.

Ich kann Ihnen anhand unserer Erfahrungen sagen, daß die kubanische Revolution ohne die internationale revolutionäre Solidarität nicht hätte überleben können. Ich sage das mit voller Sachkenntnis und mit allem Verantwortungsbewußtsein, das Recht dazu gibt mir die 20jährige Erfahrung unserer Revolution. Ich habe das alles zu gut erlebt, um nicht zu wissen, daß unsere Revolution ohne den proletarischen Internationalismus nicht hätte überleben können. Und ich glaube. daß dieses Argument von niemandem widerlegt werden kann. Aber ich werde ein weiteres Beispiel anführen: Angola. Ohne die internationale Solidarität wäre die angolanische Revolution von den südafrikanischen Rassisten und dem Imperialismus unterdrückt worden. Oder noch ein Beispiel: Äthiopien. Ohne den proletarischen Internationalismus hätte der Imperialismus die äthiopische Revolution im Blute ertränkt und vernichtet. Ohne den proletarischen Internationalismus hätten die Vietnamesen dem USA-Imperialismus keine Niederlage beibringen können.

Solcher Beispiele gibt es, wie Sie sehen, viele.

Also gibt es im Grunde kein Land, das seine Revolution ohne internationale Unterstützung hätte entfalten können, denn diese haben zu diesem oder jenem Zeitpunkt alle gebraucht. Und auch für China ist sie dringend notwendig gewesen. China hat von der Sowjetunion riesige Hilfe erhalten: Waffen während des Befreiungskrieges, Unterstützung bei der Entwicklung der industriellen Basis in den ersten Jahren der Revolution und Zügelung der imperialistischen Aggression, denn gäbe es nicht die Sowjetunion, hätten die Imperialisten, davon bin ich überzeugt, eine Aggression gegen China in den ersten Jahren der Revolution verübt.

Der Internationalismus kann sich in verschiedenen Formen äußern. Handelt es sich um eine kommunistische Partei, die Verfolgungen und Repressalien ausgesetzt ist, deren Mitglieder eingekerkert, verschleppt und ermordet werden, so bedarf es.der internationalen Solidarität, der Mobilisierung der Weltöffentlichkeit, um dieser Willkür ein Ende zu setzen, um die Freilassung der Gefangenen zu erwirken und sie zum Kampf für die Errichtung einer demokratischen, einer Rechtsordnung in ihren Ländern zu beflügeln. Ist es ein Land, das zum Objekt einer Aggression des Imperialismus geworden ist, so muß man ihm Hilfe anderer Art leisten, wie das in Kuba, Angola, Äthiopien und Vietnam der Fall war. In diesem Falle wird die Form militärischer und anderer Hilfeleistung gewählt, die im Kampf gegen den Aggressor zu bestehen ermöglicht. Ist das ein technisch weit zurückgebliebenes Land, so muß man ihm in technischer wie in ökonomischer Hinsicht beistehen, wie wir das tun, denn obwohl unser Land große internationale Hilfe erhält, sind wir unsererseits bestrebt, die ökonomische Entwicklung anderer Länder, die sich in schlechteren materiellen und sozialen Bedingungen befinden, zu fördern.

Einer der wichtigen Faktoren für die Entwicklung des internationalistischen Bewußtseins unseres Volkes ist, so glaube ich, die Verwirklichung des Internationalismus in der Praxis. Als eines der sozialistischen Länder kämpft Kuba z.B. gegen alle Formen des nationalen Egoismus, denn meiner Meinung nach ist die Gefahr, das Risiko des nationalen Egoismus auch im Sozialismus nicht ausgeschlossen. Ich werde erklären, weswegen: Weil der Sozialismus die erste reale Möglichkeit für ein Land ist, zum Wohle des eigenen Volkes zu arbeiten, weil das die erste Möglichkeit ist, die eigenen nationalen Reichtümer zu nutzen; die Bedürfnisse sind bei uns gewaltig, die ökonomischen und sozialen Erfordernisse sind groß, doch die Ressourcen begrenzt.

Für unser Land bedeutete der Sozialismus die erste Möglichkeit, die Entwicklung der Landwirtschaft und der Industrie, den Bau von Schulen, Krankenhäusern, Kindergärten, Sportplätzen und Straßen in Angriff zu nehmen; hierin könnten wir alle bei uns vorhandenen Mittel investieren. Insofern der Sozialismus, ich wiederhole, die erste Möglichkeit ist, rationell und mit Begeisterung für die Entwicklung des eigenen Landes zu arbeiten, feit er nicht gegen die Gefahr, daß Tendenzen des nationalen Egoismus aufkommen.

Dessen sind wir uns bewußt. Und deshalb meinen wir, daß wir bei diesen Möglichkeiten und ungeachtet der Gefahren praktisch und konsequent Internationalisten sein müssen. Denn in Kuba gibt es noch viele Orte, wo Schulen zu bauen sind, und dennoch bauen wir Schulen auf Jamaika und in Tansania. Trotz der Erfolge im Gesundheitswesen mangelt es uns noch immer an Krankenhäusern, und dennoch bauen wir ein Krankenhaus in Vietnam. Es mangelt bei uns in Kuba noch immer an Straßen, in manchen Gegenden gibt es überhaupt keine, und dennoch bauen wir eine Autobahn in Guinea und eine Hauptstraße in Vietnam usw.

In der Welt gibt es indessen nicht wenige Erscheinungsformen des nationalen Egoismus. Mehr noch, der nationale Egoismus ist in der Welt immer noch stark. Und ich glaube, daß wir Revolutionäre den internationalistischen Geist wie unseren Augapfel hüten müssen.

Frage: Genosse Fidel Castro, könnte man China als Beispiel für nationalen Egoismus anführen, oder ist das etwas mehr?

Antwort: Natürlich. Die Hauptsache ist, daß in China eine in jeder Hinsicht opportunistische, reaktionäre Politik betrieben wird; da sind eklatanter Verrat an den revolutionären Prinzipien und unverhohlene, offene und immer breitere Zusammenarbeit mit dem Imperialismus und der Weltreaktion.

China ist völlig in das Lager des Imperialismus übergegangen. Früher oder später muß sich das chinesische Volk selbst dessen bewußt werden. Es muß erkennen, wohin dieser Weg führt, denn das Rad der Geschichte läßt sich nicht so leicht zurückdrehen, und unmöglich ist, diese anomale, absurde Lage endlos aufrechtzuerhalten, auch weiterhin eine Außenpolitik zu betreiben, die den Volksinteressen völlig widerspricht.

Die Geschichte zeigt, daß eine solche Politik eine gewisse Zeit-betrieben werden kann, aber sie hat keine Zukunft.

Frage: Was sind am Vorabend des 20. Jahrestages der Revolution die Hauptbestrebungen des kubanischen Volkes?

Antwort: Gegenwärtig, nach dem Sieg und der Konsolidierung der Volksmacht, ergibt sich für uns eine vielleicht noch kompliziertere Aufgabe: Ich würde sagen, eine wesentlich kompliziertere als früher. Unser Land muß ökonomisch innerhalb einiger Jahrzehnte das tun, wofür die entwickelten kapitalistischen Länder zwei oder drei Jahrhunderte gebraucht haben.

aus: Probleme des Friedens und des Sozialismus 1/79

Freundschaftsgesellschaft BRD-Cuba, Informationsdienst Nr. 12 / 2-1979