durchgeführt von der nordamerikanischen Journalistin Barbara Walters
Das Interview wurde am 19. Mai 1977 von Barbara Walters und einem Kamera-Team des US-Fernsehens aufgenommen, und am 16. und 20. Juni in zwei Teilen vom kubanischen Fernsehen ausgestrahlt. Dieses Interview fand in der Weltöffentlichkeit große Resonanz. Die Bedeutung der Ausführungen von Fidel Castro gehen auch daraus hervor, daß sie vollständig in der Zeitschrift "Bohemia" abgedruckt wurden. Hinzu kommt, daß diese Ausgabe von "Bohemia" in einer Auflage von 400.000 Exemplaren gedruckt wurde - die größte Auflage seit der Ausgabe anläßlich der Veröffentlichung des Tagebuches von Ernesto "Che" Guevara in Bolivien am 5. Juli 1968.
Die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V. veröffentlicht hiermit die Übersetzung des vollständigen Textes des Interviews von Barbara Walters mit Fidel Castro.
Barbara Walters: Herr Präsident, wann werden Ihr Land und meines normale Beziehungen haben?
Fidel Castro: Ich glaube, das hängt vom guten Willen beider Teile ab. Und ich glaube, daß es auch von der Zeit abhängt.
Viele Jahre mit großen Mißverständnissen sind vorausgegangen; viele Dinge sind geschehen, und logischerweise erfordert es Zeit, alle bestehenden Probleme zu überwinden und ein Klima zu schaffen, in dem eine Verbesserung wirklich möglich ist, noch besser, eine Wiederherstellung der Beziehungen.
Ich kann versichern, daß unsererseits der Wille vorhanden ist, in diese Richtung zu arbeiten, und wir werden auch aufmerksam den Willen der Vereinigten Staaten in dieser Hinsicht beobachten.
Aber auch wenn ich optimistisch bin, so glaube ich nicht, daß die Beziehungen in nächster Zeit wiederhergestellt werden können; ich glaube auch nicht, daß sie noch in der Amtszeit Carters wiederhergestellt werden können. Vielleicht in seiner zweiten Amtszeit, zwischen 1980 und 1984 oder vielleicht sogar noch später.
B.W.: Warum? Warum nicht bis zur zweiten Amtszeit Carter’s? Sie glauben also, daß er eine zweite Amtszeit haben wird?
F.C.: Nun, ich glaube, ja. Normalerweise versuchen die Präsidenten, eine zweite Amtszeit zu erreichen. Das ist eine Art Regel, und ich glaube nicht, daß Carter die Ausnahme ist.
B.W.: Nein, ich wollte sagen, daß Sie, vom nationalen Gesichtspunkt aus gesehen, sagen, daß Carter das nicht während der ersten vier Jahre machen kann, sondern so einen kühnen Schritt erst tun könne; wenn er wiedergewählt ist.
F.C.: Nun, ich glaube, daß selbst Carter interne Widerstände wird überwinden müssen, um seine Politik zu ändern. Die Geschichte zeigt, daß jeder Wechsel in der Politik der Vereinigten Staaten Zeit braucht und Widerstände überwinden muß. Ich glaube, daß diese Zeit fehlt, um solche Wechsel-vollziehen zu können. Es scheint mir, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß die Beziehungen in den nächsten vier Jahren wiederhergestellt werden, wenn sie auf solider und ernsthafter Basis vollzogen werden sollen. Und in dieser Frage kann keiner improvisieren. Wir können nicht improvisieren, und ich nehme an, daß Carter es auch nicht kann.
Und die Widerstände verschwinden weder in einem Tag noch in einem Jahr.
Ich glaube, daß seit dem Amtsantritt der Verwaltung Carter zweifellos positive Schritte unternommen worden sind, die ersten Schritte, glaube ich, sind positiv. Aber es gibt auch einige Zeichen des Widerstands. Vor einigen Tagen gab es eine Übereinkunft des Repräsentantenhauses, in Opposition zu dem Antrag, den McGovern vorschlug für eine teilweise Zurücknahme der Blockade. Und obwohl das eine Angelegenheit war, die das Problem nicht gelöst hätte, war es zweifellos eine gute Geste, eine gute Initiative.
In der Senatskommission kam man überein, der teilweisen Aufhebung der Blockade zuzustimmen, aber nur in einer einzigen Richtung, nämlich was die medizinische Versorgung und die Lebensmittel angeht. Dieser Schritt war schon ziemlich bescheiden, denn wenn sie von uns keine Lebensmittel und Medikamente kaufen, dann werden wir auch in den Vereinigten Staaten weder Lebensmittel noch Medikamente kaufen. Wir können aus Prinzip keine Form einseitigen Handels akzeptieren.
Aber trotzdem, eine teilweise Aufhebung der Blockade wäre eine gute Geste, ein positiver Schritt, aber er löst das Problem nicht. Solange wie das Embargo in irgendeiner Form existiert, sind die Bedingungen für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Cuba nicht gegeben.
Jetzt frage ich mich, ob Carter das Embargo nun aufheben will oder nicht. Mehr noch: ob der Präsident Carter das Embargo aufheben kann oder nicht.
B.W.: Angenommen, er hebt das Embargo auf, dann haben wir einen Anfang gemacht; bedeutet diese Aufhebung für Sie normale Beziehungen?
F.C.: Ich glaube, daß das ein entscheidender Schritt hin zu normalen Beziehungen wäre. Dann könnten wir uns bereit fühlen, bei gleichen Bedingungen, die Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und uns zu diskutieren; die vielen Probleme, die es zu diskutieren gibt. Aber man kann nicht diskutieren, wenn keine gleichen Bedingungen herrschen. Das ist das grundlegende Prinzip, das wir aufrecht erhalten.
B.W.: Gut, analysieren wir die gegenwärtige Situation. Wir haben kürzlich viele freundschaftliche Gesten gezeigt, um eine Verbesserung der Beziehungen zu erreichen: die Übereinkunft über den Fischfang, die Tatsache, daß die nordamerikanischen Touristen jetzt kommen können - denen ohne Zweifel Sie erlaubt haben, zu kommen - wir haben den militärischen Überwachungsflügen ein Ende gemacht, und wir sprechen von einer teilweisen Beendung der Blockade.
Nun, welches Zeichen, welche Geste des Wechsels kommt von Ihnen?
F.C.: Nun, wir haben den Gesten der Vereinigten Staaten entsprochen.
Zum Beispiel in der Fischerei-Frage. Wir haben das historische Recht, in diesen Meeren zu fischen, da wir die 12 Meilen respektiert haben, die vorher schon festgelegt wurden, und da wir in internationalen Meeren fischten. In diesen Meeren haben wir versucht, Lebensmittel für unser Volk zu produzieren.
Die Regierung der Vereinigten Staaten trifft da eine Entscheidung, die keiner internationalen Übereinkunft entspricht, sondern einer einseitigen Entscheidung;sie erweitert ihre Rechtsprechung auf 200 Meilen, wir aber haben unsererseits keine andere Alternative, als unsere Meere auf 200 Meilen zu erweitern, als ökonomisches Vorzugsrecht. Seit der Zeit setzten die Vereinigten Staaten fest, daß man für die Fischerei dort die Erlaubnis der Vereinigten Staaten benötigte. Sehr gut: wir haben diskutiert, wir waren dabei, Diskussionen zu führen, die Vereinigten Staaten waren dabei, zu diskutieren. Die Vereinigten Staaten wollten damals erlauben, eine gewisse Fischerei in diesem neuen nordamerikanischen Meeren zu erlauben. Es erscheint uns als eine gerechte Sache, da wir ja schon immer in der Geschichte und in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht in diesen Meeren gefischt haben. Nun gut, wir haben das Gesetz der Vereinigten Staaten anerkannt, und wir waren unsererseits bereit, eine Übereinstimmung in diesem Sinne zu erzielen.
Die Vereinigten Staaten haben dies mit zahlreichen Ländern getan. Sie mußten genaugenommen, um ihre Meere auszudehnen, mit der ganzen Welt diskutieren;mit all denen, die in diesen Meeren fischten. In Ordnung. Sie haben die Geste gemacht, mit uns zu diskutieren, und wir haben zu verstehen gegeben, daß wir dieses Recht respektieren werden, mit dessen Hilfe die Vereinigten Staaten ihre Fischerei-Rechtsprechung über seit altersher internationale Meere ausdehnte.
Die Vereinigten Staaten haben erlaubt, daß die nordamerikanischen Bürger Cuba besuchen. Das erscheint uns sehr gut. Was bedeutet das? An erster Stelle, die Wiederherstellung einer Freiheit der nordamerikanischen Bürger, deren man sie vorher beraubt hat. Nun sind die Nordamerikaner ein wenig freier, sie können nun auch Cuba besuchen.
Gut. Welches war unsere Haltung? Wir haben darauf geantwortet, indem wir diese Besuche nordamerikanischer Bürger erlaubten, d.h. wir haben dieses Recht der nordamerikanischen Bürger, Cuba zu besuchen, erleichtert, obwohl wir nicht wissen, welche Ungelegenheiten das für uns bedeutet, weil wir das Risiko eingegangen sind, daß terroristische Elemente kommen können, wir begehen das Risiko, daß Elemente aus der CIA kommen können. Alle diese Risiken sind wir eingegangen.
B.W.: Sie ziehen ihnen aber auch einiges Geld aus der Tasche.
F.C.: Es kann sein, daß wir etwas Geld dabei verdienen, aber das ökonomische Element war nicht die ausschlaggebende Tatsache, weil es auch, wie ich schon gesagt habe, einige Risiken dabei gibt. Wir haben es ganz einfach als eine Freundschaftsgeste den nordamerikanischen Bürgern gegenüber getan. Wir werden von diesen Besuchen nicht reich, wir können unsere ökonomischen Probleme damit nicht lösen;wir haben noch nicht einmal genügend Einrichtungen, um den Tourismus hier zu entwickeln, Deshalb kann ich Ihnen sagen, daß es auch von uns aus eine Geste war, ein Vertrauens- und Freundschaftsbeweis dem Volk der Vereinigten Staaten gegenüber, in der Gewißheit außerdem, daß sie mit aller Höflichkeit, Gastfreundschaft und freundschaftlichem Geist in unserem Lande empfangen werden.
Das heißt also, daß es für jede Geste der Vereinigten Staaten eine Antwort von unserer Seite gab. Aber Sie haben noch eine dritte Tatsache erwähnt: die Aufhebung der Spionageflüge über cubanisches Gebiet. Das stellt uns zufrieden, wir begrüßen diese Geste, sie erscheint uns positiv;aber wir können nicht mit einer gleichen Maßnahme antworten, da wir nie Spionageflüge über die Vereinigten Staaten unternommen haben. Deshalb können wir umgekehrt keine ähnliche Maßnahme ergreifen.
Nun frage ich mich folgendes: wer gewinnt dabei? Cuba? Cuba gewinnt, natürlich, Es ist zufrieden, daß es keine Flugzeuge geflogen hat, die immer zu bestimmten Zeiten den Himmel erzittern ließen, die Schallmauer durchbrochen und alle Leute belästigt haben. Das war immer eine willkürliche, mißbräuchliche und illegale Handlung, ein Bruch des internationalen Rechts.
Wer gewinnt am meisten bei der Einstellung dieser Flüge? Cuba oder die Vereinigten Staaten? Ich glaube, die Vereinigten Staaten. Wenn sie das internationale Recht anerkannt, wenn sie,eine Handlung einstellt, die ein offener Bruch unserer Souveränität war, dann gewinnt sie vor der Meinung der Weltöffentlichkeit, dann gewinnt sie an Respekt vor der Meinung der Welt. Beide gewinnen dabei.
B.W.: Herr Präsident, wir haben diese Gesten gezeigt, ob Sie nun glauben, daß sie für unser Ansehen gut waren oder nicht, für uns waren das Gesten der Freundschaft. Es gibt da einige Dinge, die Sie als Gegenleistung tun könnten. Zum Beispiel: Sie könnten veranlassen, daß die Cubaner in den Vereinigten Staaten, vielleicht sogar die Cubaner der zweiten Generation, in dieses Land zurückkommen können, um ihre Familien zu besuchen. Sie könnten auch als Gegenleistung alle oder einige der 24 Nordamerikaner freilassen, die hier in Cuba im Gefängnis sind. Sie könnten das Abkommen über die Flugzeugentführungen verlängern, das am 15. April ausläuft. Sie könnten einige Anstrengungen unternehmen bei der Entschädigung von Eigentum, das beim Sieg der Revolution konfisziert wurde – das auf einen Betrag von zweitausend Millionen Dollar geschätzt wird. Vielleicht können im Augenblick keine dieser Dinge realisiert werden, aber vielleicht könnte ein Zeichen Ihre enthusiastischen Absichten beweisen.
F.C.: Barbara, es überrascht mich wirklich, daß Sie hier von der Möglichkeit sprechen, daß ein Land, das wirtschaftlich von der Wirtschaftsblockade der Vereinigten Staaten betroffen ist, irgendein Versprechen über die Abfindung von nordamerikanischem Eigentum machen könnte. Erstens hat dieses Eigentum wenigstens zehnmal die Investitionen, die in Cuba vor dem Sieg der Revolution gemacht worden sind, wiedererhalten. Zweitens haben die Vereinigten Staaten in 18 Jahren der Feindseligkeit, der Aggression, der subversiven Pläne und der Wirtschaftsblockade unserem Land Schäden zugefügt, deren Wert um vieles größer ist als das ganze Eigentum, von dem Sie sagen, daß es konfisziert wurde. In dieser Hinsicht können wir keinerlei Geste zeigen.
Ich gestehe zu, daß wir über diese Fragen des gegenseitigen ökonomischen Interesses, der gegenseitigen ökonomischen Forderungen in der Zukunft diskutieren können, wenn die Wirtschaftsblockade beendet ist.
Bei der Übereinkunft in Bezug auf die Luftpiraterie können wir nicht vergessen, daß erst kürzlich, vor einigen Monaten, ein cubanisches Flugzeug mitten im Flug gesprengt wurde.73 Menschen haben ihr Leben verloren. Die ganze Jugendfechtmannschaft von Cuba, die gerade fast alle Goldmedaillen bei einem internationalen Wettkampf erhalten hat, kam bei dieser Sabotage ums Leben, was eine sehr tiefe Entrüstung in unserem Volk hinterlassen hat. Mehr als eine Million Menschen versammelten sich, um die sterblichen Überreste der Opfer zum Friedhof zu begleiten.
Diese Tat, begangen von Leuten, die von der CIA ausgebildet wurden und mit der unbezweifelbaren Komplizenschaft der CIA handelten, diese Tat war es, die uns motivierte, die Übereinkunft nicht zu verlängern, weil es keine einseitigen Maßnahmen oder Handlungen geben kann.
Wie könnte unser Volk das verstehen, einige Monate nach jener kriminellen Tat, ohne daß wir irgendeinen Beweis dafür hätten, daß die Vereinigten Staaten schon Maßnahmen gegen den Terrorismus getroffen haben, wie können wir da von neuem das Abkommen unterzeichnen?
Was haben wir getan? Wir haben beschlossen, daß wir während der Dauer der Wirtschaftsblockade dieses Abkommen nicht unterzeichnen werden. Denn wir haben mit aller Klarheit gesagt, daß wir diesen Vertrag nicht unterzeichnen werden, solange nicht die Feindseligkeiten der Vereinigten Staaten vollständig eingestellt werden. Und wir betrachten die Wirtschaftsblockade als eine schwerwiegende Feindseligkeit unserem Land gegenüber, die den Terrorismus anheizt. Sie boykottieren Cuba. Warum? Sie handeln aber dagegen mit Südafrika;sie investieren in ein faschistisches und rassistisches Land, in dem 20 Millionen Neger diskriminiert und unterdrückt werden.
Die Vereinten Nationen haben Blockademaßnahmen gegen Rhodesien beschlossen, und sie haben Maßnahmen gegen Südafrika beschlossen. Die Vereinigten Staaten aber handeln mit Rhodesien, wobei sie die Übereinkünfte der Vereinten Nationen brechen, sie handeln und investieren in großem Stil in Südafrika, aber auf der anderen Seite boykottieren sie Cuba.
B:W.: Wir könnten noch die ganze Nacht weiterdiskutieren über das Warum der Aktionen gegen dieses Land und nicht gegen andere. Wir haben unsere Handelsbeziehungen zu Rhodesien geändert, und wir versuchen gerade...
F.C.: Sie kaufen kein Chrom mehr in Rhodesien?
B.W.: Nein.
F.C.: Kein Chrom mehr. Großartig. Das ist eine gute Nachricht. Ich beglückwünsche sie dazu.
B. W.: Es überrascht mich, daß Sie das nicht wußten. Und in Südafrika ist das eine etwas umfassendere Frage, die viele Länder gegenwärtig prüfen, und die Vereinigten Staaten versuchen, ihre eigenen Ziele zu erreichen und ihre Politik zu ändern. Aber ich würde gerne zur Hauptfrage zurückkommen. Falls das Embargo nicht aufgehoben wird, wird Cuba nichts tun, nicht einmal eine kleine Geste, damit die Vereinigten Staaten merken, daß sie auch wirklich zusammen arbeiten wollen? Sie werden nur reagieren?
F.C.: Nein, wir haben auch Schritte gemacht, die Schritte, die wir vorhin erwähnt haben: die Besuche der nordamerikanischen Bürger; die Diskussion über das Fischerei-Problem ist ein großer Schritt.
Aber noch etwas mehr, ich möchte Ihnen Folgendes sagen: die nordamerikanischen Bürger können im Hinblick auf die Flugzeugentführungen völlig beruhigt sein, obwohl kein Abkommen besteht, da wir die Flugzeugentführungen völlig ablehnen und energische Maßnahmen ergreifen werden, um sie zu verhindern, unabhängig davon, ob ein formelles Abkommen besteht oder nicht.
Dies ist unsere Haltung, unsere Stellung zu dieser Frage. Und die Regierung der Vereinigten Staaten kennt sie.
B.W.: Werden Sie erlauben, daß Cubaner dieses Land und ihre Familien hier besuchen werden?
F.C.: Ich glaube, daß es dazu im Moment noch keine Bedingungen gibt, in der Realität gibt es keine Bedingungen dafür, da wir diese Art von Besuchen nicht erlauben können, solange sich die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Cuba nicht normalisieren werden.
B.W.: Ist es möglich, einige nordamerikanische Gefangene freizulassen? Acht von ihnen sind politische Gefangene und der Rest ist wegen Drogen oder Flugzeugentführungen inhaftiert.
F.C.: Ich habe Ihren Ausführungen aufmerksam Zugehört, und es gibt einen Punkt, in dem ich mit Ihnen übereinstimme, und zwar, daß wir unsererseits überlegen müssen, welche Art von Dingen wir noch tun Können, zusätzlich zu denen, die wir schon getan haben, um unsere ernsthaften Bemühungen, normale Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu suchen, wirklich auszudrücken.
Also, ich verstehe, daß wir daran denken müssen, welche Art von Gesten wir tun müssen innerhalb unserer Möglichkeiten. Warum, was geschieht? Es war eine einseitige Situation: die Vereinigten Staaten haben Cuba gegenüber eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die wir aber nicht auf die Vereinigten Staaten angewandt haben. Wenn die Vereinigten Staaten nun einige dieser Maßnahmen wieder aufheben, dann haben wir keine Möglichkeit, ähnliche Maßnahmen aufzuheben, weil wir solche nie angewandt haben.
Aber ich glaube, daß Sie Recht haben, wenn Sie sagen, daß man auf Gesten mit Gesten antworten sollte. Und wir werden uns überlegen, in welche Richtung wir einige dieser Gesten machen können.
Aber wir haben auch schon einige gemacht. Das ist es, was ich Ihnen gerade erklärt habe: wir haben der Regierung der Vereinigten Staaten zu verstehen gegeben, daß sich in den Vereinigten Staaten niemand Sorgen zu machen braucht, auch wenn wir das Abkommen bis jetzt noch nicht formell unterzeichnet haben, daß wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen werden, um jede Art von Flugzeugentführung zu verhindern. Und das ist, glaube ich, eine Geste, und zwar eine bedeutende Geste.
B.W.: Und die Gefangenen?
F.C.: Über die Gefangenen werden wir noch nachzudenken haben, Ich kann jetzt nicht versprechen, daß wir eine Maßnahme ergreifen werden, aber das ist etwas, was noch zu überlegen wäre. Damit bin ich einverstanden.
B.W.: Sie haben nicht erlaubt, daß das Rote Kreuz oder eine andere internationale Organisation die Gefangenen besucht?
F.C.: Ja, das haben wir in der Tat nie erlaubt, weil wir nämlich ein Prinzip haben: wir sind sehr allergisch gegen jede Art von Forschung und gegen jede Einmischung in die Angelegenheiten unseres Landes. Wir waren immer dagegen, daß irgendjemand hier Inspektionen macht. Das ist eine Frage der Souveränität. Außerdem halte ich das für eine Frage der Würde eines Landes, Wir erfüllen unsere Normen, wir erfüllen unsere Prinzipien, wir sagen immer die Wahrheit. Wenn jemand das bezweifelt, soll er das tun;aber wir erlauben nicht, daß irgendjemand versucht, unsere Realität zu beglaubigen oder unsere Wahrheit einer gerichtlichen Prüfung unterzieht.
Deshalb haben wir nie erlaubt und werden wir nie erlauben, daß irgendeine Art von Inspektion in unserem Land durchgeführt wird, das ist eine Frage des Prinzips.
B.W.: Wenn Sie gesagt haben, daß Sie die Lage der Gefangenen überdenken werden, bedeutet das, daß Sie sie in der nächsten Zukunft freilassen können, oder einige von ihnen?
F.C.: Das, was ich versprechen kann, ist, daß wir diese Frage analysieren werden im Kreis der Leitung unserer Regierung, damit die Möglichkeiten geprüft werden, eine Geste zu tun. Aber natürlich darf man nicht hoffen, daß wir sie alle freilassen werden, gerade weil einige wichtige Agenten der CIA unter ihnen sind, die wir unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht freilassen können. Ich möchte Ihnen keine falschen Versprechungen machen, Das ist nicht meine Gewohnheit. Und da wir von Gesten sprechen, ich sehe, daß Sie sich mit gutem Grund - das ist menschlich - um einige dieser Agenten der CIA, die im Gefängnis sind, Sorgen machen, und ich frage mich: warum hat man in all diesen Jahren nie eine Anstrengung unternommen, um Lolita Lebrón freizulassen, zum Beispiel, oder eine Gruppe von Puertoricanern, die seit mehr als 25 Jahren in den Vereinigten Staaten im Gefängnis sind? Wäre es nicht human, gerecht, nobel, diese puertoricanischen Gefangenen freizulassen?
B.W.: Nun, acht der nordamerikanischen Häftlinge sind politische Gefangene, und die übrigen sind wegen anderen Verfehlungen im Gefängnis, wie Drogen oder Entführungen. Aber wenn ich das von Ihnen höre, erinnere ich mich daran, daß Batista Sie auch aus dem Gefängnis entließ und daß Sie zurückkamen. Vielleicht ist das auch ein Teil Ihrer Gedanken dabei?
F.C.: Ich werde Ihnen sagen, warum: weil Batista uns erstens illegal gefangen hielt. Unser Land lebte unter einem konstitutionellen Regime, Batista kam durch Gewalt an die Macht, durch einen Staatsstreich riß er das Land an sich;alle seine Handlungen waren illegal. Unser Kampf gegen das Batista-Regime war vollkommen gerecht und legal.
Noch etwas: ich befand mich in Übereinstimmung mit den Regeln der Verfassung.
Ich konnte so würdevoll sein und ins Gefängnis gehen wie Washington und Jefferson, als sie sich gegen die englische Herrschaft in den alten britischen Kolonien auflehnten. Und niemand stellt die Legitimität, die Ehre und die Größe dieser nordamerikanischen Patrioten in Frage. die sich gegen die Tyrannei auflehnten. Und genau das haben wir auch getan.
Es war auch nicht Batista, der uns freiließ. Eis war das Volk mit seiner Bewegung;es waren die Massen mit ihren Forderungen, was zusammentraf mit dem Interesse Batistas, eine Wahlfarce durchzuführen. Und das konnte er nicht tun, solange wir noch nicht frei waren. Und weil es für seine Pläne und Interessen von Vorteil war, ließ er die wenigen Überlebenden des Moncada-Angriffs frei, nachdem er mehr als 70 unserer Kameraden ermordet hatte. Während die Agenten der CIA, die hier gefangen sind, Männer waren, die von einer fremden Macht kamen, und die daran arbeiteten, die Revolutionäre Regierung zu stürzen, wobei sie einen schwerwiegenden Akt begingen, der von allen internationalen Gesetzen bestraft wird, von den Gesetzen aller Länder und von unseren eigenen Gesetzen.
Wir haben eine gerechte Sache begangen;sie aber haben keine gerechte Sache gemacht. Wir haben unserem Vaterland gedient, sie dienten einer mächtigen ausländischen Großmacht, und sie wurden rechtskräftig verurteilt. Das ist der Unterschied.
B.W.: Betrachten Sie sich selbst als einen George Washington oder einen Thomas Jefferson?
F.C.: Ich wäre unfähig, mich als einen George Washington oder Thomas Jefferson zu sehen. Ich habe zuviel Respekt für die historischen Gestalten, um zu versuchen, mich mit ihnen auf eine Stufe zu stellen. Und ich glaube, daß die Menschen nicht selbst von ihrer historischen Dimension sprechen können, sondern nur die nächsten Generationen. Ich habe niemals in meinem Leben gekämpft, um in der Geschichte einen Sockel zu erreichen, ich habe aus objektiven Gründen gekämpft, ich habe für die Gerechtigkeit gekämpft. Und ich bin immer und werde auch weiterhin einer Maxime von Marti folgen, daß alle Ehre der Welt in einem Maiskorn liegt.
B.W.:Herr Präsident, könnten Sie Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten aufnehmen, bevor das Embargo aufgehoben ist oder bevor normale Beziehungen bestehen?
F.C.: Vor der Aufhebung der Blockade – Sie nennen es Embargo, ich nenne es Blockade - ist es unmöglich, Handelsbeziehungen aufzunehmen, weil die nordamerikanischen Gesetze, die Übereinkünfte und Verfügungen der Regierung das verbieten. Wenn das Embargo - wie Sie es nennen - aufgehoben wird, dann können wir Handelsbeziehungen aufnehmen, bevor wir diplomatische Beziehungen haben. Aber ich glaube, daß dieser Schritt die geeigneten Bedingungen schaffen würde für die nachträgliche Wiederherstellung der Beziehungen.
Wenn das Embargo aber nur teilweise aufgehoben wird und nur in einer Richtung Waren erworben werden können, d.h. bestimmte Waren, dann werden wir keinen Handel haben können, weil wir diese Diskriminierung nicht akzeptieren können: daß wir Lebensmittel in den Vereinigten Staaten kaufen, aber die Vereinigten Staaten bei uns keinen Zucker kaufen und keine anderen landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Das wäre unmöglich.
Wenn aber das Embargo nach beiden Seiten teilweise aufgehoben würde, dann kann es einen gewissen Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zwischen den Vereinigten Staaten und Cuba geben. Das wäre schon ein Fortschritt, aber es löst das Problem nicht. Ich muß feststellen, daß damit das Problem nicht gelöst ist.
B.W.: Aber wenn das Embargo oder die Blockade in einer Richtung aufgehoben würde, so daß sie in den Vereinigten Staaten Lebensmittel und Medikamente kaufen könnten, würden Sie auch das zurückweisen weil es nicht für beide Richtungen gilt?
F.C.: Wenn es nur aufgehoben wird, damit wir landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den Vereinigten Staaten kaufen können, wir aber den Vereinigten Staaten keine landwirtschaftlichen Produkte verkaufen können, dann werden wir absolut nichts von den Vereinigten Staaten kaufen, nicht einmal eine Aspirin-Tablette für Kopfschmerzen. Und Kopfschmerzen haben wir genug.
B.W.: Also ist das Gesetz vom Senat, was Sie anbelangt, unnütz?
F.C.: Es löst das Problem nicht. Ich verstehe die großartigen Absichten von McGovern wirklich. Und der Anfangsvorschlag war, wie ich ihn verstanden habe, die teilweise Aufhebung der Blockade in beide Richtungen. Aber der Beschluß des Senats war dann etwas anders. Er war nicht anders: er wurde seinerseits boykottiert durch einen Beschluß des Kongresses, der jede Art von Handel m t Vietnam und Cuba verbot. Einmal mehr haben die Vereinigten Staaten, mächtig, übermächtig wie sie sind, Gesten dieser Art gegen zwei kleine unterentwickelte Länder gezeigt.
Ich kann mir nicht erklären, wie sich diese Institutionen, diese Kongreß-Abgeordneten, bei so einer Handlung ehrenhaft fühlen können. Sie sagen anscheinend: diese Unglücklichen werden sterben. Nein. In keiner Weise. Diese Unglücklichen werden nicht sterben. Man verkauft ihnen noch nicht einmal eine Aspirin-Tablette.
Und wir haben nicht einmal geprüft, ob wir Geld haben oder nicht, um Aspirin zu kaufen, denn wenn wir nicht exportieren können, woher sollen wir dann das Geld zum Kaufen nehmen?
B.W.: Wenn die nordamerikanischen Gesellschaften hierher kommen, wie würden Sie die nordamerikanischen Investitionen empfangen, oder, wenn die Investitionen in Gesellschaften erfolgen würden, könnten die Investoren dann Eigentümer ihrer eigenen Anlagen sein? Wie würde das funktionieren?
F.C.: Das ist ein völlig neues Problem für mich, das wir noch nicht durchdacht haben.
Schauen Sie, wir können es uns nicht leisten, Dogmatiker zu sein. Das Wichtigste für ein Land ist, wie es seine Kräfte einsetzt;das Wichtigste für ein Land ist, wen die Regierung repräsentiert. In unserem Land repräsentiert die Regierung die Interessen der Arbeiter, der Bauern, des arbeitenden Volkes. Alles was wir tun, ist für ihr Wohl. Also, ohne die zukünftige Politik vorwegzunehmen, glaube ich, daß wir zu der bestimmten Zeit, in der sich ein Problem dieser Art stellen wird - der fremden Investitionen in unserem Land - praktisch analysieren müssen, ohne Dogmatismus, was das Richtige oder das Beste für unser Land ist, und in Übereinstimmung damit die Entscheidung fällen.
Ich bin sicher, daß jeder Vorschlag in dieser Richtung in der Leitung unserer Partei frei und ohne Dogmatismus irgendwelcher Art analysiert werden wird, ob er für unser Land gut ist oder nicht.
B.W.: Das heißt, daß Sie mit Leuten wie den Kaufleuten aus Minnesota über den Handel diskutiert haben und nicht daran gedacht haben, daß es vielleicht Fabrikbesitzer sein könnten, wie sie die Investitionen anlegen werden und wie die Handelsbedingungen sein werden.
F.C.: Barbara, wollen Sie, daß wir die Brücke überqueren, bevor wir am Fluß sind?
B.W.: Nein, Sie sind auf der Brücke.
F.C.: Sie haben gesagt, daß wir keine Gesten zeigen würden, und hier ist der Gegenbeweis. Wir haben in der letzten Zeit zahlreiche nordamerikanische Persönlichkeiten und eine große Anzahl von Geschäftsleuten aus den Vereinigten Staaten empfangen, aber sie kamen nicht mit der Absicht, in Cuba Investitionen zu tätigen;sie kamen, um erste Kontakte herzustellen und um zu prüfen, welche Handelsmöglichkeiten bestehen, wenn die Blockade eines Tages aufhört. Aber von nordamerikanischen Investitionen hier ist nicht gesprochen worden und wir haben auch wirklich nicht daran gedacht.
B.W.: Entschuldigen Sie, daß ich das erwähnen mußte. Es tut mir leid, daß ich das gesagt habe. Wenn Sie und die Vereinigten Staaten Wirtschafts- und Handeisbeziehungen haben, wie wird dann die Zukunft aussehen, wo wir doch verschiedene Positionen haben in politischer und außenpolitischer Hinsicht? Werden diese normalen Beziehungen einige Ihrer Positionen in Hinblick auf die Außenpolitik beeinflussen? Ich glaube, es ist schwierig, in einigen Punkten Freund und in anderen Feind zu sein?
F.C.: Sehen Sie: erstens wäre das nichts Neues. Die Vereinigten Staaten handeln mit der Sowjetunion, mit China, mit allen sozialistischen Ländern Osteuropas, und dieser Handel entwickelt sich. Der Handel mit Polen wächst;der Handel mit Ungarn, der Handel mit Bulgarien, der Handel mit der DDR wächst. Die Erfahrung wäre nicht neu. Dies zuerst.
Zweitens möchte ich eine ähnliche Frage stellen. Wird der Handel der Vereinigten Staaten mit Cuba möglicherweise einige der Positionen der internationalen Politik der Vereinigten Staaten ändern? Warum müssen wir uns das fragen, die gleiche Frage können Sie sich stellen.
Gut. Das Thema, das Sie ansprechen, hat meiner Ansicht nach wirklich keinen Sinn. Ich glaube das Folgende. Die Politik der Feindseligkeit der Vereinigten Staaten gegenüber Cuba ist ihre schlimmste Politik. Ich bin völlig sicher, daß in Bezug auf Cuba eine Politik der normalen Beziehungen und eine Politik des Handelsaustausches viel intelligenter wäre. Ich werde Ihnen nicht sagen - ich werde die Nordamerikaner oder sonst jemanden nicht hinters Licht führen -,daß wir unsere Politik ändern werden, daß wir unsere Ideologie ändern werden, daß wir unsere politischen Prinzipien ändern werden. Wir werden es nicht so machen wie jene Gestalt aus der Bibel, die das Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkaufte. Wir werden unsere Ideen weder für Geld noch für irgendein materielles Interesse verkaufen.
Aber die historische Erfahrung, auch unsere eigene Erfahrung, beweist, daß jede verantwortliche Regierung, jede wirklich um ihr Volk besorgte Regierung, diese Interessen und diese ökonomischen Bindungen berücksichtigt, wenn ökonomische Bindungen zwischen zwei Ländern hergestellt werden. Und auf die eine oder andere Art üben sie einen gewissen Einfluß auf die Handlungen der Regierungen aus.
Wir fühlen uns wirklich frei, sehr frei. Es existiert keine ökonomische Bindung zu den Vereinigten Staaten;die Blockade wird immer noch aufrechterhalten, und so brauchen wir uns wirklich niemals zu fragen, ob irgendwelche Dinge unserer internationalen Politik den Vereinigten Staaten passen oder nicht. Ich sage Ihnen das, weil ich ein realistischer Mensch bin und weil ich gerne ernst bin. Deshalb kann ich manchmal sogar sagen, wann der Gegner schlecht oder gut handelt. Aber vom Gesichtspunkt der Vereinigten Staaten aus bin ich sicher, daß ihre Politik in Bezug auf Cuba so falsch wie möglich ist. Um keine stärkeren Begriffe zu benutzen.
B.W.: Glauben Sie, daß die Vereinigten Staaten eines Tages ein sozialistisches Land sein werden?
F,C.: Ich glaube das, ja. Eines Tages. Die Vereinigten Staaten waren eine Zeit lang eine englische Kolonie. Wenn man einen Engländer gefragt hätte, ob die Vereinigten Staaten eines Tages unabhängig sein würden, dann hätte die englische Krone - vor Washington - nein gesagt, daß sie immer eine englische Kolonie bleiben würden.
Danach haben sich die Kolonien in den Vereinigten Staaten befreit, eine Nation bildete sich;aber es war ein Sklavenstaat. Wenn man damals einen Sklavenhalter gefragt hätte, hätte er gesagt: nein, die Sklaverei wird niemals aufhören. Aber ein bewußter Mensch in jener Zeit hätte gesagt: eines Tages wird die Sklaverei aufhören. Man machte Schluß mit der Sklaverei;es kamen die unterbezahlten Arbeiter; es kam der Kapitalismus, er entwickelte sich außerordentlich;die großen multinationalen Konzerne entwickelten sich. Und wenn man einen vernünftigen Menschen heute fragen würde, ob das ewig so sein wird, muß er sagen: nein, es wird nicht ewig so sein. Eines Tages wird das kapitalistische System in den Vereinigten Staaten verschwinden weil kein Klassensystem ewig gewesen ist.
Eines Tages werden die Klassengesellschaften verschwunden sein. In diesem Sinne sage ich das.
Aber Sie können beruhigt sein. Ich erkenne auf kurze Sicht keinerlei Veränderung in Richtung auf den Sozialismus in den Vereinigten Staaten.
B.W.: In der Generation meines Kindes?
F.C.: Realistisch gesehen... Schauen Sie, im allgemeinen haben die, die an soziale Veränderungen gedacht haben, sich immer vorgestellt, daß es schneller, sehr viel früher kommen würde. Die Geschichte hat gezeigt, daß die sozialen Veränderungen nicht so schnell vonstatten gehen.
Wenn ich sagen würde, daß die Vereinigten Staaten in der Generation ihrer Kinder zum Sozialismus übergehen werden, könnten Sie mich mit Recht des Optimismus beschuldigen. Ich glaube, noch nicht einmal in der Generation Ihrer Kinder.
Nun, ich weiß nicht, was die Marxisten in den Vereinigten Staaten, die Sozialisten in den Vereinigten Staaten denken werden. Möglicherweise haben sie andere Kriterien. Vielleicht haben Sie die Hoffnung, daß es geschehen könnte.
Aber wenn ich Ihnen etwas sagen darf. Niemand wird Ihnen diesen Wechsel aufzwingen noch aufzwingen können, Glauben Sie an die Demokratie?
B.W.: Ja. Ich frage mich, ob einige Leute denken können, daß Cuba eine Demokratie haben wird, zur gleichen Zeit wie wir den Sozialismus.
F.C.: Nein, Eine Demokratie im nordamerikanischen Stil, nein. Eine kapitalistische, bürgerliche Demokratie werden wir nicht haben. Das ist sicher.
Aber wenn die Mehrheit des Volkes der Vereinigten Staaten eines Tages den Sozialismus will, dann stellt sich mir eine Frage. Wird die CIA damit einverstanden sein? Wird das Pentagon damit einverstanden sein? Werden die multinationalen Gesellschaften damit einverstanden sein? Wird die Machtelite damit einverstanden sein?
B.W.: Es wird keine Rolle spielen, ob alle damit einverstanden sind, wenn das Volk gewählt hat und dafür gestimmt hat, vorausgesetzt wir haben freie Wahlen.
F.C.: Ja,nehmen wir den Fall. Alle vier Jahre werden die beiden bestehenden Parteien in den Vereinigten Staaten...
B.W.: Nicht alle vier Jahre. Wir haben lokale Wahlen, wir haben alle zwei Jahre Senatswahlen. Es geht nicht um die Wahlen alle vier Jahre, für die Präsidentenwahl. Und wir sind kein Land, das von der CIA dirigiert wird.
F.C.: Nein, das habe ich auch nicht gesagt. Ich habe mich auf das Zentrum der Macht, die Präsidentschaft, bezogen.
Alle vier Jahre stellen die beiden traditionellen Parteien ihre Kandidaten auf und wählen ihren Präsidenten. Und sie haben einige gewählt... Sagen wir, ich glaube, als sie Roosevelt wählten, haben sie eine gute Partie gemacht;als sie Nixon wählten, begingen sie einen großen Irrtum.
B.W.: Was halten Sie von Richard Nixon?
F.C.: Ich glaube, daß wir schon darüber gesprochen haben. Ich würde sagen, daß es einen nicht sehr ehrt, von Nixon zu sprechen, wo er seit kurzem nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten ist. Aber ich hatte immer den Eindruck, daß Nixon ein falscher Mensch war, und daß er ein mittelmäßiger Politiker war, ein Falschspieler. Ich glaube, daß die Taten mit diesem Eindruck übereinstimmen. Aber ich glaube, daß Beste, was Nixon machen kann, ist zu versuchen, daß man ihn vergißt.
B.W.: Sie glauben, daß er diese Interviews nicht hätte machen müssen?
F.C.: Was hat das alles für einen Sinn? Welche Ergebnisse hat das gebracht? Vielleicht sind die Menschen jetzt überzeugt, daß Nixon ein ehrbarer Mann ist? Ich habe den Eindruck, daß sein Rechtfertigungsversuch genausoviel Unmut erzeugt hat.
B.W.: Betrachten Sie die Vereinigten Staaten als einen Feind?
F.C.: Nein, es sind die Vereinigten Staaten, die sich als unser Feind betrachten.
B.W.: Gestern waren Sie und ich auf einer Farm, und die Kinder dort wußten nicht, daß ich aus den Vereinigten Staaten war. Sie sagten: "Fidel, Fidel, gib’s den Yankees!", und Sie sagten uns, daß die Kinder nicht etwa unhöflich seien, sondern daß sie nur nicht wüßten, daß ich aus den Vereinigten Staaten bin. Aber sie glaubten, daß es ihnen gefallen würde. Das heißt, sie geben es den Yankees, zeigen ihren Kindern den Yankee- Imperialismus und daß man die Yankees hassen soll. Wir bringen unseren Kindern nicht bei, die Cubaner zu hassen.
F.C.: Nun, wenn wir unseren Kindern beibringen, daß die Vereinigten Staaten ein imperialistisches Land sind, dann bringen wir ihnen meiner Meinung nach die Wahrheit bei.
In Bezug auf das, was Sie mir sagen, ist es gewiß eine Anekdote, das geschah wirklich. Nun, das ist eine Losung aus den Tagen von Girón, aus den Tagen der Oktoberkrise, aus den Tagen der Aggressionspläne, aus den Tagen der CIA und der Mordpläne. Es ist eine alte Losung.
B.W.: Aber sie besteht weiter.
F.C.: Eine alte Losung, die all diese Jahre hindurch bestanden hat. Nun wissen es selbst die Kinder, die Arbeiter wissen es, die Bauern, das ganze cubanische Volk weiß, daß sich die Vereinigten Staaten wie ein Feind Cubas verhalten und daß die Vereinigten Staaten eine rigorose Blockade gegenüber Cuba aufrechterhalten. Das wissen sie. Das sind Losungen. Viele Male, bei vielen öffentlichen Anlässen, gibt es Losungen, die eine bestimmte Stärke erlangen, und so werden sie wiederholt, nicht die Kinder... es sind nicht die Kinder.
B.W.: Ich habe mich nicht beleidigt gefühlt.
F.C.: Ich weiß es, ich weiß es. Es sind nicht die Lehrer, die den Kindern das beibringen. Das ist eine Losung des Volkes im allgemeinen, die in großem Maße vorkommt. Und die Losungen werden wiederholt. Oft geht jemand zu einer Versammlung und kommt ein anderes Mal wieder und wiederholt das.
Denken Sie an das Folgende: als die Cubaner auf eine dramatische Art umkamen, wie es vor einigen Monaten geschehen ist, und man die Geschichte all dieser Taten aufdecken mußte, da war es logisch, daß es im Herzen des Volkes Gefühle der Abwehr und der Verdammung all dieser Dinge gibt. Die Worte werden zu einem Symbol. Ich sage Ihnen Folgendes: Wenn sie gewußt hätten, daß Sie Nordamerikaner sind, hätten sie das nicht gesagt. Warum? Weil diese Kinder-gebildet sind, und unsere Bevölkerung ist eine gebildete Bevölkerung, es ist keine analphabetische Bevölkerung mehr, sie hat eine allgemeine und eine politische Kultur erworben. Und eine der Charakteristiken unseres Volkes ist die Gastfreundschaft, der Respekt dem Besucher gegenüber. Wenn sie es gewußt hätten, hätten sie aus Höflichkeit nichts gesagt. Das war es, was ich meinte.
B.W.: Ich möchte mich ein wenig von der Politik entfernen.
F.C.: Sie können, wenn Sie wollen, diese Schule besichtigen, und mit den Kindern dort sprechen;Sie können sie fragen, was sie denken, sich mit ihnen unterhalten, sie fragen, ob sie Ihnen etwas sagen möchten. Sie können es selbst ausprobieren.
B.W.: Wenn ich nur Zeit hätte! Wenn Sie es mir erlauben, würde ich gerne, bevor wir zur Politik zurückkehren, einige persönliche Fragen an Sie stellen, da Sie ein sehr geheimnisvoller Mann für uns sind. Erstens, warum so geheimnisvoll? Sie tauchen aus dem Nichts auf, Sie erscheinen und verschwinden wieder. Wir haben gehört, daß Sie noch nicht einmal in einem eigenen Haus wohnen. Das zeigt, daß Sie ein Mann voller Geheimnisse und Mysterien sind.
F.C.: Dann können wir ja sagen, daß wir der Theorie des Mysteriums gegenüberstehen, ja? Und ich frage mich, und ich bin der Erste, der mich das fragt, wo das Mysterium ist und wer diejenigen sind, die das Mysterium erfinden. Nun, es gab seit dem Beginn der Revolution einige Dinge, die wir tun mußten, Wenn man eine Reise macht, z. B., weshalb sollte man das dann der CIA und ihren Terroristen ankündigen, daß man eine Reise macht? Warum soll man ihnen das in dieser Zeit ankündigen, - seit mehr als 10 Jahren -,in der der CIA alle Mitiel und Wege benutzt hat, um mich umzubringen? Welche Verpflichtung könnten wir haben, die Arbeit der CIA zu erleichtern? Logischerweise verpflichtet uns das, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.
Nun, Sie sagen, daß ich ständig erscheine und wieder verschwinde. Ist das das Bild, das Sie von einem pünktlichen Menschen haben? Wir sehen uns zu jener Stunde, an jenem Ort, in jenem Büro. Das ist aber nicht das wirklich Wichtige. Warum muß man aus all dem ein Geheimnis machen? Übrigens, nichts ist mir fremder als das Geheimnis, nichts steht mir ferner. Im Gegenteil, mir gefällt es, wenn alles ohne Protokoll geht, ohne Geheimnistuerei, auf die einfachste und normalste Art. So bin ich und so lebe ich.
B.W.: Kürzlich war Ihre Schwester im amerikanischen Fernsehen. Sie haben eine Schwester, Juanita, die in den Vereinigten Staaten lebt. Sie kritisiert Sie oft. Sie hat sogar Präsident Carter über Sie geschrieben und gesagt, daß Sie ein Ungeheuer seien, das man vernichten müsse.
F.C.: Stellen Sie sich das vor!
B.W.: Ich habe zwei Fragen...
F.C.: Schauen Sie: scheint Ihnen das nicht eine Ungeheuerlichkeit, daß eine Schwester das von ihrem Bruder sagt?
B.W.: Ja, ich frage mich, warum.
F.C.: Gut, ich werde Ihnen etwas sagen. Wir sind Geschwister, d.h. Kinder desselben Vaters und derselben Mutter. Wir haben dasselbe Blut, aber verschiedene Ideen. Ich bin Sozialist, ich bin Kommunist, obwohl sie in ihrer Leidenschaft sogar soweit geht, zu sagen, ich sei kein Kommunist. Sie hat andere politische Ideen, sie ist eine Gegnerin des Sozialismus, eine Gegnerin des Kommunismus, sie ist aktiv und leidenschaftlich in ihrer Militanz und ihrem Kampf gegen den Kommunismus. Und das erklärt die sehr kritische Position, die sie in Bezug auf mich hat.
Ich weiß, daß sie einen Brief an Carter geschrieben hat - der Brief wurde später veröffentlicht - gegen die Beziehungen mit Cuba. Aber man begeht wirklich einen Fehler, wenn man versucht, Castro als ein Symbol für alle schlechten Dinge auf der Welt hinzustellen. Aber gut, das ist kein grundlegendes Problem. Ich bin ein Bürger dieses Landes, das 9 1/2 Millionen Einwohner hat. Und ich würde Folgendes sagen, was wirklich meinen Überzeugungen entspricht: ich habe 9 ˝ Millionen Brüder: Brüder der Ideen, Brüder des Vaterlandes, Brüder der Revolution. Das sind in Wirklichkeit meine Brüder. Wir haben Millionen von Kindern. Das sind in Wahrheit unsere Kinder, für sie kämpfen wir, für sie arbeiten wir.
Ich habe viele Brüder in diesem Kampf gehabt. Diejenigen, die mit mir bei der Moncada dabei waren und starben, sind meine Brüder. Die, die mit mir im Gefängnis waren, sind meine Brüder, die, die mit mir in der Granma kamen, sind meine Brüder, die, die in der Sierra Maestra kämpften, sind meine Brüder, die, die bei Girón kämpften und bei Girón starben, sind meine Brüder, die im Escambray kämpften, die in Angola kämpften sind meine Brüder, die, die gestorben sind, als sie eine gerechte Sache in irgendeinem Winkel der Welt verteidigten, das sind alles meine Brüder.
Raúl ist auf doppelte Art mein Bruder: Bruder in diesem ganzen Kampf und Bruder der Ideen. Aber Raúl hat kein Amt in dieser Revolution, weil er mein Blutsbruder ist,sondern weil er mein Bruder in den Ideen ist, und weil er sich diesen Platz mit seinen Opfern verdient hat, mit seinem Mut und seiner Fähigkeit.
Ich habe eine andere Auffassung von der Welt. Meine Familie ist sehr groß. Meine Familie ist nicht nur Cuba: meine Familie sind die Angolaner, meine Familie sind die Befreiungsbewegungen in Afrika, meine Familie bilden alle fortschrittlichen und revolutionären Völker der Welt. Ich habe das Privileg, eine sehr große Familie zu besitzen: die Familie der Revolutionäre der ganzen Welt.
Wie Sie verstehen werden, widmet man jemanden, der eine andere Auffassung hat, mehr Aufmerksamkeit, und obwohl wir blutsverwandt sind, greift sie mich an. Aber ich sehe das anders. Ich bedaure es und ich mache mir Sorgen, weil sie diese Dinge tut, aber ich kann ihnen in Wirklichkeit keine Bedeutung beimessen.
Es würde mich mehr schmerzen, wenn man sagte, ich hätte eine Schwester in Cuba, die stehlen würde, die Privilegien hätte, die zur Millionärin geworden sei;aber daß man mich angreift, weil wir diese Dinge nicht erlaubt haben und weil wir Revolutionäre sind, daß entehrt mich nicht, das verwundet mich nicht.
B.W.: Eine der Sachen, die Ihre Schwester sagte und die einige Amerikaner glauben ist, daß Sie erst zum Kommunisten wurden, nachdem Sie die Kontrolle der Regierung innehatten. Daß, als Sie in den Bergen waren, das Volk noch nicht wußte, daß Sie ein Kommunist waren, und auch am Beginn noch nicht. Auf diese Art hätten Sie das Volk betrogen. Ich würde Sie gerne fragen: Wann haben Sie sich in einen Kommunisten verwandelt. Natürlich habe ich davon schon reden gehört.
F.C.: Ja, wie auch nicht!Ich habe es tausende Male gehört, und es macht mir viel Ehre. Das ist eine Mischung aus Überzeugung und Täuschung. Wenn man sagen würde, daß ich viel dabei geholfen habe, daß Volk zugunsten des Sozialismus und Kommunismus zu beeinflussen, so würde man in der Tat die Wahrheit sagen. Wer hat das Volk betrogen? Wie kann man jemanden betrügen und ihn durch den Betrug zu einem Kommunisten machen? Ein Volk kann nur durch Überzeugung zu Sozialisten und Kommunisten gemacht werden.
Wenn ich mich erst gestern - gestern – zu einem Kommunisten gewandelt hätte, hätte das keinerlei Bedeutung;wenn ich mich zu einem Kommunisten gewandelt hätte, nachdem die Revolution gesiegt hat, hätte das keine Bedeutung, sofern ich ein ernsthafter Kommunist wäre. Aber gut, was für eine sonderbare Angelegenheit! Wessen beschuldigt man mich? Kommunist zu sein oder kein Kommunist zu sein? Was bin ich denn dann schließlich?
Ich kann Ihnen zu Ihrer Information mitteilen, - und ich habe kein besonderes Interesse, das zu erklären -, daß ich schon öfter davon gesprochen habe: ich bin auf meine eigene Rechnung zum Kommunisten geworden, und ich bin zum Kommunisten geworden, bevor ich ein Buch von Marx, Engels oder Lenin oder von sonst jemanden gelesen habe. Ich bin zum Kommunisten geworden, als ich die politische Ökonomie des Kapitalismus studiert habe. Und als ich ein wenig Verständnis für all diese Probleme hatte, erschien es mir in der Tat so absurd, so irrational, so unmenschlich, daß ich ganz einfach angefangen habe, für mich selbst verschiedene Produktions- und Verteilungsformeln auszuarbeiten. Und das war, als ich im dritten Jahr an der Universität von Havanna Jura studiert habe.
Ich werde Ihnen noch etwas sagen, weil ich weder mein Leben noch meine Herkunft verheimliche und weil ich absolut nichts dazu erfinden muß, verstehen Sie? Und wenn ich ein falscher Mensch wäre, dann hätte ich in diesem Land niemanden überzeugen können. Deshalb kann ich sagen, daß zum Zeitpunkt des Sieges der Revolution die Mehrheit des Volkes weder Sozialisten noch Kommunisten waren;aber als die Revolution siegte, waren meine Überzeugungen die eines Sozialisten, eines Kommunisten.
Ich bin im Kreise einer Landbesitzerfamilie geboren;ich habe den Volks- und Hauptschulunterricht auf religiösen Kollegien erhalten; ich kam auf die Universität von Havanna als ein politischer Analphabet und niemand paukte mir eine Idee ein;sie ist das Produkt meiner eigenen Analyse und meiner eigenen Überlegungen. Ich bedaure sehr, daß ich als Kind niemanden gehabt habe, der mich politisch unterrichtet hätte, daß ich das alles alleine entdecken mußte. Und ich bin zu diesen Auffassungen gelangt, indem ich mich zu dem, was man einen utopischen Kommunisten nennen kann, verwandelt habe. Danach habe ich mich mit der marxistischen Literatur beschäftigt, mit dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels, mit den Werken von Marx, Engels und Lenin.
Vielleicht wird es in Cuba oder sogar außerhalb Cubas einige Menschen geben, die manchmal die Geduld fanden, mir bei all der Kritik der kapitalistischen Gesellschaft zuzuhören, stundenlang manchmal, als ich noch nicht ein einziges marxistisches Dokument gelesen habe.
Natürlich hatte die marxistische Literatur, nachdem ich mit ihr konfrontiert war, einen enormen und direkten Einfluß.
Nun, was man doch sagen kann ist, daß unser Programm vor der Revolution noch kein sozialistisches Programm war;aber das Programm von Moncada schon, 1953, lange vor dem Sieg der Revolution, wer das gründlich liest, gründlich analysiert, der wird sehen, daß es zuallererst ein Programm der nationalen Befreiung war, ein sehr weit fortgeschrittenes Programm, ein Programm, das dem Sozialismus sehr nahestand. Ich würde sogar sagen, daß es das Höchste war, was die Masse unserer Bevölkerung zu jener Zeit und unter jenen Umständen begreifen konnte.
Unser Programm war noch kein sozialistisches Programm, aber ich hatte doch schon meine festen sozialistischen und kommunistischen Überzeugungen.
Als die Revolution siegte, war das Volk weder sozialistisch noch kommunistisch. Es war noch zu sehr betrogen, betrogen um die Wahrheit;zu sehr vergiftet durch die antikommunistische Propaganda der MacCarthyÄra; zu sehr vergiftet durch die bürgerlichen Zeitungen, durch die bürgerlichen Richter, durch die bürgerliche Literatur, durch das bürgerliche Kino, das alleine aus den Vereinigten Staaten kam.
Es war die Zeit des MacCarthyismus. Deshalb kann man sagen, daß das Volk noch nicht sozialistisch oder kommunistisch war. Was machte es zu Sozialisten und zu Kommunisten? Die revolutionären Gesetze, das Werk der Revolution, die Überzeugung und die Erziehung.
Das ist die historische Realität.
Die Historiker, abgerückt von der Klatschsucht, haben sich manchmal dazu durchgerungen, die Dinge so zu schreiben, wie sie wirklich waren. Nun ist das Volk sozialistisch und kommunistisch, und es gibt eine vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Volk, der Partei und den Führern So sieht die Realität aus. Und die werden sie .nicht ändern, ich versichere Ihnen, daß sie sie nicht ändern werden. Dies hier verändert nichts, auch nicht wenn Millionen amerikanischer Touristen hierher kommen.
B.W.: Herr Präsident, Sie haben gesagt, daß ein Mensch nicht zu lange in einem Amt sein soll, weil er sich dann in einen arroganten Menschen verwandeln kann. Könnte das in Ihrem Falle geschehen?
F.C.: Gut, ich soll also von mir selber sprechen, oder? Ich bin in dieser Hinsicht absolut ruhig und absolut davon überzeugt, daß das nicht geschehen kann, weil mein Leben immer ein Kampf gegen mich selbst gewesen ist, oder besser gesagt, eine ständige Anstrengung zur Verbesserung. Ich habe die verschiedenen Altersstufen eines Kindes auch durchlebt: die Kindheit, das Heranwachsen, die Jugend, all das. Ein Mensch kann sich in den verschiedenen Etappen angegriffen fühlen, durch irgendwelche dieser Dinge, durch die Arroganz, die Eitelkeit, all diese Sachen. Und ich war immer sehr auf der Hut vor all dem, oder ich war mir wenigstens dessen bewußt, wenn ich mich zu einigen dieser Gefühle habe hinreißen lassen.
Mein Kriterium ist: Je mehr man heranreift und je mehr man kämpft, während jemand von einer Idee oder einem Vorschlag durchdrungen ist, daß diese Faktoren, mit denen wir geboren werden, - mit diesen Dingen wird man geboren -, daß diese Dinge auf dem Weg zurückbleiben, wenigstens in meinem Fall. Man spricht immer davon, daß die Macht korrumpiert; man sagt immer, daß die Macht die Menschen arrogant und stolz macht. Und das sagt man nicht nur, sondern das ist auch in vielen Fällen in der Geschichte so geschehen. Aber man darf nicht vergessen, daß wir eine Doktrin haben;d. h., daß wir kein Caudillo sind, dessen Einfluß und dessen Macht auf seiner Persönlichkeit basiert oder in den persönlichen Sympathien, sondern daß unsere Macht und unsere Stärke in den Ideen basiert, in einer Doktrin, in Überzeugungen. Sind Sie sich dessen bewußt? Und wir sind in diesem Sinne erzogen. D.h., wir haben eine besondere Art von Religion, wenn Sie so wollen, mit unseren Ideen.
Und ich sagte es Ihnen schon, ich habe eine Philosophie, die ich vorhin auch schon erwähnt habe mit einem Satz von Marti;aber ich glaube, daß diese Gefahr in meinem Fall nicht mehr existiert. Nicht nur in subjektiver, sondern auch in objektiver Hinsicht.
Als die Revolution siegte, konnte man sagen, daß meine persönliche Macht sehr groß war, weil ich der Befehlshaber eines siegreichen Heeres war. Und ein Krieg wird nicht durch kollektive Methoden, im allgemeinen also mit demokratischen Methoden geführt, sondern er basiert auf der Verantwortung des Befehlshabers, der die endgültigen Entscheidungen trifft. Aus Überzeugung haben wir unmittelbar nach dem Sieg der Revolution angefangen, die Bedingungen für die Vereinigung mit anderen Organisationen und die Errichtung einer gemeinsamen Leitung zu schaffen, nämlich eine Partei zu gründen, All diese Sachen haben wir gemacht. Wir hatten sogar noch vor Moncada in unserer Bewegung eine kleine Leitung, die kollektiv war. Danach kam dann der Prozeß, der Krieg, und dann, nach dem Sieg der Revolution, der ganze Prozeß der Institutionalisierung der Revolution. Fast von den ersten Tagen an haben wir eine Leitungsgruppe zwischen den fähigsten Führern unserer und anderer Bewegungen geschaffen. Wir haben also immer eine ständige Predigt gegen den Personenkult geführt, gegen die Hoffart der Menschen. Wir haben Denkmäler, Straßennamen und alle anderen Arten von Manifestationen des Personenkultes verboten.
So bin ich weit davon entfernt, einen Prozeß zu durchlaufen, in dem das Individuum jedes Mal mehr Macht erhält. Diese Gefahr besteht also überhaupt nicht, und zwar wegen der Institutionen, die wir geschaffen haben, wegen unserer Überzeugungen und unserer Mentalität.
B.W.: Aber die Kinder küssen Sie und die Leute rufen:"Fidel, Fidel" Sie sind eine Legende.
F.C.: Richtig. Aber was verstehe ich, wenn sie "Fidel" rufen oder wenn sie mich küssen oder mir applaudieren? Ich kann nicht glauben, daß das ein Verdienst von mir ist. In diesem Falle nehmen sie mich als ein Symbol.
Die Kinder haben Schulen, aber ich war nicht derjenige, der diese Schulen gebaut hat;es waren hunderte von Arbeitern, die diese Schulen gebaut haben. Sie haben ein Campamento; dieses Campamento habe ich nicht gebaut; dieses Campamento haben hunderte von Arbeitern gebaut. Die Wirtschaft des Landes, wo die Kleidung, die Schuhe und die Nahrung für diese Kinder herkommt, die habe ich nicht produziert;die Arbeiter haben sie produziert, Millionen von Menschen haben sie erzeugt. Der Verdienst gebührt den Millionen von Menschen. Es ist nur so, daß die Leute ihren Dank nicht Millionen von Menschen sagen können, und so geben sie ihn einem: aber es ist mir niemals in den Sinn gekommen, daß ich der Empfänger all dieses Lobes bin. Ich habe einen Verdienst;ich werde nicht leugnen, daß ich weiß, daß ich einen Verdienst habe durch die Rolle, die ich gespielt habe, durch die Leitung, an der ich teilgenommen habe, durch den Einfluß, den ich bei den Ereignissen hatte. Aber das ist kein Grund, mich als Empfänger der Anerkennung zu fühlen, die das Ergebnis der Arbeit von Millionen Menschen ist.
B.W.: Glauben Sie, daß Sie bis zu Ihrem Tod Präsident sein werden?
F.C.: Ich wünsche das nicht.
B.W.: Aber glauben Sie, daß es eine lange Zeit sein wird? Haben Sie schon an Ihren Nachfolger gedacht?
F.C.: Ich glaube, ich hätte kein Recht, mein Amt niederzulegen, warum, welche Alternative hätte ich. Ich hätte nicht das Recht, mein Amt niederzulegen, wenn ich persönlich es z.B. vorziehen würde, mich auszuruhen, mich mit dem Schreiben zu beschäftigen, ein weniger spannungsreiches Leben zu führen, die Verantwortung, die ich habe, nicht mehr zu tragen, das alles würde mir wie Egoismus von mir vorkommen. Deshalb könnte ich das nicht tun. Wenn ich mich aber unfähig fühlen würde, wenn ich mich inkompetent fühlen würde, dann hätte ich die Verpflichtung, das zu tun. Und das Wahrscheinlichste ist, daß mich meine Companeros unterstützen würden, wenn ich das nicht mehr begreifen würde.
Nun aber, während ich noch die Fähigkeit habe und während ich in einem Amt noch nützlich sein kann - in diesem oder in irgendeinem anderen - und mich die Revolution noch braucht, habe ich die Pflicht, diese Arbeit durchzuführen. Bis wann wird das sein? Ich weiß nicht, an welchem Tag ich sterben werde, ich weiß nicht, ob ich morgen sterben werde, diese Nacht, durch einen Unfall oder eines natürlichen Todes. Das alles kann ich nicht wissen. Wenn ich bis zu diesem Augenblick noch die Fähigkeit haben werde, wird es vielleicht bis zum Augenblick des Todes sein. Wenn ich langlebig sein werde und mir noch viele Jahre bleiben, dann wird es wahrscheinlich sein, daß ich nicht mehr Präsident bin, wenn ich sterbe. Nun, ich bin entschieden gegen jeden Personenkult, gegen jede Ein-Mann-Regierung und gegen die Vergötterung von Menschen. Es gibt viele Beispiele, daß so etwas geschehen ist, auch bei revolutionären Prozessen. Nun ist unsere Revolution aber außerordentlich gut organisiert und gegen diese Risiken gesichert.
B.W.: In unserem Land glaubt man, daß Cuba Fidel und Fidel Cuba ist.
F.C.: Ich werde Ihnen erklären, warum. Weil Sie viel von der Theorie der Rolle der Persönlichkeiten in der Geschichte halten, und ich glaube, daß Sie die Rolle dieser Persönlichkeiten überschätzen. Sie wollen immer in dem Werk der Völker das Werk eines Mannes sehen: Sie respektieren, bewundern und verehren Washington zu Recht, aber Washington hat die Unabhängigkeit nicht alleine geschaffen. Die Unabhängigkeit wurde vom nordamerikanischen Volk geschaffen. Können wir etwa sagen, daß die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten alleine das Werk von Washington war? Oder war sie das Werk von hunderttausenden von Menschen, die dafür gekämpft haben?
B.W.: Ja, aber nach Washington hatten wir Wahlen. Sie sind in diesem Sinne nicht gewählt worden. Es gibt sogar Leute, die Sie als Diktator ansehen.
F.C.: Gut, was ist denn ein Diktator? Denn ich betrachte mich selbst nicht als einen Diktator.
B.W.: Ein Mann, der fast eine komplette Kontrolle innehat, ein Mann, der ein Land leitet, ein Mann, der keinerlei Dissidenz erlaubt, ein Mann, der fast die gesamte Macht besitzt. Ist das Fidel Castro?
F.C.: Ja,in einem einzigen Punkt: ein Mann, der leitet. Aber er ist kein Mann, der die ganze Macht hat, noch ist er ein Mann, der Entscheidungen auf eigene Faust fällt. Keines der anderen Dinge, außer das ich ein Führer bin. Aber ich bin weit davon entfernt, eine Ein-Personen-Macht oder eine absolute Macht zu besitzen.
B.W.: Sie erlauben keine Abweichungen.
F.C.: Das bin nicht ich, darum geht es nicht. Das ist ebensowenig richtig. Warum sagen Sie immer "Ich"? Wir haben hier einen revolutionären Prozeß, eine Revolution, eine Partei, ein Parteiprogramm und eine Parteileitung. Innerhalb der Revolution gibt es die Möglichkeit, abzuweichen. In unserer Partei kann man abweichen, kann man diskutieren, und in unseren Versammlungen kann man abweichen. Es gibt da ein Prinzip: daß der Wille der Mehrheit von der Minderheit geachtet werden muß. Das ist ein politisches Prinzip, das demokratischer Zentralismus heißt. Die Nordamerikaner sind nicht sehr vertraut mit dieser Terminologie, und ich will hier nicht mit Rhetorik anfangen oder marxistische Termini verwenden, die die Nordamerikaner nicht verstehen werden.
B.W.: Lassen Sie mich erklären. Ihre Zeitungen, Ihr Radio, Ihr Fernsehen, Ihre Filme stehen unter Kontrolle des Staates. Das Volk kann in seinen Versammlungen abweichen, auf seinen Kongressen, aber ihm wird keinerlei Abweichung in den öffentlichen Medien erlaubt. Warum, wenn Sie so sicher sind, daß jedermann zufrieden ist und ihnen die Dinge so gefallen, wie sie sind? Und außerdem, wenn Sie das ändern wollten, glaube ich auch, daß Sie das tun könnten.
F.C.: Wer sagt denn, daß wir keine Dissidenz erlauben? Erscheinen Ihnen diese 18 Jahre von den Vereinigten Staaten organisierter Konterrevolution wenig? Wer sagt, daß die Revolution keine Opposition hat? Sie hat die Opposition der Vereinigten Staaten, ihrer Presse, ihres Radios, ihres Fernsehens, tausender von Konterrevolutionären.
B.W.: Aber ich beziehe mich auf Ihr Land.
F.C.: Das sind diejenigen, die auf unserer Seite stehen, das sind die Revolutionäre. Und die Opposition haben wir auf der anderen Seite, dort auf der anderen Seite der Meerenge von Florida. Und es war eine große Opposition. Das kann man nicht leugnen.
B.W.: Sie sagen mir daß das Volk den Sozialismus will. daß das Volk will, daß das Land so bleibt. Gut. in Ordnung, das glaube ich Aber warum soll man dann keine Abweichungen in den Zeitungen erlauben, oder eine oppositionelle Zeitung, oder Abweichungen im Radio oder Fernsehen?
F.C.: Nun, das muß man das Volk fragen. Es kommt drauf an. In den Vereinigten Staaten z.B.,wem gehören da die Zeitungen?
B.W.: Die Zeitungen gehören vielen, aber vielen verschiedenen Personen. Oft folgen die Herausgeber nicht der politischen Linie ihres Chefs. Es gibt alle Arten von Zeitungen, Zeitschriften, heimliche Zeitungen, öffentliche Zeitungen.
F.C.: Aber alle haben einen Eigentümer, sie haben alle ohne Ausnahme einen Eigentümer. Das Fernsehen hat seine Eigentümer, entweder einen einzelnen oder einen großen Betrieb. Das Radio ebenfalls;die Zeitschriften, die Zeitungen. Nun werde ich Sie etwas fragen. Wenn die Direktion Ihrer Radiostation will, kann sie dann von Ihren Diensten Abstand nehmen und jemand anders engagieren? Wer befiehlt im Fernsehen, wo Sie arbeiten und wer befiehlt in jeder Zeitung der Vereinigten Staaten? Die Besitzer.
B.W.: Nicht die Besitzer. Im allgemeinen sind es die Herausgeber, einzelne Herausgeber. Es gibt Zeitungen, die einer Person gehören, und die Zeitung als solche vertritt eine andere Meinung als die des Besitzers.
F.C.: Ja, aber in der Zeitung befiehlt der Besitzer oder der Herausgeber, den er dafür nominiert. Wer ernennt den Herausgeber? Der Besitzer.
B.W.: Nicht notwendigerweise.
F.C.: Die Gesellschaft.
B.W.: Nicht immer. Manchmal ist es eine Versammlung, manchmal eine Gruppe, und die Versammlung kann sogar einem Journalisten kündigen. Aber könnten wir jetzt zum Thema Cuba zurückkehren?
F.C.: Ein Eigentümer.
B.W.: Bevor wir die nordamerikanischen Zeitungen verändern, könnten wir vielleicht zum Thema zurückkehren...
F.C.: Ich habe nicht die Absicht, die nordamerikanischen Zeitungen zu ändern. Wirklich nicht. In Cuba ist das Volk der Eigentümer, Gut. Also fragen Sie einmal das Volk hier, ob es damit einverstanden ist, daß die Zeitungen dazu benutzt werden, Konterrevolution zu machen.
B. W.: Ich kann nicht glauben, daß es nicht an irgendeinem Ort irgendeinen jungen Studenten gibt. einige Studenten, die nicht wünschten, eine oppositionelle Zeitung zu haben, um zu sagen, ob ihnen dieser oder jener Wechsel gefällt oder nicht. Und das verstößt gegen ihre Gesetze.
F.C.: Schauen Sie, Barbara, wir haben nicht die gleichen Vorstellungen wie Sie;wir haben selbstverständlich nicht die Vorstellungen von Pressefreiheit, die Sie haben. Ich sage das mit aller Offenheit, ich habe absolut nichts zu verbergen. Wenn Sie uns fragen, ob hier irgendeine Zeitung gegen den Sozialismus erscheinen kann, dann sage ich Ihnen offen, daß sie nicht erscheinen kann. Weder die Partei noch die Regierung oder das Volk würde das erlauben. In diesem Sinne besitzen wir nicht die Pressefreiheit, die Sie in den Vereinigten Staaten besitzen. Und wir sind sehr zufrieden darüber. Es gibt weder Skandale wie in den Vereinigten Staaten noch haben wir eine kommerzielle Reklame wie in den Vereinigten Staaten. Nichts von dem. Unsere Massenmedien sind ein Organ der Revolution. Solange sich die Revolution noch entwickelt und solange die Feindseligkeit gegen Cuba bestehen bleibt, so unverändert lange, und solange eine von den Vereinigten Staaten unterstützte Konterrevolution gemacht wird und solange dieser Kampf weiter geht, erlauben wir keine Zeitung gegen die Revolution. Ganz einfach.
Und außerdem, wer soll das bezahlen? Können Sie mir das sagen? Die CIA oder die...
B.W.: Manchmal glaube ich, daß Sie die CIA für das Zentrum aller Dinge halten.
F.C.: Nun, es ist so, daß die CIA fünftausend Millionen Dollar besitzt, um Subversion, Morde, Konterrevolution und Spionage zu betreiben. Das ist viel Geld. Die CIA hat mehr Geld als der gesamte Wert unseres Exports beträgt; sie verdient mit diesen Sachen in jedem Jahr mehr als der Gesamtwert des cubanischen Exports. Und Sie wollen nicht, daß ich dabei an die CIA denke.
Die CIA organisiert Mordpläne gegen die Führer der cubanischen Revolution seit mehr als zehn Jahren, und Sie wollen nicht, daß ich an die CIA denke. Das tue nicht nur ich. Jedermann auf der Welt denkt an die CIA.
B.W.: Wann denken Sie daran... ? Oder haben Sie Beweise für den letzten Angriff der CIA gegen Sie, den letzten Plan vielleicht, um Sie zu ermorden?
F.C.: Der letzte Plan, an den ich mich erinnere, der mit offensichtlicher, unbezweifelbarer Teilnahme der CIA stattfand, da er von Leuten durchgeführt wurde, die sehr der CIA verbunden waren, und da die Waffen durch die nordamerikanische Botschaft in Bolivien transportiert wurden, dieser Anschlag also war 1971, bei meinem Besuch in Chile. Es war im November 1971, als ich Chile während der Regierungszeit der Unidad Popular besuchte. Diese Elemente sind sehr aktiv, sie benutzten venezolanische Dokumente, von venezolanischen Journalisten;sie transportierten verschiedene Waffenarten. Einige kamen durch die nordamerikanische Botschaft in Bolivien. Gewehre mit Fernzielrohr, Maschinengewehre, all das. Und sie hatten auch eine Fernsehkamera mit einer Waffe innen drin, perfekt verbunden. Sie stand so vor mir, wie jetzt diese Kamera vor mir steht. Aber sie drückten nicht ab. Sie benützten von einem Appartement aus lange Waffen, und auch diese haben sie nicht abgedrückt. Unter solchen Umständen entsteht immer ein Demoralisierungsmoment, ein Augenblick der Angst.
Danach wurde ihnen bekannt, daß ich nach Peru weiterreiste, und sie versuchten auch, nach Peru zu gelangen, wo ich einige technische Einrichtungen besuchte. Ich besuchte auch in Ecuador technische Einrichtungen, und sie trafen auch dort ein und versuchten, das Attentat da auszuführen. Das ist es, was ich von den letzten Aktivitäten dieser Art weiß, aber das war 1971.
Die Pläne der CIA dauerten länger als zehn Jahre an, und ich weiß nicht, wann sie aufhören werden. Diese Leute haben aber auch sehr subtile Methoden, zu handeln. Manchmal handeln sie direkt, ein anderes Mal mit Hilfe terroristischer Organisationen, sie haben direkte oder indirekte Methoden. Und das ist der Augenblick, wo es für mich nicht sicher ist, ob die CIA mit diesen Plänen aufgehört hat. Ich habe keine Nachricht von der CIA erhalten, die mich informiert hätte darüber, ob die Pläne schon aufgehört haben, noch haben wir irgendeine Entschuldigung von der Regierung der Vereinigten Staaten erhalten, weil die Verantwortlichen dieses Landes seit mehr als zehn Jahren Mordanschläge auf die Führer der Revolution vorbereitet haben. Trotz der Untersuchung des Senats, trotz der Revision des Senats für einen kleinen Teil der Pläne, trotz alledem hat sich noch nie irgendeine Regierung der Vereinigten Staaten an die Regierung von Cuba gewandt, um sich für diese Taten zu entschuldigen.
B.W.: Glauben Sie, daß jetzt, unter Jimmy Carter und dem neuen CIA-Direktor immer noch Anordnungen für Ihre Ermordung gegeben werden?
F.C.: Ich kenne den neuen Direktor der CIA nicht, ich war nicht sein Mitschüler in der Schule, auf einer Militärschule. Ich denke, daß Carter ihn besser kennt. Aber auf Ihre Frage, ob ich glaube, daß Carter Pläne von diesem Typ aufrechterhält, sage ich Ihnen mit aller Offenheit, daß ich in Übereinstimmung mit der Meinung, die ich von Carter habe, absolut sicher bin, daß er dies nicht tut.
B.W.: Glauben Sie, daß 1971, als Richard Nixon Präsident war, mit Vorbedacht Angriffe gegen Sie befohlen wurden?
F.C.: Nixon ist eine andere Sache. Wir können Nixon nicht mit Carter vergleichen. Nixon hat viele Dinge getan: er hat an den ganzen Plänen für Girón teilgenommen, und er hat auch an der Vernichtung der Regierung Allende teilgenommen. Die CIA und auch das Pentagon haben aktiv daran teilgenommen. Man spricht immer von der CIA, aber niemals vom Pentagon. Das Pentagon hat sehr enge Verbindungen mit dem chilenischen Heer aufrechterhalten. Dieser ganze konterrevolutionäre Plan hat zur Ermordung Allendes geführt. Und nun frage ich mich: wer hat die ganze Verantwortung für all das? Die Regierung der Vereinigten Staaten und die CIA und das Pentagon. Das war zur Zeit von Nixon, mit der vollen Autorisierung von Nixon. Deshalb ist Nixon als Einzelner für all diese Dinge verantwortlich. Ich erinnere mich an die Verhandlungen mit Vietnam. Wenn sie etwas erhalten wollten, verschärften sie die Bombardements. Wir können die Bombardements der B-52 nicht vergessen. Als man in Paris darüber diskutierte, um die Position der Vietnamesen zu schwächen, warfen sie hunderte von B-52 Bombenladungen ab. Sie töteten Hunderttausende von Menschen. Von Nixon konnte man alles erwarten. Nun, Sie wissen das ja auch gut.
B.W.: Glauben Sie, daß Nixon Befehle gab oder ihnen zustimmte, die zu Ihrer Ermordung dienten?
F.C.: Schauen Sie, Barbara, ich weiß nicht, wie die Mechanismen funktionieren, ich weiß nicht, wie man in den Vereinigten Staaten einen Mord anordnet oder wie der Mechanismus ist, ich weiß nicht, ob sie einen Befehl ausschreiben oder ob sie mit dem CIA-Direktor darüber sprachen, ich weiß nicht, ob sie es direkt aussprachen oder ob sie es indirekt sagten. Das weiß ich alles nicht. Ich kann Ihnen jedoch versichern, daß, wenn es Mordpläne gab, und Nixon mit diesen Plänen konfrontiert wurde, er sie nicht geändert hätte.
B.W.: Ich würde gerne über Ihr Leben in den Bergen sprechen, vor der Revolution.
F.C.: Sagen wir besser während der Revolution.
B.W.: Ich meine während der Revolution, vor Ihrem Sieg, vor Ihrem Triumpf.
F.C.: Our victory. (Unser Sieg.)
B.W.: Sie sprechen gerade Englisch, wissen Sie das?
F.C.: Ein wenig. Denn Sie sagen "mein Sieg", aber es ist nicht mein Sieg. Es ist nicht "my victory", es ist unser Sieg, unser gemeinsamer Sieg.
B.W.: Der Sieg Ihres Landes.
F.C.: Our people’s victory. (Der Sieg unseres Volkes.)
B.W.: Sie brauchen gar keinen Dolmetscher.
F.C.: Sometimes, most of times. (Manchmal, meistens.)
B.W.: Sie verstehen mich sehr gut.
F.C.: Most of times. (Meistens.) Ist das gut so in Englisch?
Dolmetscher: Ja.
B.W.: Ich habe gelesen, daß die glücklichsten Tage Ihres Lebens diese Tage in den Bergen waren.
F.C.: Ich glaube wirklich, daß sie in gewissem Sinn mit die glücklichsten Tage waren. Weil erstens der Kampf sehr hart war, die Lebensbedingungen waren sehr hart. Es war ein harter Überlebenskampf.
Ich glaube, daß der Mensch unter diesen Umständen sein Bestes gibt. Die ständigen Gefahren des Krieges, die Anstrengungen, die man machen mußte. Und alles war natürlich einfacher. Ich habe mich jedoch - und ich bin auch ganz offensichtlich ein Mann der Tat - gut gefühlt bei der Aktion. Diese Etappe umfaßte verschiedene politische und organisatorische Aspekte;aber es gab auch viel Aktion, Deshalb glaube ich, daß eine der besten Zeiten für jeden von uns war. Danach änderte sich das Leben;danach kam die Regierung, andere Arten von Aufgaben, bei denen es weniger zu handeln gab, mehr Büroarbeit, mehr Versammlungen, eine ganz andere Art des Lebens. Nun, das soll aber nicht heißen, daß dieses Leben keine Anreize hat. Wo ist der Anreiz für das institutionalisierte Leben, das wir jetzt führen? Ich würde sagen, im Werk der Revolution, in den Sachen, die wir für das Volk tun können.
Unsere Befriedigung liegt nicht in unserem eigenen Leben, sondern sie liegt im Werk der Revolution. Während die frühere Zeit in unserem eigenen Leben - meiner Ansicht nach - interessanter war als die Zeit in der Regierung.
B.W.: Welches war die schlimmste Zeit für Sie? Welches war die schwierigste Epoche?
F.C.: In welchem Sinn? Im Krieg oder in der Regierung?
Es gab sehr schwierige Augenblicke nach dem Angriff auf die Moncada-Kaserne, als wir eine Niederlage erlitten;wir werden sagen, daß wir einen Rückschlag erlitten, einen harten Rückschlag. Viele Genossen starben, und wir blieben als eine reduzierte Gruppe zurück, ein Teil von ihnen wurde gefangengenommen. Es waren sehr schmerzliche Tage.
Das Gefängnis;aber wir haben das Gefängnis sehr gut genutzt;wir haben die Zeit dort zum Studieren ausgenutzt, und um die Zukunft zu planen. Wir hatten natürlich absolutes Vertrauen in das, was wir machten und wozu wir in der Lage waren, und wir waren ausdauernd. Danach hatten wir noch einmal einen sehr schmerzlichen Augenblick, einen zweiten Rückschlag, als wir nach der Landung der Granma drei Tage lang überraschend angegriffen wurden und völlig zerstreut wurden. Das waren auch sehr schmerzliche Augenblicke, und es gab sehr schwierige Momente. Ich möchte mich nicht länger dazu äußern, es genügt, diese Momente aufzuzeigen.
Danach fanden wir wieder zusammen. Mit mir waren noch zwei Männer, und wir hatten nur zwei Gewehre zusammen. Später traf ich mit Raúl zusammen, der mehrere Männer und fünf Gewehre hatte. Zusammen hatten wir also sieben Gewehre. Und da fühlten wir uns von neuem glücklich und waren überzeugt davon, daß wir Erfolg haben würden. Und so war es dann auch.
Die beiden härtesten Augenblicke waren, - nicht nur für mich, sondern für alle Genossen - die folgenden: die Niederlage nach Moncada und die Niederlage nach der Granma. Ich kann mich an keine schmerzlichere Zeit erinnern, keine so schwierige wie diese.
B.W.: Gibt es etwas, worüber Sie weinen würden?
F.C.: Ob es etwas...?
B.W.: Gibt es etwas, worüber Sie weinen würden?
F.C.: Aber man weint doch öfter, aus irgendeinem Grund. Man weint, wenn jemand stirbt, den man sehr liebt;manchmal weinen wir auch bei bestimmten bewegten Augenblicken vor dem Volk, an einem historischen Datum. Es gibt viele bewegte Momente. Ich werde nicht sagen, daß wir ständig weinen. Aber es gibt natürlich Momente, in denen wir Tränen vergießen müssen.
Aber nahe am Wasser gebaut - wie man so sagt - habe ich nicht, ich habe keine Erfahrung in dieser rein sentimentalen Art des Weinens seit langer Zeit.
B.W.: Sind Sie ein einsamer Mann?
F.C.: In welchem Sinn? Meinen Sie die Einsamkeit der Macht?
B.W.: Manchmal, wenn jemand an der Macht ist, ist er meistens auf dem Gipfel eines Berges.
F.C.: Ich kann die Einsamkeit auch wirklich nicht ausstehen, die völlige Einsamkeit.
B.W.: D.h., das Allein-Sein?
F.C.: Ja, ja.
B.W.: Warum?
F.C.: Vielleicht ist es die Notwendigkeit der Gesellschaft, die der Mensch braucht. Ich glaube, es war Aristoteles, der sagte, daß der Mensch ein gesellschaftliches Tier sei. Und es sieht so aus, als ob ich zu dieser Spezies gehöre.
B.W.: Sie waren in Ihrer Gefängniszeit in völliger Abgeschlossenheit?
F.C.: Ja, ja. Ich habe viele Monate in völliger Einsamkeit verbracht. Ich hatte nicht nur die Gesellschaft der Moskitos, ich war an einem Ort, wo gegenüber die Leichenwachen gehalten wurden für die, die im Gefängnis gestorben waren. Ab und zu hatte ich die Gesellschaft irgendeines Toten, und jeden Tag die von Millionen Moskitos, Aber ich hatte immer irgendein Buch und lernte und studierte. Die Tatsache, daß ich die Einsamkeit verabscheue, bedeutet nicht, daß ich nicht fähig bin, sie zu ertragen.
B.W.: Gibt es bei Ihnen auch ganz private Momente, Momente, in denen Sie sich ausruhen?
F.C.: Ja, das muß natürlich auch sein.
B.W.: Was machen Sie dann?
F.C.: Viele Dinge. Ich lese, treibe Sport, ich fische unter Wasser, sehe mir einen Film an, unterhalte mich mit Freunden, empfange Journalisten. (Lachen) Ich mache viele Dinge.
B.W.: Im Augenblick des Sieges der Revolution waren Sie 34 Jahre alt;nun sind Sie 50.
F.C.: Ich glaube, da war ein kleiner Irrtum. Es war der 1. Januar 1959. Ich glaube, da war ich 32 Jahre alt.
B.W.: Sie waren also 32 zum Zeitpunkt des Sieges der Revolution. Nun sind Sie 50.
F.C.: Nun bin ich 50, meiner Rechnung nach.
B.W.: Es gibt einige Zweifel über Ihre Rechnung.
F.C.: Ja, ich weiß, ich habe meine eigene Rechnung. Ich mache die ungünstigste. Einige sagen, die ungünstigste, weil... Aber ich bin 50, und ich bin zufrieden. Ich hätte nie geglaubt, daß ich ein halbes Jahrhundert leben werde, niemals!
B.W.: Wirklich?
F.C.: Nein, wirklich nicht, nein. Ich habe nie so lange Zukunftspläne für mein Leben gemacht.
B.W.: 50 Jahre sind ein reifes Alter für einen Mann. Fühlen Sie sich sehr weit weg von der früheren Zeit?
F.C.: Ja,ich glaube, ich war damals mit 32 Jahren ein unwissender Bursche.
B.W.: Im Augenblick des Sieges der Revolution waren Sie ein unwissender Bursche?
F.C.: Ja, natürlich.
Ich sehe mich selbst an, vergleiche mit der Erfahrung, die wir jetzt alle haben, und wir sehen uns alle in jenen Jahren als unwissende Burschen.
Klar, wir hatten natürlich eine Vorstellung von dem, was wir taten und was wir tun wollten; und unsere Vorstellungen haben ja auch bewiesen, daß sie im großen und ganzen richtig waren;aber wenn wir unsere Erfahrung vor 18 Jahren mit der von heute vergleichen, dann betrachten wir uns in jener Zeit als unwissende Burschen.
Heute haben wir ein wenig mehr Erfahrung. Aber wenn wir noch 10 Jahre leben würden, um möglicherweise die 60 zu vollenden, werden wir sagen, daß wir heute völlig unwissende Individuen waren.
B.W.: Eine letzte persönliche Frage: Werden Sie sich eines Tages den Bart abrasieren?
F.C.: Im Tausch wofür? Für das Ende der Blockade? (Lachen)
B.W.: Wenn wir mit der Blockade aufhören, rasieren Sie sich den Bart ab? Ich glaube nicht, daß die Vereinigten Staaten deswegen die Blockade aufheben werden, aber gut...
F.C.: Nun, wir werden dann vielleicht Gillette-Rasierklingen importieren, ja? Ich weiß nicht, ob sie noch in den Vereinigten Staaten hergestellt werden.
Kennen Sie den Grund, warum wir uns einen Bart stehen ließen? Weil wir keine Rasierklingen hatten. Aber im Laufe der Zeit erkannte man die Guerrilleros schon an ihrem Bart. Es war äußerst schwierig, einen Spion einzuschleusen, weil er viele Monate warten mußte, bis ihm ein Bart gewachsen war. So hat sich der Bart in eine nützliche Sache verwandelt, und zum Schluß wurde er zu einem Symbol.
Nach der Revolution haben sich viele rasiert. Später gab es Regeln im Heer: man mußte sich rasieren. Und nach und nach blieb ich einer der wenigen mit Bart. Nun, ich werde weiter so bleiben.
Aber was ist das Ergebnis? Wenn die ersten weißen Haare kommen, kommen sie am Bart zuerst, und man sieht sie deutlicher. Deshalb habe ich jetzt die Idee, wenigstens zu warten, bis der Bart vollständig weiß ist. Und danach werde ich eine Entscheidung treffen: ob ich ihn färbe oder abschneide.
B.W.: Und das Land kann darüber abstimmen?
F.C.: Das Land? Das ist eine individuelle Angelegenheit. Vergessen Sie die Menschenrechte nicht! (Lachen)
B.W.: Können wir über Afrika sprechen? Unser State Department hat ausgerechnet, daß es 10 - 15-tausend Soldaten und Zivilisten in Angola gibt. Ich glaube, Sie haben gesagt, es gibt 5000 Zivilisten.
F.C.: Ich? Wo habe ich das gesagt?
B.W.: Das ist die Information, die man mir gab.
F.C.: Nein, das habe ich wirklich zu keiner Zeit gesagt.
B.W.: Können Sie uns sagen, wieviel Truppen oder Hilfskräfte Sie im Moment in Angola haben?
F.C.: Nein, das kann ich nicht sagen und das. werde ich nicht sagen. Das werde ich nicht sagen.
Ich kann Ihnen darüber das Folgende sagen: die Daten, die das State Department gegeben hat, waren sehr ungenau, denn sie haben zur Zeit Fords und Kissingers bestimmte Zahlenangaben gemacht. Sie sagten daß es 12000 gäbe. Und es gab zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich mehr als 12000. Möglicherweise konnte die CIA das wissen - ich unterschätze die CIA nicht -. Die Tatsache, daß wir gegen sie in einem guten Gefecht gekämpft haben und einige Erfolge erzielt haben, bedeutet nicht, daß wir den Feind unterschätzen.
Ich glaube, daß sie die Zahl wußten, aber aus wahltaktischen und Prestigegründen haben sie kein Wort davon gesagt.
Heute kann ich Ihnen jedoch sagen, daß wir bei Beendigung des Krieges mit der angolanischen Regierung einen Rückzugsprozeß des cubanischen militärischen Personals eingeleitet haben, festgelegt in Übereinstimmung mit der angolanischen Regierung. Alles war festgelegt: wir haben unser militärisches Personal vermindert und unser ziviles Personal erhöht: Ärzte, Ingenieure, Techniker der verschiedensten Branchen, um beim Aufbau Angolas mitzuhelfen. Wir haben im Moment mehrere Tausend zivile Techniker dort.
Diesen Prozeß der Rückziehung militärischen Personals führen wir seit Beendigung des Krieges im April durch. Als im April die Intervention Frankreichs und Marokkos in die inneren Angelegenheiten Zaires stattfand, was eine Bedrohung für Angola bedeutete, haben wir den Rückzugsprozeß unseres militärischen Personals angehalten, und haben beobachtet, wie sich die Dinge weiterentwickelten.,
B.W.: Glauben Sie, daß eines Tages ganz Afrika kommunistisch sein wird?
F.C.: Ich ja, was glauben Sie? Kommunistisch? Wir werden nicht sagen kommunistisch. Was man unter kommunistisch versteht. Ob ganz Afrika marxistisch-leninistisch wird oder nicht, das könnte ich nicht sagen;denn es gibt afrikanische Länder, die einen starken religiösen islamischen Einfluß haben, der ihre politische Philosophie bestimmt.
D.h. wenn Sie mich fragen, ob ganz Afrika eines Tages sozialistisch sein wird, dann sage ich ja, ich bin überzeugt, daß eines Tages ganz Afrika sozialistisch wein wird. Mehr noch, ein Teil Afrikas ist schon auf dem Weg eines sozialistischen Prozesses, in wichtigen Teilen Afrikas. Einige Länder werden es unter den Prinzipien des Marxismus-Leninismus tun;andere werden es unter den Prinzipien des Islam machen, und wer weiß, vielleicht wird es ein Land geben, daß es unter den Prinzipien des christlichen Humanismus tun wird. Aber in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht bin ich überzeugt, daß ganz Afrika sozialistisch sein wird, denn es bleibt ihnen auch gar keine andere Alternative, sie haben keine andere Alternative;daher ist es illusorisch, sich vorzustellen, daß sie den kapitalistischen Weg einschlagen werden.
Diesen Weg konnte eine Gruppe von Ländern in Europa einschlagen, dieser Prozeß begann in England, ging weiter in Frankreich, dann in den Vereinigten Staaten, entwickelte sich dann in Japan, mit dem diese Länder eine große produktive Entwicklung erreicht haben, und eine hohe Technik,.und es gelang ihnen, große Reichtümer anzuhäufen. Als es noch keine Industriegebiete in der Welt gab, konnten sie sich auf dem kapitalistischen Weg entwickeln, aber die Länder Afrikas werden das nicht können.
In Afrika herrscht ein entsetzlicher Rückschritt, die sanitären Bedingungen sind schauderhaft, es gibt Länder, die auf hunderttausend Einwohner einen Arzt haben. In vielen Ländern gibt es keine Universitäten, oder sie haben sehr wenig Studenten;es gibt keine Techniker. Das Erziehungs- und Sanitärniveau ist erschreckend.
Diese Länder können sich nicht den Luxus leisten, an eine anarchistische Entwicklung kapitalistischen Typs zu denken, das was wir den neokolonialistischen Weg nennen;d.h. der fremden Investitionen, die die natürlichen Ressourcen des Landes an sich reißen. Damit verleugne ich aber nicht die Möglichkeit, daß zwischen den ausländischen Betrieben und diesen Ländern Übereinkünfte bestehen können, aber die Kontrolle der natürlichen Ressourcen muß in der Hauptsache in den Händen der Länder liegen, die wirtschaftliche Entwicklung muß geplant werden, die Ressourcen dürfen nicht verplempert werden, die Korruption darf nicht erlaubt werden. Sie müssen auch den letzten Centavo korrekt verbrauchen, und die Wirtschaft muß geplant werden. Wenn sie keinen sozialistischen Weg einschlagen, dann werden sie die aktuellen Probleme niemals lösen.
Es ist nicht so, daß es sich hier um meine Wünsche handelt, um meine Ideen, sondern das ist eine Notwendigkeit, denn sie haben keinen anderen Weg.
Aus diesem Grund sage ich, daß ich davon überzeugt bin, daß ganz Afrika eines Tages sozialistisch sein wird, und daß der Neokolonialismus in Afrika scheitern wird.
Schon was der Kolonialismus zurückließ, ist wirklich beeindruckend. Der Kolonialismus entstand aus dem Kapitalismus. Da, was Kapitalismus und Kolonialismus zurückgelassen haben, kann man hier in seiner ganzen Breite sehen. Es würde sich lohnen, wenn die Nordamerikaner wüßten, was in diesen Ländern vor sich geht. Und sie würden die gleichen Schlüsse ziehen, wenn sie einmal ohne Vorurteile darüber nachdenken würden, was ich gesagt habe.
Sie können nicht der Art zu leben folgen wie in Frankreich, Paris, London, New York oder in den Vereinigten Staaten. Sie haben eine bestimmte Lebensart geschaffen und eine Gesellschaft, die große Reichtümer hat;schlecht verteilt, sicher, sehr schlecht verteilt sogar, aber sie besitzen eben doch große Reichtümer.
Glauben Sie, daß das nordamerikanische Modell des Lebens auch das Modell für Afrika, Indien, China ist? Stellen Sie sich vor, jeder chinesische Bürger hätte ein Auto, jeder indische Bürger hätte ein Auto, jeder afrikanische Bürger hätte innerhalb von 20 Jahren ein Auto! Wieviel Jahre würde die Reserve an Brennstoff, an Benzin, in der Welt dann halten? Wie lange?
Auf diese Weise haben Sie eine Gesellschaft geschaffen, in der es Ihnen sehr gut geht - wenn das Ihr Kriterium ist -, aber die kein Problem lösen wird, die nicht das Modell für die unterentwickelten Länder der Welt, Lateinamerikas, Asiens und Afrikas sein kann. So sieht die Wirklichkeit aus.
B.W.: Glauben Sie, daß Afrika innerhalb der nächsten 20 oder 25 Jahre sozialistisch sein wird?
F.C.: Es ist möglich. Ich unterstehe mich jedoch, das zu bestätigen. Denn schauen Sie, hier haben Sie den Fall Algerien: es ist dabei, den Sozialismus aufzubauen und hat auch eine solide Grundlage dazu. In Libyen wird der Sozialismus aufgebaut, in Äthiopien wird der Sozialismus aufgebaut, in Mozambique wird der Sozialismus aufgebaut, in Angola wird der Sozialismus aufgebaut, in Dahomey wird der Sozialismus aufgebaut, in Guinea-Bissau...
B.W.: Und Sie helfen ihnen dabei.
F.C.: Soviel wir können. Leider besitzen wir nicht viel. Aber nun frage ich mich etwas. Sie werden im nächsten Jahr 112.000 Millionen Dollar ausgeben für den Bau von Kriegsflugzeugen, Kriegsschiffen, Atombomben, Laserstrahlen, für Systeme der massiven Zerstörung. Was könnte man mit der Hälfte dieses Geldes alles tun! Mit der Hälfte dieses Geldes könnte man in zehn Jahren die Probleme der Entwicklung lösen;d. h. mit der Hälfte dieses Geldes innerhalb von zehn Jahren. In zehn Jahren...
B.W.: Haben Sie das auch den Sowjets gesagt?
F.C.: Ich werde meine Idee eben zu Ende ausführen, wenn Sie es mir erlauben. In zehn Jahren könnte man die Probleme der hundert ärmsten Länder der Welt lösen. Natürlich Indien ausgenommen. Ich werde mich hüten, zu sagen, wieviel notwendig wäre, um das Problem Indien zu lösen. Wozu wird all dieses Geld angelegt?
F.C.: (Bezieht sich auf die Unterbrechung der Journalistin) Ich? Den Sowjets, aber gerne. Darüber denken die Sowjets genauso wie wir.
B.W.: Werden Sie Ihre Truppen aus Angola zurückziehen?
F.C.: Sie werden nicht auf unbestimmte Zeit dort bleiben. Und das war auch nie unser Ziel;aber nicht wegen einem Kompromiß mit irgendjemandem. Das wird einzig und allein bestimmt durch die Interessen von Angola und durch die Interessen der Regierung von Angola. Ich will damit sagen, daß wir dieses Problem allein mit den Angolanern und der Regierung von Angola diskutieren können. Dieses können und werden wir nie mit den Vereinigten Staaten diskutieren. Welchen Sinn wird es haben, dieses militärische Personal in Angola auf unbestimmte Zeit dort zu behalten? Ihre Aufgabe ist es, Angola gegen jede ausländische Aggression zu helfen, während sie auch das angolanische Heer organisieren, ausrüsten und trainieren. Das angolanische Heer wird organisiert, ausgebildet und trainiert, und es wird eines Tages unsere Hilfe nicht mehr benötigen, um sich gegen Südafrika oder irgendein anderes imperialistisches Vorhaben zu verteidigen. Das ist der einzige Grund. Welches Interesse könnten wir haben, dieses militärische Personal dort in Angola auf unbestimmte Zeit zu lassen? Das hätte keinen Sinn. Das ist sehr teuer für uns: es bedeutet Anstrengungen, es bedeutet Opfer.
B.W.: Weshalb sind Sie denn dann in Angola? Und die Sowjets, haben sie Sie gebeten, dorthin zu gehen?
F.C.: Ich werde Ihnen etwas sagen. Wenn Sie die Sowjets kennen würden, wenn Sie sie gut kennen würden, dann würden Sie nicht im Traum daran gedacht haben, daß die Sowjets fähig sein können, Cuba zu bitten, auch nur einen einzigen Mann nach Angola zu schicken. Das steht den Beziehungen der Sowjets zu Cuba völlig fern und auch dem sowjetischen Verhalten. Eine Entscheidung von dieser Größe kann einzig und allein unsere Partei und unsere Regierung fällen, auf eigene Initiative und auf Antrag der Regierung von Angola.
So ist es historisch. Da kann man nichts hinzu erfinden. Wollen Sie wissen, ob die Sowjets uns gebeten haben, dorthin zu gehen? Die Sowjets haben uns überhaupt nicht gebeten, dorthin zu gehen. Sie haben niemals auch nur ein einziges Wort in diesem Sinne gesagt. Das war eine ausschließliche Entscheidung Cubas. Und die CIA, die manchmal über einige Dinge Bescheid weiß, hat deshalb einiges in diesem Sinne geschrieben. Ich glaube, daß das mit dem übereinstimmt, was ich gesagt habe.
B.W.: Werden Sie Truppen in andere afrikanische Länder schicken?
F.C.: Das hängt von den Umständen ab, die das rechtfertigen würden.
B.W.: Wie sehen Sie die Rolle Cubas in Afrika?
F.C.: Schauen Sie, die Rolle Cuba’s in Afrika ist vor allem eine zivile, keine militärische Rolle.
Seit langer Zeit schon helfen wir einer wachsenden Anzahl von Ländern, indem wir ihnen technische Hilfe schicken, zivile Hilfe, vor allem Ärzte. D.h., unsere Hilfe für die afrikanischen Länder besteht in der Hauptsache in ziviler Hilfe innerhalb der Möglichkeiten, die wir haben, Sie haben manchmal auch um militärische Berater nachgesucht, die ihnen helfen sollten, die Streitkräfte zu organisieren - eine reduzierte Gruppe von Militärberatern oder einige oder mehrere zehn – und wir haben sie ihnen geschickt. Auf Antrag der Regierungen.
Der Fall Angola war die erste Gelegenheit, in der wir militärische Einheiten geschickt haben. Ich würde diese Geschichte jetzt nicht wiederholen, wenn Sie nicht wollten, daß ich davon spreche.
Wir haben immer Beziehungen zur MPLA gehabt, seitdem sie den Kampf für die Unabhängigkeit begonnen haben, und wir haben ihnen geholfen. Als sie gerade dabei waren, ihre Unabhängigkeit zu erlangen, wurde der Versuch gemacht, dem Volk von Angola die Unabhängigkeit vorzuenthalten. Kurz und gut. Die CIA ging an’s Werk, d.h. nicht die CIA, sie Regierung der Vereinigten Staaten investierte einige zehn Millionen Dollar für die Organisierung einer Bewegung in Zaire, die von ihnen geführt wurde (das ist die berühmte FNLA), in Übereinstimmung mit ihrem Freund Mobutu, - nicht Ihr Freund, der Freund der Vereinigten Staaten. Die Portugiesen organisierten, bevor sie weggingen, auch eine andere konterrevolutionäre Bewegung, nämlich die Unita. Südafrika hatte sich entschlossen, den Triumph der MPLA zu verhindern. Deshalb haben wir ihnen lange Zeit geholfen, wir haben ihnen Waffen geschickt, und wir haben ihnen einige militärische Berater geschickt.
Es gibt eine historische Wahrheit, die niemand leugnen kann: wir haben die erste militärische Einheit erst dann geschickt, als die regulären Truppen Südafrikas in Angola am 23. Oktober 1975 eingefallen sind. Panzer- und Artilleriezüge nach Art des "Blitzkrieges", d.h. nach Nazi-Art, Apartheid-Art - man muß es so nennen. Sie haben ihre reguläre Armee geschickt. So mußten wir eine Entscheidung fällen: entweder, wir verschränken die Arme und Südafrika bemächtigt sich Angolas, oder wir nehmen einige Anstrengungen auf uns, um ihnen zu helfen. Das war der Augenblick, am 5. November, an dem wir uns entschlossen haben, die erste militärische Einheit nach Angola zu schicken, um gegen die Truppen Südafrikas zu kämpfen. Das ist der Grund, die Ursache für unsere Entscheidung. Wenn wir diese Anstrengung nicht auf uns genommen hätten, wäre es das Wahrscheinlichste, daß Südafrika sich Angolas bemächtigt hätte:und es wäre nicht nur Südafrika, Namibia gewesen, sondern dann wäre auch Angola in den Händen der südafrikanischen Rassisten gewesen.
Ich weiß nicht, was in den Vereinigten Staaten alles darüber veröffentlicht worden ist, aber ich bin sicher, daß die Neger- Bevölkerung der Vereinigten Staaten weiß, was Diskriminierung bedeutet und weiß, was Apartheid bedeutet. Die Negerbevölkerung der Vereinigten Staaten wird am besten unsere Bemühungen in Angola zu schätzen wissen;die bewußten Menschen in den Vereinigten Staaten, weiße oder schwarze, die verstehen, was Apartheid und Rassendiskriminierung ist, und wenn sie es heute nicht verstehen, weil sie keine genauen Informationen darüber haben, eines Tages werden sie vollkommen mit uns übereinstimmen in den Bemühungen, die wir gemacht habe, um ein Negervolk Afrikas vor der Okkupation durch Südafrika zu bewahren.
B.W.: Werden Sie Truppen senden...
F.C.: Ich werde Ihnen noch etwas sagen. Ich bin voll und ganz davon überzeugt, daß die Südafrikaner diese Invasion nicht ohne vorherige Konsultation mit der Regierung der Vereinigten Staaten anfangen werden. Dessen bin ich vollkommen sicher. Sie hätten sich auf dieses Abenteuer nie ohne die Einwilligung von Kissinger und Ford eingelassen. Sie können Ford das: ja alles fragen, wenn er Ihnen in der Zukunft ein Interview gibt. Ob er etwas darüber weiß. Dann werden wir sehen, ob er Ihnen die Wahrheit sagt.
B.W.: Werden Sie Truppen nach Rhodesien schicken?
F.C.: Schauen Sie, darüber haben wir unsere eigene Ansicht. Die Unabhängigkeit ist Sache jedes Volkes selbst, eine Sache jedes Volkes selbst.D.h., man kann die Unabhängigkeit nicht von außen bringen. Das ist in Angola nicht der Fall, das ist nicht die Lage Angolas, das seine Unabhängigkeit erobert hat, das eine Regierung gebildet hat und von außerhalb angegriffen wurde.
In Rhodesien, Namibia und Südafrika sind es die Völker dieser Länder selbst, die ihre eigene Unabhängigkeit erkämpfen müssen. Wir bieten ihnen dazu politische Unterstützung und die Hilfe, die wir ihnen geben können, aber es liegt nicht in unserer Absicht, daß wir Truppen zur Befreiung Rhodesiens oder Namibias senden. Das ist nämlich die grundlegende Aufgabe dieser Völker selbst.
B.W.: Werden Sie Truppen nach Südafrika schicken?
F.C.: Das ist das gleiche Problem. Es muß das Volk von Südafrika sein. Es ist das Volk von Südafrika, das,..
B.W.: Sie werden also weder Truppen nach Rhodesien noch nach Südafrika schicken.
F.C.: Natürlich, wir wollen niemanden Versprechungen machen, weder den südafrikanischen Rassisten noch denen in Namibia oder Rhodesien. Dies soll man nicht für ein Versprechen halten. Das ist ganz einfach ein Ausdruck unserer Ideen und unserer Ansichten über diese Probleme: daß die Befreiung die Hauptaufgabe jedes Volkes ist und nicht durchgeführt werden soll von militärischen Einheiten, die von anderen Völkern kommen, verstehen Sie?
Ich werde Sie etwas fragen.
Waren Sie damit einverstanden, daß Lafayette und französische Truppen ihnen, den Nordamerikanern, seit 1777 gegen die Engländer geholfen haben?
B.W.: D.h., Sie fragen mich, ob sie uns hätten helfen müssen?
F.C.: Ich sagte: War es richtig oder war es nicht richtig, daß die Franzosen und Lafayette Washington und den nordamerikanischen Patrioten geholfen haben, gegen den englischen Imperialismus zu kämpfen?
B.W.: Versuchen Sie, einen Vergleich zu ziehen dazwischen und zwischen den Truppensendungen Cuba’s nach Südafrika?
F.C.: Nein, nein. Ich will ganz einfach eine historische Rückschau halten. Sie stellen für Lafayette Denkmäler auf und danken den Franzosen jedes Jahr, weil sie Ihnen bei Ihrem Krieg geholfen haben, und heute sehe ich Sie sehr besorgt, daß ein anderes Land Patrioten in anderen Teilen der Welt hilft, die gegen den Kolonialismus kämpfen. Warum?
B.W.: Das ist nicht die gleiche Situation, wir sprechen hier von Afrika.
F.C.: Worin liegt der Unterschied?
B.W.: Der Unterschied ist, daß die, die wir damals Amerikaner genannt haben, für die Befreiung von einer ausländischen Regierung kämpften. In Südafrika wird aber nicht um die Befreiung von einer ausländischen Regierung gekämpft, sondern dort ist eine Art Bürgerkrieg. Wir hatten auch keine ausländischen Truppen, die in unserem Bürgerkrieg mitgekämpft haben. Was ich wissen möchte, ist, ob Sie Truppen senden werden?
F.C.: Nein, ich wollte Sie zuerst fragen, ob das schlecht oder gut ist. Sie haben mir darauf geantwortet.
Nun, und was gibt es in Rhodesien? Und in Namibia? Ich sage Ihnen ja, daß ich nicht weiß, warum Sie sich sosehr damit beschäftigen. Ich habe Ihnen meine Stellung dazu schon klargemacht. Was glaube ich? Daß die große Aufgabe der Befreiung das Volk eines jeden Landes selbst bewältigen muß;aber wenn die Nordamerikaner sich so sehr damit beschäftigen, daß andere diesen Befreiungsbewegungen helfen könnten, dann vergessen sie ihre eigene Geschichte. Das ist es einfach, was ich damit sagen will.
Wer will über Südafrika diskutieren? Welches ist Ihre These über Südafrika?
B.W.: Ich will nur sagen,nebenbei, daß ich jetzt begreife, weshalb Sie ein so guter Rechtsanwalt waren.
F.C.: Was meinen Sie damit? Daß ich ein Sophist bin, daß ich Argumente gebrauche, wenn ich mit Ihnen diskutiere?
B.W.: Nein, ich glaube nicht, daß ein Rechtsanwalt ein Sophist ist, ich glaube nur, daß er darauf vorbereitet ist, zu argumentieren.
F.C.: Nein, ich weiß. Ein "schrecklicher"'Anwalt, d.h. ein schlechter, sehr schlechter Anwalt. In Bezug auf den schlechten Anwalt stimme ich mit Ihnen überein.
B.W.: Nein, ein guter Anwalt, ein guter Anwalt! (Lachen) Schicken Sie nun militärische Berater nach Äthiopien?
F.C.: Wir haben diplomatisches Personal nach Äthiopien geschickt. Alle Leute, die wir dort haben, sind als diplomatisches Personal akkreditiert. Das heißt, es gibt keine militärischen Berater als solche in Äthiopien.
B.W.: Was tun diese diplomatischen Berater?
F.C.: Es sind diplomatische Berater, die viel Erfahrung in revolutionären Fragen haben und sogar etwas Erfahrung in militärischen Fragen, das ist nicht zu leugnen;aber wir haben keine militärischen Berater als solche, die bei der Regierung von Äthiopien akkreditiert sind. Wir werden ihnen zivile Hilfe zukommen lassen. Wir werden soviele Ärzte dorthin schicken, wie uns möglich ist, um der Zivilbevölkerung zu helfen, denn Äthiopien hat mit mehr als 30 Millionen Einwohnern nur 125 Ärzte. Jeder Bezirk der Vereinigten Staaten hat mehr Ärzte als Äthiopien zusammen. Und selbstverständlich denken wir auch an unser Recht, militärische Berater nach Äthiopien zu schicken, wenn die Regierung sie benötigt und wenn es uns möglich ist. Das heißt, wir weisen unser Recht, militärische Berater nach Äthiopien zu schicken, nicht zurück, wenn es nötig sein wird. Wir sagen Ihnen hier die reine Wahrheit.
B.W.: Werden diese militärischen Berater bei der Truppenausbildung mithelfen?
F.C.: Nein, sie helfen nicht bei der Truppenausbildung mit. Aber - ich wiederhole – wenn es nötig sein sollte, wenn die äthiopische Regierung diese anfordern sollte und es in unserer Möglichkeit liegt, das zu tun, dann werden wir unser Vorrecht, diese Truppeninstrukteure zu schicken, nicht zurückweisen.
B.W.: Können Sie uns ungefähr sagen, wieviele Berater Sie haben? Denn ich habe gehört, daß es 20 sind und noch 200 mehr erwartet werden.
F.C.: Wo?
B.W.: In Äthiopien.
F.C.: Ich kann Ihnen sagen, daß das nicht stimmt, daß diese Nachricht falsch ist. Jetzt werde ich Sie aber fragen, Barbara, warum Sie mir soviele detaillierte Fragen über diese Probleme stellen. Ich kann doch nicht gratis für die CIA arbeiten. Diese Arbeit müssen sie schon selbst tun. Ich werde auch nicht für Geld arbeiten, das versichere ich Ihnen;viel weniger noch gratis.
B.W.: Es ist aber ein Unterschied, ob man 20 oder 200 Berater entsendet. Ich versuche zu erreichen, daß die Nordamerikaner verstehen, inwieweit Sie verantwortlich sind.
F.C.: Richtig.
Ja, aber wir schlagen dabei zwei Fliegen mit einer Klappe: informiert zu sein...
Ich bin bereit, etwas für die öffentliche Meinung in Nordamerika und für die Fernsehzuschauer von ABC zu tun;aber ich bin nicht bereit, irgendetwas für die CIA zu tun. Es würde mich beunruhigen, wenn ich anfinge, Dinge zu erzählen, die ihr helfen könnten. Aber ich werde Ihnen etwas sagen: machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Sehen Sie, es ist kein so großer Unterschied zwischen 20 und 200, denn Äthiopien ist ein Land mit mehr als 30 Millionen Einwohnern;es ist ein Land, das eine tiefgreifende Revolution durchmacht, die eine enorme Unterstützung durch die Massen hat, von den Bauern, den Arbeitern; die die Epoche des Feudalismus überwunden haben.
Schauen Sie sich doch an, was Ihr Freund Haile Selassie, der ja Ihr Freund ist, getan hat, diese Regierung, die sie so lange unterstützt haben: als er starb, hat er dem Land 125 Ärzte zurückgelassen. Ist es das, was die Freunde der Vereinigten Staaten zu erwarten haben? Ist das die Zusammenarbeit, die die Vereinigten Staaten den Ländern der 3. Welt anbieten? 35 Millionen Einwohner und 125 Ärzte?
Ich mache Sie auf etwas aufmerksam: in einigen Wochen werden wir mehr als 125 Ärzte dorthin schicken können, weil wir schon 1000 Ärzte pro Jahr ausbilden und weil einen Arzt für je 950 Einwohner haben.
Später kann Äthiopien sein Volk, seine Menschen mobilisieren. So gesehen sind 200 Instrukteure soviel wie nichts, d.h. sie haben keine große Bedeutung.
Wir haben keine militärischen Instrukteure in Äthiopien, aber wir leugnen unser Recht nicht, ihnen welche zu schicken, wenn die Regierung sie anfordert und es möglich ist, das zu tun. Das möchte ich hiermit bekanntgeben. Ich habe Ihnen wahrheitsgemäß geantwortet, aber die Wahrheit schließt nicht das Versprechen ein, daß wir nicht in der Lage sind, Instrukteure zu entsenden.
Bis vor kurzem gab es nordamerikanische Instrukteure in Äthiopien. Warum machen Sie sich soviele Sorgen, daß es nun einige cubanische Instrukteure in Äthiopien geben kann?
Nebenbei, wir können die amerikanischen Panzer und Waffen auch handhaben.
B.W.: Bilden die cubanischen Berater Truppen für den Kampf in Zaire aus?
F.C.: Nein! Entschieden nein!
Hören Sie, ich will Ihnen etwas sagen: während des Krieges waren diese Bürger aus Zaire, aus der Provinz Katanga, an der Seite der MPLA, während des Krieges gab es Kontakte mit ihnen. Seit aber der Krieg seit mehr als einem Jahr beendet ist, haben wir keinen Kontakt mehr mit diesen Leuten aus Zaire. Warum? Weil wir glaubten, daß das, was Angola nun nötig hatte, Frieden war. Und das, obwohl wir wissen, daß die Regierung von Zaire eines der korruptesten, repressivsten, reaktionärsten und blutigsten Regime Afrikas ist, aber was Angola brauchte, war eine Verbesserung der Beziehungen zu seinen Nachbarn, und Frieden für den Wiederaufbau des Landes. Deshalb haben wir jede Art von Kontakt mit Elementen aus Zaire vermieden, die diese Politik in Schwierigkeiten bringen könnten. Und wir haben uns unverändert an dieses Kriterium gehalten.
Deshalb weder Kontakte noch Ausbildung oder Waffen. Mehr noch: wir wußten noch nicht einmal, daß diese Vorfälle passiert sind;denn diese Leute lebten im Osten von Angola, das sind tausende von Kilometern und praktisch einsame Gebiete.
Nun, jetzt weiß der CIA, weiß die Regierung der Vereinigten Staaten, weiß die Regierung Fankreichs und die ganze Welt, daß die Cubaner weder Truppen ausgebildet noch bewaffnet haben, und daß wir mit diesem Problem von Zaire nichts zu tun haben, daß das eine rein interne Angelegenheit ist. Das weiß nun die ganze Welt. Alles andere ist Lüge, um die Intervention Frankreichs, Marokkos und Ägyptens zu rechtfertigen, mit der Gutheißung der Vereinigten Staaten - der Gutheißung der Vereinigten Staaten! - um Truppen aus Marokko, Ägypten und diesen Ländern, mit logistischer Unterstützung Frankreichs, nach Zaire zu schicken.
Aus diesem Grunde haben wir auch das Programm zur Evakuierung des cubanischen militärischen Personals aus Angola gestoppt; denn wir haben Gründe, die mehr als nur gerechtfertigt sind, anzunehmen, daß es neben all dem letzte Aggressionsabsichten gegen Angola geben kann.
B.W.: Warum sind Sie persönlich nach Afrika gereist?
F.C.: Habe ich kein Recht, zu reisen?
B.W.: Doch, aber ich frage mich, warum Sie das getan haben und warum gerade in dem Augenblick.
F.C.: Sehen Sie, wir haben viele Freunde in Afrika, die uns einladen, ihre Länder zu besuchen. Wir haben vielen von ihnen das versprochen. Wir haben zahlreiche Techniker, die in vielen Ländern arbeiten. Mein Besuch diente der Ausweitung der Beziehungen zu diesen Regierungen, um die Einladungen, die sie mir gegeben hatten, zu erfüllen, um die cubanischen Techniker zu besuchen und um eine direkte und persönliche Einschätzung der Probleme Afrikas erhalten zu können.
In der Tat, ich bereue das nicht. Ich freue mich außerordentlich, diese Reise gemacht zu haben.
B.W.: Wenn es in Puerto Rico Kräfte gäbe, die die politischen Verhältnisse in Richtung auf den Sozialismus ändern könnten, würden Sie dann Berater dorthin senden? Würden Sie Diplomaten oder andere Leute schicken?
F.C.: Wenn Puerto Rico ein unabhängiger Staat wird und von uns Berater anfordert, wäre es unser Recht, sie ihnen zu senden, wenn sie in der Lage wären, diese zu erhalten;denn wir haben Berater nur zu den Ländern gesandt, die legal gebildete Regierungen hatten. Das ist aber in Puerto Rico nicht der Fall. In Puerto Rico existiert kein unabhängiger, souveräner Staat.
B. W.: Versuchen Sie denn, ihnen bei der Erlangung ihrer Unabhängigkeit zu helfen?
F.C.: Sehen Sie, in Puerto Rico wie auch in anderen Ländern ist die Unabhängigkeit zuerst die Sache des Volkes selbst.
Aber ich will Ihnen etwas erklären, da Sie schon von Puerto Rico sprechen - und hier sucht man immer einen Vorwand, um feindselige Handlungen gegenüber Cuba an den Tag zu legen - die ganze Zeit, seit unserer Unabhängigkeit, gab es Bindungen zwischen Puerto Rico und Cuba. Die Revolutionäre Cubanische Partei, die Partei der Unabhängigkeit, gegründet von Marti, umfaßte Cuba und Puerto Rico.
Nach der Intervention der Vereinigten Staaten beim hispano-nordamerikanischen Krieg am Ende des vergangenen Jahrhunderts bemächtigten sich die Vereinigten Staaten Puerto Ricos und verwandelten es in eine Kolonie.
Historisch gesehen haben wir Puerto Rico immer politische und moralische Unterstützung gewährt. Ich erinnere mich daran, daß ich während meines Studiums an der Universität bei dem "Komitee für die Unabhängigkeit Puerto Ricos"war.
Mehr noch: ich habe einmal, gegenüber dem amerikanischen Konsulat, in Alt-Havanna, eine hübsche Tracht Prügel von der Polizei erhalten, weil ich an einer Kundgebung für die Unterstützung der Unabhängigkeit Puerto Ricos teilgenommen habe, anläßlich des Aufstandes von Albizu Campos, des Führers der puertoricanischen Patrioten.
Die Cubaner in den Universitäten haben die ganze Zeit den Puertoricanern politische und moralische Unterstützung gegeben - ich will das deutlich machen - die für ihre Unabhängigkeit gekämpft haben. Das ist eine politische oder moralische Unterstützung. Niemand kann Cuba andichten, die Gewaltausbrüche dort verursacht zu haben;niemand kann Cuba andichten, an gewaltsamen Aktionen in Puerto Rico teilgenommen zu haben, oder die Gewalt in Puerto Rico verursacht zu haben. Wir haben den Puertoricanern nur politische und moralische Unterstützung gegeben. Wenn wir das nicht getan hätten, dann wären wir Heuchler.
Einige Nordamerikaner sagen: nein, die Mehrheit der Puertoricaner will die Unabhängigkeit nicht.
Auch vor der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten, 20 oder 30 Jahre vorher, wollten viele Nordamerikaner die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten nicht.
B.W.: Sie bringen mich dazu,.daß ich es bereue, diese Revolution gehabt zu haben.
F.C.: Nein, nein, auf keinen Fall. Wir freuen uns sehr über die Unabhängigkeit und sind Bewunderer Washingtons und Lincolns. Nun, es kann durchaus sein, daß eine Mehrzahl der Puertoricaner sich bis heute noch nicht voll des Problems bewußt ist;aber es besteht kein Zweifel daran, daß Puerto Rico eine Kolonie der Vereinigten Staaten gewesen ist und politisch, wirtschaftlich und kulturell von den Vereinigten Staaten beherrscht worden ist.
Unsere Hilfe für die puertoricanischen Patrioten ist politischer und moralischer Natur. Und ich kann Ihnen dazu sagen: solange es einen Puertoricaner - einen einzigen! - gibt, der die Unabhängigkeit seines Landes will, solange haben wir die politische und moralische Pflicht, ihm zu helfen. Solange es einen einzigen gibt!Wenn es eines Tages einmal keinen mehr geben wird, dann wird unsere Verpflichtung Puerto Rico gegenüber aufhören.
B.W.: Wie helfen Sie in diesem Augenblick, politisch oder moralisch, der Unabhängigkeit Puerto Rico’s? Was tun Sie?
F.C.: Nun, wir machen Solidaritätsveranstaltungen, internationale Versammlungen und wir unterstützen sie in den Vereinten Nationen.
B.W.: Haben Sie einige Berater dort?
F.C.: Dort nicht, selbstverständlich nicht.
B.W.: Ich möchte für einen Moment auf Afrika zurückkommen. Wenn Sie das Recht haben, dort zu sein, glauben Sie, daß wir dieses Recht auch haben?
F.C.: Nein, wir haben das Recht dazu nicht. Nein, das Recht haben nur die Regierungen, uns dorthin zu bitten, aber nicht wir. Außerdem versichere ich Ihnen: wir haben dort weder eine Bank noch ein Hektar Land, weder ein Bergwerk noch eine Erdölquelle, weder eine Fabrik noch sonst irgendetwas. Und ich will Ihnen noch sagen, daß die Unterstützung, die zivile Hilfe, die wir Afrika geben, und die militärischen Berater, absolut auf unsere eigenen Kosten gehen.
B.W.: Betrachten Sie China als einen Freund oder Feind Cuba’s?
F.C.: Ich betrachte China als einen guten Verbündeten der Vereinigten Staaten.
B.W.: Das macht es dann zum Feind Cuba’s?
F.C.: Nun, in dem Maße, wie die Vereinigten Staaten ein Feind Cuba’s sind. Aber sie. haben mit China eine gute diplomatische Arbeit geleistet;sie haben es nun bei allen grundlegenden Problemen auf ihrer Seite. Sie unterstützen die NATO, sie unterstützen Mobutu genauso wie sie;sie unterstützen Pinochet genauso wie sie; sie unterstützen alle reaktionären Regierungen der Welt genauso wie sie, Da sehen Sie, wie das Leben spielt!
B.W.: Nein, nein, sie stimmen in den Vereinten Nationen nicht genauso wie die Vereinigten Staaten.
F.C.: Gut, ja, aber spielt es eine Rolle, wenn sie einige Diskrepanzen in den Vereinten Nationen haben, aber in allen übrigen Angelegenheiten einer Meinung sind? Sie wissen genauso gut wie ich, daß das so ist, und sie sind ja sehr erfreut darüber. Sind sie zufrieden oder nicht? Sind sie mit China zufrieden oder nicht?
B.W.: Wir sind zufrieden, daß wir neue Beziehungen zu China haben, genauso, wie wir zufrieden wären, wenn wir Beziehungen zu Ihnen hätten.
F.C.: Natürlich, aber wir werden das nicht wie die Chinesen machen!
Wenn ich den Nordamerikanern versprechen würde, daß wir, wenn die Blockade aufgehoben wird, und die Beziehungen wiederhergestellt werden, uns genauso verhalten würden wie die Chinesen und daß wir dann wieder Verbündete der Vereinigten Staaten würden, dann wäre das eine ungeheuerliche Lüge, ein entsetzlicher Betrug. Ich kann Ihnen so etwas nicht sagen.
Wir werden auch weiterhin Sozialisten bleiben, wir werden weiter Kommunisten bleiben, wir werden weiter Internationalisten bleiben und Freunde der Sowjetunion.
B.W.: China auch.
F.C.: Nein, China ist zwar sozialistisch, aber nicht internationalistisch.
B.W.: Wir sind mit China viel weniger eng verflochten wie sie mit der Sowjetunion. China selbst betrachtet sich nicht als einen Verbündeten von uns.
F.C.: Wie war das, wie? Mit wem sind wir verflochten, wie war das?
B.W.: Mir scheint, daß Sie unsere Beziehungen zu China - meiner Meinung nach - etwas zu naiv sehen.
China betrachtet sich nicht als unser Verbündeter. Wir haben ganz einfach angefangen, unsere Beziehungen zu normalisieren. Wir haben noch nicht einmal diplomatische Beziehungen; wir sind in Bezug auf Taiwan nicht einer Meinung: wir haben zwei völlig verschiedene Regierungssysteme.
Ganz gewiß haben wir in keiner Hinsicht mit China solche Beziehungen wie Sie mit der Sowjetunion.
F.C.: Nein, nein, natürlich nicht. Wir haben internationalistische Beziehungen zur Sowjetunion; und China hat reaktionäre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Es gibt ein Problem: sie haben Pinochet geschaffen, China unterstützt Pinochet; sie haben die FNLA und Holden Roberto geschaffen, China unterstützt die FNLA und Holden Roberto; sie haben Mobutu geschaffen, China unterstützt Mobutu; sie haben die NATO geschaffen,... Haben sie sie geschaffen oder nicht?
B.W.: China unterstützt die NATO nicht.
F,C.: China unterstützt die NATO. China unterstützt die Konservative Partei Englands, es empfängt seine Mitglieder dort; China unterstützt die reaktionärsten Kräfte der BRD. Ich sage jetzt ganz ernste Sachen. Die chinesischen Geheimdienste haben sich zusammengetan mit den Geheimdiensten Frankreichs, der BRD, Englands, der Vereinigten Staaten, in Paris, China stellt sich der Evakuierung der Schiffsbasis Guantánamo entgegen. China benutzt die gleichen Argumente wie die Vereinigten Staaten, um Cuba anzugreifen. Deshalb weiß ich nicht, ob man später einige der chinesischen Führer vertreiben wird und man sagen wird, daß sie zur Viererbande gehörten. Es gibt einige Sachen in China, die ich nicht verstehe. Nun hat die ganze Schuld von allem, was in China schlecht lief, die Witwe Mao Tse Tung’s und drei weitere Personen. Aber diese Dinge geschehen schon seit zehn Jahren! Welche Art von Genie, welche Art von Gott und welche Art von Revolutionär war Mao Tse Tung, dessen Frau und die Gruppe um sie herum all diese Dinge machen konnten, die die gegenwärtigen chinesischen Führer bekämpfen? Meiner Einschätzung nach haben sie in China einen ihrer besten Verbündeten.
B.W.: Wollen Sie damit sagen, daß die Vereinigten Staaten China in die Tasche gesteckt haben?
F.C.: Ich kann nicht behaupten, daß China von den Vereinigten Staaten in die Tasche gesteckt worden ist, weil China viel zu groß ist, um in eine Tasche zu passen; in die Tasche der Vereinigten Staaten passen vielleicht Pinochet, Somoza oder der Erbe Tschiang Kai Sheks, aber China ist viel zu groß und paßt nicht in eine Tasche. Nein, das behaupte ich nicht. Ich sage, daß China im Augenblick einer der besten Verbündeten der Vereinigten Staaten ist.
B.W.: Halten Sie Mao Tse Tung nicht für einen wahrhaften Revolutionär?
F.C.: Doch, ja, ich glaube, daß er ein großer revolutionärer Führer war, ich glaube, daß er eine große Revolution machte, ich glaube, daß er in bestimmten Augenblicken seines Lebens ausgezeichnete Ideen hatte. Dann kam er an ie Macht, der Personenkult entwickelte sich, er wurde zum Gott gemacht, und zum Schluß machte er soviel Unsinn, daß es ein wahrer Schandfleck in seinem Leben war.
In China gab es eine echte Revolution, eine tiefgreifende Revolution. Das chinesische Volk ist ein außergewöhnliches, heldenhaftes, opferwilliges und arbeitsames Volk. Es hat außergewöhnliche Fähigkeiten, aber ich glaube, daß Mao Tse Tung mit den Füßen wieder zerstörte, was er während langer Zeit mit dem Kopf geschaffen hat. Davon bin ich überzeugt. Und eines Tages wird das das chinesische Volk und die Kommunistische Partei China’s selbst erkennen müssen. Das ist nur eine Frage der Zeit.
Das ist meine bescheidene Meinung zu diesem Problem.
B.W.: Halten Sie China im Moment nicht für ein wahres sozialistisches Land?
F.C.: Doch, ich glaube daß China ein sozialistisches Land ist, denn dort gibt es keine Großgrundbesitzer oder Kapitalisten. Das Paradoxe bei China ist, daß es, während es eine revolutionäre innere Politik macht, es aber eine Außenpolitik betreibt, die an der internationalen revolutionären Bewegung Verrat begeht. Aber weil das keine innere Basis hat, weil das nur ein Phänomen, oder sagen wir eine Deformation des Prozesses ist, deshalb vertraue ich darauf, daß das nicht mehr lange dauern kann.
B.W.: Was hat Mao Ihrer Meinung nach zu dieser Zerstörung getan? Was waren seine Fehler?
F.C.: Ich glaube, daß hauptsächlich der Personenkult die Kommunistische Partei Chinas zerstört hat. Er entfesselte dort eine Hexenverfolgung zum Nachteil der besten Kader der Partei, er duldete es, in einen Gott verwandelt zu werden und er verriet die revolutionäre Solidarität der Völker. Das ist meines Erachtens die große Schuld Mao’s. Nun, ich will ihm jetzt nichts vorwerfen... Ich glaube, er war ein außergewöhnlicher Mann mit großen Fähigkeiten, der China umformte.
Was ist geschehen? Die Männer, die an diesen Umwandlungen teilgenommen haben, erwarben eine große Macht, die Männer, die die Begründer von Revolutionen sind und dann diese Macht ausnutzten.
Wir haben dieses Thema vorhin schon diskutiert. Sie haben mich gefragt, ob ich mich in diese Art von Mensch verwandeln könnte. Und ich fühle mich zufrieden, oder mehr noch als zufrieden, stolz zu wissen, daß ich mich nicht in diese Art Mensch verwandelt habe und mich auch niemals so verwandeln könnte. Denn die Menschen, die Revolutionen machen, erwerben eine große persönliche Macht. Ich habe diese persönliche Macht auch erworben, aber ich habe diese Macht nie mißbraucht oder sie in meinen Händen behalten, sondern ich habe sie aufgeteilt, ich habe sie an die revolutionären Institutionen übergeben.
B.W.: Und Stalin? Und Lenin... ? Das war doch auch Personenkult, man hat sie zu Helden, zu einer Legende gemacht.
F.C.: Man kann Lenin nicht mit Stalin vergleichen. Lenin war in jeder Hinsicht ein außergewöhnlicher Mann, und es gibt keinen einzigen dunklen Fleck in seinem Leben, meiner Ansicht nach.
Stalin hatte auch große Verdienste, außergewöhnliche Verdienste ohne Zweifel in der Industrialisierungsphase der UdSSR, bei der Leitung des sowjetischen Staates, in den schwierigen Tagen des Nazi-Angriffes. Und diese Verdienste muß man anerkennen, denn sie sind gesichert. Aber es besteht auch kein Zweifel, daß sich in der Stalinära der Personenkult entwickelte und Machtmißbräuche stattfanden.
B.W.: Die Vereinigten Staaten unterstützen Taiwan, China aber nicht; die Vereinigten Staaten unterstützen Israel, China nicht; die Vereinigten Staaten haben gegen den Beschluß der Vereinten Nationen gestimmt, der den Zionismus als eine Form des Rassismus verurteilte, China stimmte dafür. Wir haben also weder die gleichen Ziele noch Abstimmungen.
F.C.: Gut, es gibt einige taktische Diskrepanzen zwischen den Vereinigten Staaten und China; aber nur taktische. Eine Abstimmung über eine Sache mit den Vereinigten Staaten zusammen oder nicht, das kann eine rhetorische Frage sein. China versucht noch immer, ein gewisses Bild aufrecht zu erhalten, aber in der Hauptfrage, im Kampf gegen die Sowjetunion, sind die Vereinigten Staaten und China große Verbündete. So weiß man heute nicht einmal, wer am meisten gegen die Sowjetunion kämpft, China oder die Vereinigten Staaten.
Für uns, die Revolutionäre, ist die UdSSR das große Bollwerk der progressiven revolutionären Bewegung der Welt. Sie hat sich dieses Recht als erster sozialistischer Staat verdient, mit ihrer Rolle im Kampf gegen den Faschismus und den 20 Millionen Sowjets, die im 2. Weltkrieg im Kampf gegen den Faschismus gefallen sind: die Hilfe, die sie der revolutionären Bewegung geleistet haben, einem Land wie Cuba in jenen schwierigen Augenblicken der Blockade, der Aggressionsgefahr, der revolutionären Bewegung in Afrika, in Asien. Außerdem wäre die chinesische Revolution ohne die Revolution in der Sowjetunion nicht möglich gewesen.
Und heute ist die wichtigste, strategische Frage, inwieweit die Vereinigten Staaten und China im Kampf gegen die Sowjetunion verbündet sind.
Carter z. B. streift im Moment - meiner Meinung nach - gefährlich die Grenzen des Kalten Krieges, wenn er die Militärausgaben erhöht, wenn er.die NATO stärkt, wenn er die NATO zu einem Rüstungsprogramm anhält. Ich glaube, daß ist eines der wichtigsten Themen von heute. Die Gefahren, die diese Politik einschließt, sind sehr groß. Und China begünstigt diese Politik. Es kann also ruhig taktische Diskrepanzen zwischen China und den Vereinigten Staaten geben, aber in den Hauptfragen stimmen sie überein.
B.W.: Glauben Sie, daß Jimmy Carter wissentlich versucht, die Beziehungen zur Sowjetunion auf’s Spiel zu setzen, und sich - wie Sie sagen - dem Kalten Krieg nähert?
F.C.: Ja, das glaube ich; das ist unglücklicherweise ein Punkt, der mich beschäftigt und den ich wirklich nicht verstehe.
Nun, ich kann nicht behaupten, daß er das wissentlich tut; vielleicht geht er von einigen Annahmen aus und glaubt, daß er das tun müsse. Aber ich kenne die Sowjets sehr gut, wirklich gut; und ich kenne die Nordamerikaner. Ich kenne die einen, weil wir sehr gute Beziehungen zueinander haben, und die anderen, weil wir viele Kämpfe ausgefochten haben. Und ich weiß, daß die Hauptsorge der Sowjetunion darin besteht, den Rüstungswettlauf zu vermeiden, ein Klima der Entspannung und des Friedens zu schaffen. Ich weiß genau, daß das die Hauptfrage der sowjetischen Leitung ist. Ihre Sorge ist es wirklich, einen Weltkrieg zu vermeiden. Ihre Sorge ist es wirklich, internationale Spannungen zu vermeiden. Ihre ganzen Bemühungen gehen darauf hinaus, eine Formel für den Frieden und die friedliche Koexistenz zu erreichen. Davon bin ich überzeugt. Aber ich weiß nicht, ob man das in den Vereinigten Staaten versteht oder nicht.
B.W.: Wie sehen Sie die sowjetische Herrschaft in Ländern wie Jugoslawien und der Tschechoslowakei? Wie stehen Sie zur Niederschlagung des Aufstandes, wie es die Sowjets genannt haben, in der Tschechoslowakei?
F.C.: Schauen Sie, ich werde Ihnen etwas sagen. Die Sowjetunion hat sehr enge Beziehungen zu all diesen Ländern, weil Millionen von Sowjets bei der Befreiung dieser Länder vom Faschismus starben. Nach dem Krieg war es nicht die Sowjetunion, die den Kalten Krieg heraufbeschwor, sondern es waren in der Tat Churchill und die Vereinigten Staaten.
B.W.: Wie, Churchill und die Vereinigten Staaten haben was getan?
F.C.: Sie waren diejenigen, die den Kalten Krieg heraufbeschworen haben. Man muß in der Geschichte nachsehen und jene berühmte Rede Churchills lesen, die ihn so berühmt gemacht hat. Der Kalte Krieg herrschte. Ich glaube, daß der Kalte Krieg eine der aberwitzigsten Dinge war, die in den letzten 30 Jahren entstanden. Ich sage es noch einmal, daß Millionen von Sowjets für die Befreiung dieser Länder vom Faschismus starben.
B.W.: Und Millionen von Amerikanern auch.
F.C.: Nein, entschuldigen Sie, aber hier muß ich Ihnen widersprechen. Im 2. Weltkrieg sind einige Hunderttausend Nordamerikaner gestorben...
B.W.: Entschuldigen Sie, es gibt vielleicht einen Unterschied in der Zahl, aber auch wir haben gekämpft und sind gestorben für die Befreiung vom Faschismus.
F.C.: Sie haben auch gekämpft, natürlich, das ist klar; sie haben gekämpft und sind gefallen. Aber vergessen Sie nicht, daß die Vereinigten Staaten, England und die westliche Welt auch für den Aufstieg des Faschismus verantwortlich waren. Vergessen Sie die Kredite nicht, die sie Hitler gaben und die Unterstützung, die sie Hitler gaben, denn Hitler hatte die Fahne des Antikommunismus gehißt. Vergessen Sie das nicht: daß Hitlers Aufstieg durch seinen Antikommunismus begünstigt wurde. So kam der Nazismus in Italien an die Macht, so kam er in Deutschland an die Macht.
B.W.: Er war aber auch antidemokratisch. Wir haben Hitler unterstützt und ihn bekämpft.
F.C.: Das gleiche was sie in Südafrika gemacht haben, nämlich große Investitionen, haben sie auch im Deutschland Hitlers gemacht. Das darf man nicht verkennen. Das ist eine historische Tatsache.
B.W.: Wir machen Investitionen in allen Teilen der Welt; aber wir haben Hitler ohne jeden Zweifel weder idealistisch noch politisch unterstützt.
F.C.: Aber sie haben ihn wirtschaftlich unterstützt. Und in Europa haben die kapitalistischen Staaten mit Sympathie die Tatsache beobachtet, daß eine antikommunistische Kraft in Deutschland aufkam. Und sie haben nach dem 2. Weltkrieg wo immer sie konnten eine antikommunistische Kraft aufgebaut, in Lateinamerika, in Asien...
B.W.:Aber auch antidemokratische, nicht nur antikommunistische.
F.C.: Ihre Allierten waren immer die reaktionärsten, korruptesten und repressivsten der Welt. Sie waren mit Franco alliiert, und Franco war eine Figur des Faschismus.
B.W.: Aber .auch die Sowjetunion war anfangs mit dem Faschismus liiert und später wechselte sie und bekämpfte ihn.
F.C.: Wer sagte, daß die Sowjetunion mit dem Faschismus liiert war? Am Anfang mußte man Hitler zurückhalten und die Sowjetunion kämpfte zusammen mit den eben genannten westlichen Demokratien - mit Frankreich, mit England, mit Polen - gegen Hitler, dann verbanden sich die westlichen Länder mit Hitler und machten das Münchener Abkommen. Sie wollten Hitler gegen die Sowjetunion benutzen. Die Sowjetunion hat einen Nicht-Angriffspakt mit Deutschland geschlossen, weil sie die westliche Politik, Hitler gegen die Sowjetunion zu setzen, nicht unterstützen konnte.
B.W.: Wenn wir das getan hätten, dann würden Sie sagen, daß wir Alliierte des Faschismus waren und daß wir den Faschismus unterstützt haben, die Sowjets entschuldigen Sie jedoch dafür.
F.C.: Nein, die Sowjets haben den Faschismus niemals unterstützt. Sie haben einen Nicht-Angriffspakt gemacht, genauso wie wir ihn mit den Vereinigten Staaten machen könnten. Wollen Sie einen Nicht-Angriffspakt mit uns schließen? Wir können einen Nicht-Angriffspakt machen, was halten Sie davon? Das will aber nicht heißen, daß wir sie oder sie uns unterstützen.
B.W.: Einen Nicht-Angriffspakt in diesem Sinne zu machen bedeutet, daß man vor etwas die Augen schließt und die Dinge so läßt, wie sie sind. Und Sie würden sehr kritisch reagieren, wenn wir das getan hätten.
F.C.: Ich glaube, daß der Nicht-Angriffspakt das Mittel war, das die Sowjetunion anwenden mußte, um den Pläne nicht der Vereinigten Staaten - in jener Zeit haben die Vereinigten Staaten nicht so viel interveniert – sondern des englischen und französischen Kapitalismus und des Kapitalismus’ des westlichen Europa entgegenzutreten. Sie wollten einen Krieg zwischen dem faschistischen Deutschland und der Sowjetunion antreiben. Sagen Sie mir, was war das faschistische Deutschland für ein Land? War es nicht ein kapitalistisches Land? War es nicht das Land der Monopole? War es nicht ein Land der freien Marktwirtschaft? Was war es? Welches sind die großen Unterschiede zwischen dem gesellschaftlichen System der Vereinigten Staaten und dem faschistischen Deutschland, zwischen dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System? Gibt es da irgendeinen Unterschied.
B.W.: Jedesmal, wenn ein Land ein kapitalistisches System besitzt, verurteilen Sie es automatisch. Es gibt eine ganze Menge Unterschiede zwischen einem Land, das eine Demokratie hat, an die freie Marktwirtschaft glaubt und an Menschen, die für das Beste kämpfen und die die individuelle Möglichkeit haben, ihr Leben zu verbessern und deshalb ihren individuellen Freiheiten und Erfolgen nachgehen.
Aber glauben Sie wirklich, daß Nazi-Deutschland und die Vereinigten Staaten das gleiche sind?
F.C.: Nein, das glaube ich nicht. Ich sage nur, daß sie das gleiche kapitalistische System haben und das gleiche System der Monopole.
B.W.: Sie haben das gleiche System wie China und verurteilen China trotzdem.
F.C.: Ja, das stimmt, und das leugne ich auch nicht. Wir haben Gemeinsamkeiten durch den Sozialismus. Und ich habe auch nur gesagt, daß China die Sache des Internationalismus verraten hat. Und heute würde im faschistischen Deutschland und in den Vereinigten Staaten das gleiche wirtschaftliche System herrschen; nicht das gleiche politische System. Die Vereinigten Staaten hatten einen Präsidenten, einen Kongreß, eine Repräsentantenkammer und all diese Dinge und zwei Parteien; in Deutschland gab es eine Partei. Es gab also Unterschiede. Aber das wirtschaftliche und gesellschaftliche System war genau das gleiche: die Herrschaft der Monopole und der freien Marktwirtschaft. Das kann man nicht leugnen.
B.W.: Aber unsere Ideale waren unterschiedlich, unsere Ziele waren unterschiedlich, unsere Philosophie war unterschiedlich, unser Gefühl für die Freiheit war unterschiedlich.
F.C.: Das gebe ich zu.
B.W.: Nun, können wir jetzt zum Thema zurückkehren? Ich habe über die sowjetische Herrschaft in Ländern wie der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien, und von dem Streben nach Unabhängigkeit seitens des tschechoslowakischen Volkes und vom Einmarsch der Sowjets und der Niederschlagung dieses Versuches gesprochen.
F.C.: Richtig. Ich weiß nicht, ob es Ford war, der in einer Fernsehansprache sagte, daß diese Länder unabhängig seien...
B.W.: Er hat sich geirrt und sich berichtigt. Sie sind doch zu intelligent dazu!
F.C.: Ich habe Beziehungen zu diesen Ländern. Diese Länder haben sehr enge Beziehungen zur Sowjetunion, in wirtschaftlicher, politischer und ökonomischer Hinsicht. Aber ich kann sehr wohl sagen, daß es völlig unabhängige Länder sind. Sie nennen das Beherrschung, aber das was es wirklich ist, ist eine Art Union zwischen all diesen Ländern.
Gut. Was rief die Ereignisse in der Tschechoslowakei hervor? Zwei Dinge: Irrtümer der politischen Leitung, ohne Zweifel, einer Gruppe von Opportunisten, die sich der Leitung bemächtigte, und die westliche Verschwörung.
Kurz und gut, die Sowjetunion konnte ganz einfach kein zweites München mit der Tschechoslowakei zulassen. Das ist meine Sicht der Dinge.
B.W.: Wir sehen das vollkommen verschieden.
F.C.: Wir sehen das aus zwei verschiedenen Blickwinkeln.
B.W.: Wir beide schreiben, jeder von uns, unsere eigene Geschichte.
F.C.: Ja, gut, aber damals war die Tschechoslowakei ein Opfer von München, und dieses Mal war sie kein Opfer von München. Ich habe die Tschechoslowakei zwei Mal besucht. Ich habe einen Besuch gemacht und hatte Kontakt mit dem Volk, und ich kann Ihnen versichern, daß die übergroße Mehrheit des Volkes für den Sozialismus ist, daß die übergroße Mehrheit des Volkes die Partei unterstützt und daß die politischen Bedingungen der Tschechoslowakei ausgezeichnet sind. Das beobachte ich jetzt seit fast vier Jahren. Ja, es gibt einige Dissidenten, einige von ihnen: aber das ist eine kleine Minderheit, die sehr gering ist, aber deren Aktivitäten von der westlichen Presse aufgebauscht werden.
B.W.: Glauben Sie, das Rußland ein freies Land ist?
F.C.: Ich glaube, daß es das freieste aller Länder ist, obwohl sie, die Nordamerikaner, das nicht verstehen werden. Denn sie gehen von völlig verschiedenen Vorstellungen aus. Darüber werden wir uns jetzt nicht einigen können. Hauptsache, wir kommen jetzt nicht in eine theoretische und rhetorische Diskussion.
B.W.: Gut. Was denken Sie über... ?
F.C.: Ich habe Sie darüber etwas gefragt...
B.W.: Nein, es ist meine Frage.
F.C.: Nein, nein, eine Sache noch. Können Sie sich vorstellen, daß ein Volk, das nicht frei ist, 20 Millionen Menschenleben opfert, um das Vaterland zu verteidigen und gegen den Faschismus zu kämpfen? Die Vereinigten Staaten müssen diesen Beweis noch erbringen, um zu zeigen, wieweit die Freiheit der Vereinigten Staaten geht.
B.W.: Wir werden sie erbringen. Wir haben nicht soviele Menschen verloren, aber in unseren Augen haben wir genausoviel riskiert wie sie, und nicht nur das, wir haben sogar dagegen gekämpft, obwohl es nicht auf unserem Kontinent war.
Aber können wir in die Gegenwart zurückkehren?
Die Intellektuellen, Schriftsteller und viele Künstler der Sowjetunion haben weltweit ihren Protest gegen die Einschränkungen ihrer intellektuellen Freiheiten verkündet. Sie haben in diesem Sinn viele Bücher geschrieben; sie wurden weder von den Vereinigten Staaten noch von der CIA geschrieben. Sie haben in allen Teilen der Welt dagegen protestiert, daß ihre intellektuelle Freiheit begrenzt ist. Wie erklären Sie das?
F.C.: Zuerst muß ich Ihnen widersprechen, denn Sie haben gesagt "die Intellektuellen"der Sowjetunion. Ich kenne eine Unmenge von Intellektuellen in der Sowjetunion, Schriftsteller und Künstler, und die übergroße Mehrheit unterstützt die Sowjetmacht, unterstützt die Kommunistische Partei der Sowjetunion. Es gibt eine Minderheit, die dagegen ist und vom Westen sehr geschätzt wird. Denn oft hat der Westen einen mittelmäßigen Intellektuellen in einen nationalen Helden verwandelt. Sie sind sich dessen nicht bewußt, aber es ist so.
B.W.: Halten Sie Solschenizyn für einen mittelmäßigen Intellektuellen?
F.C.: Vielleicht war ich subjektiv, aber mir gefällt seine Literatur nicht. Vielleicht ist er technisch nicht mittelmäßig; politisch ist er mittelmäßig.
Vergessen Sie nicht, daß einige dieser Leute, als sie die Sowjetunion verlassen haben, sogar ein faschistisches System unterstützt haben, sie haben den Faschismus unterstützt. Einige dieser sogenannten Dissidenten haben sogar Hitler gerechtfertigt, als sie in den Westen kamen, sogar Hitler. Diese Sachen darf man nicht vergessen, sie sind Realität. Manchmal verwandeln sie sogar Delinquenten in einen internationalen Helden; darin verwandelt sie die westliche Presse.
Ja, es kann einige Leute geben, eine unbedeutende Minderheit, die nicht einverstanden sind. Was bedeuten diese Leute, verglichen mit den Millionen von Arbeitern, sowjetischen Bauern, sowjetischen Werktätigen, die das Wichtigste der Sowjetunion sind? Ihr Irrtum ist es, die Aktivitäten von vier vereinzelten Katzen mit der großartigen Realität der Sowjetunion zu verwechseln.
Sie sprechen nie von einem Arbeiter, von einem sowjetischen Held der Arbeit, von einem heldenhaften sowjetischen Bauern, von einem sowjetischen Wissenschaftler; sie sprechen von nichts anderem als von drei oder vier Dissidenten, die es in der Sowjetunion gibt.
B.W.: Ich glaube, daß es mehr als drei oder vier Katzen sind.
F.C.: Sie machen sie zu Helden, und Carter empfängt sie.
B.W.: Gut, Ford hat sie nicht empfangen, so daß...
F.C.: Gut, ich werde Sie etwas fragen. Warum hat Carter nicht einen sowjetischen Held der Arbeit empfangen?
B.W.: Ich bin sicher, daß er ihn empfangen hätte, wenn...
F.C.: Einen ausgezeichneten Bauern, sowjetischen Wissenschaftler. Warum empfängt er nur Dissidenten?
B.W.: Das stimmt nicht. Bei uns gibt es auch sowjetische Arbeiter, und ständig sowjetische Besucher, Touristen.
F.C.: Aber Carter empfängt sie nicht.
B.W.: Nun, Carter empfängt nicht jeden, Sie empfangen auch nicht jeden, Breshnew empfängt nicht jeden.
F.C.: Nein, ich empfange keinen einzigen Reaktionär, ich empfange keinen Reaktionär; ich empfange die Revolutionäre. Und Carter empfängt keinen einzigen Revolutionär, er empfängt die Reaktionäre.
B.W.: Sagen wir es gibt vier Katzen – wie Sie sie nennen - oder vier Dissidenten, oder 24 oder 54.
F.C.: Oder sogar 240, einen für jede Million Sowjetbürger.
B.W.: Wenn so sicher ist, daß sein System so gut ist, warum kann es dann nicht diese vier Dissidenten, diese vier Katzen tolerieren? Wir tolerieren die Dissidenten in unserem Land. Sie gefallen uns vielleicht nicht, aber wir werfen sie nicht in Gefängnisse, wir stecken sie nicht in Lager, Sie schreiben und reden weiter.
F.C.: Ich glaube nicht, daß die Sowjets die Dissidenten in Gefängnisse stecken. Nur wenn sie Aktivitäten gegen die Sowjetmacht entwickeln.
Außerdem sind diese Dissidenten große Verbündete der Vereinigten Staaten. Warum sollte ich die Verbündeten meiner Gegner tolerieren? Wenn Sie sie tolerieren wollen, dann tolerieren sie sie, aber wir tun das nicht.
B.W.: Sie sagen, daß Sie unabhängig seien. ind Sie auch unabhängig von der Sowjetunion?
F.C.: Vielleicht nicht, vielleicht sind wir ein Staat der Sowjetunion.
B.W.: Was sind Sie? Was sagen Sie?
F.C.: Schauen Sie, wir wollen deutlich miteinander reden: wenn es bloß keine unabhängigen Staaten gäbe, wenn es nur keine Grenzen gäbe, wenn die ganze Menschheit eine einzige Familie wäre, ohne die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, mit einer wahrhaften Gleichheit, ohne ausgebeutete Klassen und Ausbeuterklassen! Das wäre mein Ideal.
Wir sind ein souveränes, unabhängiges Land. Das wissen Sie sehr genau; das weiß Carter und das weiß die CIA und das wissen diejenigen, die etwas wissen in den Vereinigten Staaten.
Vielleicht hat eine Zeit lang ein bedeutender Teil des betrogenen Volkes geglaubt, daß wir Satelliten oder etwas ähnliches seien. Aber ich möchte Ihnen sagen, daß wir Kommunisten sind, und daß unser Ideal eine einzige menschliche Familie ist, wir sind Internationalisten und wollen eine einzige menschliche Nation. Eines Tages werden wir das tun müssen.
B.W.: Eine sozialistische Familie.
F.C.: Sie muß sozialistisch sein, denn im Kapitalismus wäre das sehr schwierig. Sonst würde die kapitalistische menschliche Gesellschaft schon existieren.
B.W.: Warum können Sie nicht Ihr Leben leben und wir das unsere? Warum muß die ganze Welt sozialistisch sein wie Sie?
F.C.: Nun, ich habe nicht versucht, den anderen ihr: eigenes Leben zu nehmen. Was ich will ist dies: daß jeder sein eigenes Leben hat, und daß die ganze Menschheit lebt...
B.W.: Aber Sie hoffen, daß die ganze Welt eines Tages... Sie haben gesagt, daß Sie wollen, daß die ganze Welt eine einzige Gemeinschaft sei, eine sozialistische Gemeinschaft.
F.C.: Nun, weil ich glaube, daß das im Kapitalismus unmöglich ist, verstehen Sie? Denn welche Menschheit wird es akzeptieren, unter der Ausbeutung einiger durch andere zu leben? Welche Menschheit wird eine Gemeinschaft von Millionären und Almosenempfängern akzeptieren, diskriminierten Negern, diskriminierten Frauen? Das ist mein Ideal. Nun, ich habe aber nicht behauptet, daß ich oder jemand anders das tun könne.
Das soll nur zeigen, daß wir uns von diesem Planeten nicht entfernen können.
Und was glaube ich? Der Nationalismus spielte in der Geschichte eine Rolle. Aber was ist der Nationalismus heute, verglichen mit dem Stammeswesen gestern? Zuerst gab es Stämme, dann gab es Nationen. So werden wir eines Tages auf den Nationalismus zurückblicken wie auf die Stammesherrschaft gestern. Eines Tages werden die Grenzen verschwinden müssen.
B.W.: Glauben Sie wirklich, daß dieser Tag für die ganze Welt eines Tages kommen wird, in der Welt, wie wir sie kennen, daß es eine vollständige Kooperation gibt, ein einziges System und vollständiger Frieden? Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben.
F.C.: Aber nie vorher in der Geschichte der Menschen hat es diese Bedingungen gegeben. Man kannte vorher die Indios Amerika’s nicht, die Europäer nicht, die Afrikaner nicht. Die Welt ist sich näher gekommen; die Menschheit hat sich vervielfacht. Daher glaube ich, daß die Menschheit, wenn sie den Wahnsinn der Regierungen überlebt, eines Tages keine andere Alternative haben wird als in einer einzigen Familie zu leben. Denn wir können uns von diesem Planeten nicht wegstehlen.
B.W.: Wer weiß! Vielleicht können wir das bald!
F.C.: Ich weiß es, in Anbetracht aller wissenschaftlichen Erkenntnisse. Man hat schon bewiesen, daß wir nicht auf dem Mond leben können. Sie haben uns geholfen, das herauszufinden, mit ihren Forschungen im Weltraum Es gibt keine Atmosphäre, keinen Sauerstoff. Der Mensch hat sich auf der Erde entwickelt, er kann unter diesen Umständen nicht leben.
B.W.: Das ist ein Plan der CIA.
F.C.: Und der nächste Stern, der der Erde am nächsten ist... Sie bringt mich ganz durcheinander (Lachen). Der Stern, der der Erde am nächsten ist, ist vier Lichtjahre entfernt, so daß wir ihn nicht erreichen können. Das ist wissenschaftlich und mathematisch erwiesen. Außerdem müßte das dann eine Welt ohne CIA sein.
B.W.: In welchem außenpolitischen Gebiet waren Sie, öffentlich oder privat, nicht einer Meinung mit der Sowjetunion?
F.C.: Ich war sowohl privat als auch öffentlich anderer Meinung. Aber das ist vorbei. Die Diskrepanzen dürfen nicht persönlich sein. Ich erinnere mich daran, daß es während der Oktoberkrise unterschiedliche Meinungen gab. Sie sind vorbei. Aber ich glaube, daß die Diskrepanzen, die zwischen den sozialistischen Ländern entstehen können, zwischen ihnen diskutiert und gelöst werden müssen.
Wir haben einige Male öffentliche Diskrepanzen mit der Sowjetunion gehabt. Wollen Sie, daß ich Ihnen die Wahrheit sage? Ich glaube, daß das ein Ergebnis unserer fehlenden politischen Reife war.
Jetzt kennen wir uns selbst viel besser, jetzt kennen wir die Sowjets viel besser. Und zur Zeit dieser Diskrepanzen waren sie außerordentlich geduldig mit uns, und sie haben niemals auch nur die geringste Maßnahme der Repression gegen uns unternommen, sie haben uns immer weiter geholfen. Heute ist das Niveau unserer Beziehungen sehr gut. Und wenn eines Tages irgendwelche Diskrepanzen auftauchen sollten - und das kann ja sein -, dann müssen wir sie zusammen an einem Tisch diskutieren und sie nicht an die Öffentlichkeit tragen, denn das dient den Interessen des Sozialismus nicht.
B.W.: Was.halten Sie von Breschnew?
F.C.: Ich habe eine sehr gute Meinung von Breschnew. Ich werde nicht von ihm persönlich sprechen. Er ist ein sehr intelligenter Mann, der immer gut vorbereitet ist; er ist ein Mann von außergewöhnlichen persönlichen Qualitäten. Aber für mich ist der größte Verdienst Breschnews die Rolle, die er im Kampf für die Entspannung und für den Frieden gespielt hat. Das heißt, sein politisches Leben hat er, von der Leitung der sowjetischen Partei aus, dem Versuch gewidmet, die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zu verbessern, er hat versucht, einen Krieg zu vermeiden, er hat versucht, Bedingungen für den Frieden zu schaffen. Ich glaube, daß die Menschheit eines Tages das in Betracht ziehen muß und seine Verdienste würdigen wird.
Denn es gab schwierige Zeiten: der Vietnamkrieg, die Spannungen, all das. Sehr schwierige Momente.
Heute kann ich sehr wohl sagen, daß Breschnew ein Mann ist, der der Sache des Friedens verschrieben ist. Ich glaube, daß das sein größter historischer Verdienst ist.
B.W.: Die Sowjets geben Cuba ungefähr eine Million Dollar täglich an Geld und fast drei Millionen für andere Dinge.
F.C.: Wofür? Wieviele Millionen? Wo sind diese Millionen?
B.W..: Eine Million täglich an Geld und fast drei Millionen an sonstiger Hilfe.
F.C.: Am Anfang dieses Interviews haben Sie mir die Geschichte der Leute von Triunvirato erzählt, wo die Kinder, die nicht wußten, daß eine amerikanische Delegation da war, zu rufen anfingen:"Fidel, du zeigst es den Yankees, klar!'/ und ich habe Ihnen erklärt, daß das eine alte Parole ist, die wir vor langer Zeit hatten. Jetzt staune ich, daß Sie die alten Propagandasprüche wiederholen, alte Losungen. Die berühmte Losung der vier...
B.W.: Gut, sagen Sie es mir, berichtigen Sie mich. Sagen Sie mir doch offen, wieviel Hilfe sie ihnen geben.
F.C.: Merken Sie sich das, ich werde Ihnen antworten - wenn Sie mir erlauben. Die alte Parole, daß die Sowjets uns mit vier Millionen Pesos täglich helfen. Das wiederholt man immer und immer wieder, und so bleibt sie manchmal lange Zeit bestehen. Aber schauen Sie, die Sowjets haben uns ohne Zweifel außergewöhnliche Hilfe zukommen lassen. Als die Erdölgesellschaften uns kein Erdöl mehr geschickt haben, haben sie uns welches geschickt: als die Vereinigten Staaten unsere Zuckerquote gekürzt haben, haben sie unseren Zucker gekauft; als die Vereinigten Staaten den Kauf von Lebensmitteln einstellte und uns mit ihrem Einfluß in der Welt eine fast totale Blockade auferlegte, da haben die Sowjets uns Rohstoffe, Maschinen, Lebensmittel und vor allem Brennstoff ihres Landes verkauft. Als die Vereinigten Staaten die Invasion von Girón, den Söldnerangriff, vorbereiteten, da haben sie uns Waffen geschickt, die in jenen entscheidenden Augenblicken sehr wichtig waren, Während all dieser Jahre, in denen wir von den Vereinigten Staaten in unserer Sicherheit bedroht waren, haben sie uns kostenlos die Waffen geliefert, die wir brauchten, Als wir Schwierigkeiten infolge einer Dürre hatten oder in unserem Export und so unsere Verpflichtungen nicht einhalten konnten, haben sie immer ihre Exportverpflichtungen Cuba gegenüber gehalten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute erfüllen wir alle unsere Exportverpflichtungen der Sowjetunion gegenüber.
Was haben wir zwischen der Sowjetunion und Cuba errichtet? Wir haben zufriedenstellende Wechselbeziehungen für unser Land hergestellt.
Sie zahlen uns gerechte Preise für unsere Mineralien und für unseren Zucker, und sie nehmen gerechte Preise für die Waren, die sie nach Cuba exportieren. Das bedeutet, daß wir außergewöhnlich zufriedenstellende wirtschaftliche Beziehungen hergestellt haben, so, wie sie zwischen einem entwickelten und einem unterentwickelten Land existieren müssen, eine Art von Handelsbeziehungen, wie sie sein müssen.
Nun, wenn die Vereinigten Staaten mit der ganzen unterentwickelten Welt so handeln würden wie die Sowjetunion mit Cuba, oder wenn Europa mit der unterentwickelten Welt so handeln würde wie die Sowjetunion mit Cuba, dann würden die Probleme der Unterentwicklung gelöst. Die Anwendung dieses Prinzip’s der gerechten Handelsbeziehungen zwischen einem entwickelten und einem unterentwickelten Land nennen sie die Hilfe der drei Millionen, der vier, der zehn, ich weiß-nicht-wieviel-Millionen Pesos.
B.W.: Können Sie mir dann eine Zahl nennen, denn Sie sagen ja, daß unsere Zahlen falsch sind.
F.C.: Wollen Sie, daß ich Ihnen eine Zahlsage?
B.W.: Ja.
F.C.: Die Sowjets zahlen für unseren Zucker 30 Centavos das Pfund, und die Sowjets haben uns Petroleum, sagen wir im letzten Jahr, für ungefähr 45 Dollar, ungefähr 50 Dollar die Tonne verkauft: das ist fast die Hälfte des Weltmarktpreises.
Nun, wir sind auch übereingekommen, daß bei einem Preisanstieg der Waren, die sie uns verkaufen, der Zucker, den wir ihnen verkaufen, proportional im Preis steigt.
B.W.: Ja, ich weiß schon, daß sie Ihnen das Petroleum zur Hälfte des Weltmarktpreises verkaufen und daß sie Ihren Zucker zwei- oder dreimal so teuer einkaufen wie auf dem Weltmarkt.
F.C.: Das hängt davon ab. Wenn der Zuckerpreis bei 60 Centavos liegt, ist das viel weniger als auf dem Weltmarkt. Was die unterentwickelten Länder brauchen, ist ganz einfach ein stabiler Preis.
B.W.: Aber Sie wissen, was ich gefragt habe. Ich habe die Zahlen von einer Million Dollar täglich an Geld und von drei Millionen an Hilfsmitteln erwähnt. Das ist die Zahl, die man in unserem Land gebraucht.
Können Sie uns sagen, ob wir uns irren und wie hoch die Zahl wirklich ist?
F.C.: Die Zahl wovon?
B.W.: Diese Zahl der Hilfeleistungen.
F.C.: Es gibt keine Zahl dafür, es gibt keine Zahl dafür, wenn Sie nicht die Hilfe an Waffen meinen. Nein, das gibt es nicht. Es gibt Kredite, das natürlich.
B.W.: Nur den Zucker und das Petroleum?
F.C.: Es gibt natürlich Kredite für industrielle Investitionen, aber unser Handel basiert auf gerechten, mehr oder weniger ausbalancierten Preisen. So ist es. Sie zahlen uns für unsere Produkte einen gerechten Preis, das ist der Punkt. Sie können also die drei, vier, fünf oder sieben Millionen vergessen; sie zahlen uns ganz einfach gerechte Preise für unsere Produkte.
B.W.: Für das Petroleum und den Zucker.
F.C.: Für den Zucker, für das Nickel und für alles, was wir ihnen verkaufen. Nicht nur für das Petroleum; für das Petroleum und eine große Anzahl von Waren, die sie uns liefern.
B.W.: Und sie geben ihnen überhaupt kein Geld, um ihrer Wirtschaft zu helfen oder eine andere spezielle Hilfe?
F.C.: Sie geben uns Kredite für industrielle Investitionen und sie helfen uns bei der Lieferung von Waffen.
B.W.: Und auf welche Höhe beläuft sich das?
F.C.: Ah, nun, das sind militärische Geheimnisse.
B.W.: Guantánamo. Ist das ein sehr wichtiger Bestandteil Ihrer Bedingungen für die Normalisierung der Beziehungen mit uns oder ist das eine zweitrangige Frage?
F.C.: Guantánamo dient den Vereinigten Staaten heute nur zu militärischen Zwecken. Sie behalten es in einem Akt der Gewalt und der Macht bei, indem sie einen Teil unseres nationalen Territoriums besetzen, das heute in der Zeit der Nuklearwaffen keinerlei strategischen Wert hat.
Sie haben keinerlei Recht, hier zu sein, da es gegen unseren Willen ist; und ich glaube, daß man keine Militärbasis in irgendeinem Land gegen den Willen des Landes haben darf. Die Vereinigten Staaten sind nur durch Gewalt da.
Wir wollten Gunatánamo niemals in ein besonderes Problem verwandeln, die Fahne zu hissen, die Wiederbeanspruchung Gunatánamo’s, um kein ständiges Gefühl der Irritierung in unserem Volk zu schaffen, Deshalb haben wir das beiseite gelassen. Wollen Sie dort bleiben? Nun, eines Tages werden sie von da weggehen müssen, an dem Tag, an dem sie anfangen, klug zu reagieren.
Die Welt ist viel weiter und größer als Guantánamo. Guantánamo ist ein kleines Stückchen Land. Wenn wir uns eines Tages zusammensetzen werden, um die Normalisierung der Beziehungen zu diskutieren, dann wird einer der Punkte, der selbstverständlich nicht fehlen darf in dieser Diskussion, die Frage von Guantánamo sein. Wir werden überein kommen, an welchem Tag oder in welchem Jahr sie Guantánamo verlassen werden. Denn sie haben der Republik eine Übereinkunft auf unbestimmte Zeit auferlegt. Man nimmt an, daß, wenn in einem legalen Vertrag von unbestimmter Zeit gesprochen wird, daß damit hundert Jahre gemeint sind, und bald, innerhalb von 20 Jahren, werden diese hundert Jahre vergangen sein.
Welches Recht haben die Vereinigten Staaten, gegen den Willen unseres Volkes in Guantánamo zu bleiben? Welches Recht haben sie, gegen den Willen unseres Volkes einen Teil unseres Territoriums zu besetzen?
Guantánamo ist ein Akt der Gewalt. Nun, wir haben niemals und werden niemals Gewalt anwenden, um Guantánamo zurückzugewinnen, weil wir wegen Guantánamo keinen Krieg mit den Vereinigten Staaten anfangen wollen. Und die Weit ist weit, ist groß.
B.W.: Welches sind die Hauptprobleme des heutigen Cuba?
F.C.: Das sind viele.
Nun, eines der Probleme, das wir gehabt haben, ist die Dürre. Die letzten drei Jahre waren sehr hart. Aber dieses Jahr regnet es sehr viel, mehr als nötig.
Wir haben die Probleme, denen heute jedes unterentwickelte Land gegenüber steht, natürlich. Aber wir werden sie lösen, wir werden uns weiter voran entwickeln. Sie haben mich gestern etwas Ähnliches gefragt, und ich habe Ihnen geantwortet, daß eines der ernsthaftesten Probleme für uns die Wohnungsnot sei, z.B., weil wir den größten Teil unserer Baumittel für Schulen, Krankenhäuser, gesellschaftliche Leistungen, Straßenbau, Investitionen in die Landwirtschaft und Investitionen in die Industrie widmen. Und so müßten wir z.B. Bauen, um das anwachsende Problem der Wohnungen zu lösen, hunderttausend Wohnungen pro Jahr, die wir benötigen, aber wir bauen nur fünfundzwanzigtausend.
B.W.: Wo und wie, wenn überhaupt, glauben Sie, ist die Revolution gescheitert?
F.C.: Sie hat in keiner strategischen Frage versagt. Wir haben einige taktische Niederlagen erlitten. Aber keine wesentlichen.
B.W.: Haben Sie noch viele politische Gefangene?
F.C.: Ja, wir haben einige.
B.W.: Wieviele?
F.C.: Ich erinnere mich im Augenblick nicht an die Zahl, aber ich kann Ihnen sagen, daß die große Mehrzahl derjenigen, die wegen konterrevolutionären Aktivitäten gefangen waren, schon in Freiheit sind. Ich werde. Ihnen ein Beispiel geben: für die 1200 Söldner, die in Girón eingefallen sind, haben wir uns eine Formel überlegt, sie für eine Abfindungssumme frei zu lassen. Wir haben Pläne gemacht und haben sie teilnehmen lassen, ihnen Möglichkeiten gegeben, zu arbeiten, sowohl den konterrevolutionären Gefangenen als auch den gemeinen Gefangenen, und wir haben ihnen Löhne gezahlt. Und diese Politik behalten wir bei, die große Mehrzahl der Gefangenen in Cuba arbeitet, im Gefängnis, in offenen Gebieten, und sie erhalten die gleichen Löhne, die gleichen Rechte in wirtschaftlicher Hinsicht wie ein Arbeiter.
B.W.: Würden Sie sagen, daß es hundert sind?
F.C.: Es können etwas mehr als hundert sein. Es werden ein wenig mehr sein, circa 2000 oder 3000 wegen konterrevolutionären Vergehen. Es können soviele sein. Aber es gab Zeiten, als die Aktivitäten der Vereinigten Staaten gegen Cuba viel intensiver waren, und wir bis zu 15.000 hatten. Wir haben jetzt circa 20% der Gefangenen, die wir zu jenem Zeitpunkt hatten.
B.W.: Zwei- oder dreitausend politische Gefangene sind eine ganz hübsche Anzahl.
F.C.: Nein, es sind keine politischen Gefangenen. Es sind Konterrevolutionäre. Das sind Leute, die im Escambray nach Befehlen der CIA gehandelt haben, die Sabotage gemacht haben, die Verbrechen begangen haben.
B.W.: Cubaner?
F.C.: Ja, Cubaner, ja. Die konterrevolutionären Gefangenen, die wir haben, sind ein Werk der Vereinigten Staaten. Das ist die Frucht der Politik der Vereinigten Staaten. Wer heuert diese Leute an, wer bewaffnet sie, wer bezahlt sie, wer organisiert sie? Die Vereinigten Staaten.
B.W.: Glauben Sie nicht, daß einige sich ganz einfach gegen Sie und den Sozialismus auflehnen?
F.C.: Ja, einige lehnen sich auf, aber wer hält sie dazu an? Niemand in Cuba würde sich unterstehen, sie herauszufordern...
B.W.: Vielleicht sie selbst, vielleicht ihre eigenen Kriterien?
F.C.: Das kann sein, das leugne ich nicht. Aber niemand in Cuba würde sich vorstellen, daß die Möglichkeit bestände, die Revolution zu vernichten, wenn nicht die Vereinigten Staaten dahinter steckten. Seit jenen Jahren der intensiven Aktivitäten der CIA und der Vereinigten Staaten in Cuba haben wir mehr als 15.000 konterrevolutionäre Gefangene freigelassen. Und das nicht, weil uns Carter oder sonst jemand darum gebeten hätte. Nun, können wir, während die Blockade der Vereinigten Staaten gegen Cuba immer noch aufrecht erhalten wird, sagen, daß wir diese konterrevolutionären Gefangenen freilassen werden? Das können wir nicht tun; die Leute, die schwere Verbrechen begangen haben, müssen ihre Strafe verbüßen.
B.W.: Das ist richtig so. Wenn wir das Embargo aufheben würden, würden sie dann diese Gefangenen freilassen?
F.C.: Schauen Sie, ich frage Sie etwas: wenn wir unsere Beziehungen wiederherstellen, werden sie dann alle Neger freilassen, die in den Vereinigten Staaten im Gefängnis sind, die ein Vergehen begangen haben infolge der Diskriminierung, der Arbeitslosigkeit oder der Verwahrlosung? Gut, wir werden übereinkommen, wir werden etwas tun...
B.W.: Sie sind deshalb aber nicht im Gefängnis.
F.C.: Nein? Warum dann? Weil sie einen Raub begangen haben? Aber warum haben sie einen Raub begangen? Weil sie keine Arbeit hatten, weil sie keine Erziehung bekommen haben, weil sie ausgebeutet und vergessen wurden. Nun, lassen Sie uns eine Übereinkunft treffen. Warum verlangen Sie von uns einseitige Maßnahmen? Wenn es bilateral ist, können wir viele Maßnahmen treffen. Wir lassen die gefangenen Konterrevolutionäre frei, und sie ihrerseits lassen alle die frei, die in ihren Gefängnissen sitzen, weil sie aus Hunger geraubt haben, weil sie arbeitslos waren oder weil sie im Elend leben. Wir werden eine Übereinkunft machen. Das schlage ich vor. Wir werden übereinkommen: sie lassen eine Anzahl ihrer Gefangenen frei und wir ebenso. Ein Abkommen, aber ein bilaterales. Sie können uns keine einseitigen Bedingungen auferlegen, denn wir werden keine solchen akzeptieren.
B.W.: Ich habe nichts davon getan. Sie haben mir gesagt: glauben Sie, daß wir während des Embargo’s diese Leute gehen lassen werden? Also wäre die nächste logische Schlußfolgerung, daß Sie diese Leute gehen lassen würden, wenn es kein Embargo gäbe? Diese Idee stammt von Ihnen.
F.C.: Ich werde Ihnen sagen, was ich darüber denke. Ich glaube, daß sich bei einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Cuba und den Vereinigten Staaten keine Hoffnung mehr hält für die Konterrevolutionäre, die die Hilfe der Vereinigten Staaten erhalten... Was ist die Blockade? Eine Hilfe für die Konterrevolution. Wenn die Blockade aufhört und sich die Beziehungen normalisieren, kann man nicht mehr sagen, daß die Vereinigten Staaten die Konterrevolution unterstützen, und dann können wir, von uns selbst aus, ohne Kompromisse, frei und souverän, in dieser Hinsicht Maßnahmen treffen, die wir als geeignet ansehen, aber nicht als eine Bedingung. Nun, wenn beide Regierungen etwas für die Menschheit tun wollen, auch vor dem Ende der Blockade, dann können wir ein Übereinkommen treffen, ein allgemeines Übereinkommen. Eine Anzahl von gefangenen Konterrevolutionären kommt frei, und eine Anzahl von nordamerikanischen Gefangenen, die wegen des gesellschaftlichen Systems, wegen Hunger und Arbeitslosigkeit eines Vergehens schuldig ist, wird ebenfalls freigelassen.
B.W.: Präsident Castro: ich würde Sie bei dieser Gelegenheit gerne bitten, daß Sie einige Worte an das nordamerikanische Volk richten über die Situation oder über Ihre Wünsche, aber bitte in Englisch.
F.C.: (antwortet in Englisch) Einige Worte, nur einige Worte.
Ich würde dem Volk der Vereinigten Staaten gerne viel in Englisch sagen, aber es tut mir leid, ich glaube, ich kann nicht alles, was ich denke, übersetzen. Ich bin nicht sicher, daß ich alles, was ich denke, übersetzen kann.
Ich möchte ihnen deutlich sagen, daß ich die besten Wünsche für das Volk der Vereinigten Staaten hege. Jedes Mal, wenn ich einen anderen Amerikaner kennenlerne, habe ich einen Grund, zu versuchen, ihr Volk zu verstehen. Und jedes Mal finde ich auch, daß die Amerikaner, die Zeitungsleute, die Arbeiter, die Techniker, wunderbare Menschen sind. Ich schätze und bewundere das Volk der. Vereinigten Staaten wirklich wegen ihrer Erfolge in der Technik, in der Wissenschaft, und weil ich sehe, daß Sie, daß Ihr Volk ein arbeitendes Volk ist, ein ehrliches und idealistisches Volk, Dies sind meine wirklichen Gefühle, meine ernsthaften Gefühle dem Volk der Vereinigten Staaten gegenüber. Ich hoffe, daß wir uns in Zukunft besser verstehen werden und Freunde werden.
B.W.: Das hoffe ich auch. Vielen Dank.
F.C.: Ich danke Ihnen.
Aus BOHEMIA Nr. 26, 1.1.1997
Freundschaftsgesellschaft BRD-Cuba, Informationsdienst 4-1976