Kino in Kuba

Bereits kurz nach dem Sieg der kubanischen Revolution beauftragte Fidel Castro seinen Kampfgefährten Alfredo Guevara mit dem Aufbau einer kubanischen Filmindustrie. Noch im gleichen Jahr, 1959, entsteht das ICAIC, das Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematograficos. Sozialistische Filmemacher aus Frankreich, Italien und den osteuropäischen Ländern unterstützen das Bestreben, den Film rasch zu einem Instrument der Revolution zu machen. In den ersten Jahren seiner Existenz entstanden 44 Spielfilme, 204 Dokumentarfilme und 435 Wochenschauen. In der Zeitung GRANMA heißt es im Januar 1969:

"Das Ergebnis zehnjährigen Filmschaffens macht deutlich, daß der kubanische Film, mit der Revolution geboren, nicht nur Chronist der Revolution war, sondern Vorkämpfer, Mitkämpfer, der die Revolution bereichert und unsere Gegenwart durch die Darstellung dieser Revolution."

Vor der Revolution gab es in Kuba keine Filmindustrie, bereits zwei Jahre nach ihrem Entstehen wurden die Filme des Landes auf internationalen Veranstaltungen gefeiert, mit Preisen und Prämien bedacht, erlangte internationale Anerkennung.

Der kubanische Film dient dem besseren Verständnis für die Probleme des Landes, er schafft Einsichten in ökonomische Strukturen, zeigt in einfach nachvollziehbaren Beispielen die Ursachen für die Verelendung und den Weg zu ihrer Bekämpfung. Er will im Volk den Glauben des Einzelnen an sich selbst, sein Land und sein Volk wecken, will klar machen, daß jede Leistung von den Kubanern erbracht werden muß. Die kubanischen Filme sind stets nationale Filme, Sie richten sich jedoch nicht nur an das eigene Volk, sondern auch an die anderen Länder Lateinamerikas, deren heutige Situation auch einmal die des kubanischen Volkes war.

Santiago Alvarez, Leiter der kubanischen Wochenschau und bedeutendster Dokumentarist des Landes sagte in den ersten Jahren nach der Revolution: "Um ein guter Filmemacher zu sein, muß man zunächst ein guter Revolutionär sein" und der Spielfilmregisseur Tomas G. Alea definiert die Klassifizierung der Filme:

"Wir haben sowohl Werke revolutionärer Schwärmerei geschaffen, als auch Filme, die einen kritischen Geist manifestieren."

Einige Wesens- und Charakterzüge des kubanischen Films lassen sich vom Beginn der Arbeit bis heute verfolgen:

Die Filme des Landes haben einen Ausdruck und Stil gefunden, der im Rhythmus und der Beweglichkeit mitreißt; immer sind irgendwo Hände in Bewegung, man sieht keine statischen Gesichter, Arbeit wird fühlbar, Die Beschäftigung mit der Revolution, mit den Institutionen der Gegenwart, mit sozialen Unzulänglichkeiten, führen nicht zum selbstgefälligen, schwerfälligen Pathos. Die Selbstsicherheit der Kubaner macht sie gelassen, sie zeigen die Revolution nicht selten heiter, lachend, ja schelmisch (wie in Espinosas Satire DIE ABENTEUER DES JUAN QUIN QUIN), sie zeigen den Kampf gegen die Bürokratie, geben in grotesken Szenen institutionalisierte Zeremonien der Lächerlichkeit preis (Aleas TOD EINES BÜROKRATEN).

Die Einschätzung des Films im revolutionären Kampf hat früh zu einer Ausweitung auch des Vertriebs- und Abspielnetzes geführt. Kinos wurden errichtet, in entlegene Ortschaften reist man mit dem CINEMOBIL, bringt das Kino zu den Menschen, die nie mit dem Medium Film in Berührung gekommen sind. Heute ist die Bedeutung des CINEMOBILS zurückgegangen, 16mm-Vorführungsmöglichkeiten sind ausgeweitet worden, in vielen Schulen und Dörfern können heute Filme vorgeführt werden. Das kubanische Fernsehen strahlt pro Woche zwei filmbildende Sendungen aus, in Havanna gibt es Kinderkinos, zu denen Erwachsene ohne Begleitung von Kindern keinen Zutritt haben, trotz der Ausweitung des Fernsehnetzes ist der Filmbesuch im Ansteigen, vor.den Kinos sieht man große Schlangen stehen.

SPIELFILME

Tomas G. Aleas GESCHICHTEN DER REVOLUTION war der erste Spielfilm, der nach der Revolution entstand, sein dokumentarischer Stil verweist auf die Verwandtschaft zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, die bis heute typisch für das Filmschaffen des Landes ist. Alea zeigt die Menschen differenziert in ihren Haltungen. Er demonstriert das Verhalten von einen, der sich nicht der Revolution stellen kann, bei dem die Feigheit siegt, der aus Angst zum Verräter wird. Eine zweite Episode zeigt Guerilleros in den Bergen beim Kampf. Kurze Spots auf die Vorgeschichte einzelner, ihre traditionelle Erziehung, ihren Umschwung, ihr jetziges Tun. Hier wird begreiflich, warum die Guerilleros den zahlenmäßig größeren Truppen überlegen sind. Eine dritte Episode beschreibt den Kampf in der Stadt.

In MANUELA zeigt Humberto Solas wie aus dem Haß gegen den Feind ein politischer Kampf wird: Ein Mädchen, das nach dem gewaltsamen Tod ihrer Eltern zu den Guerilleros in die Berge geht, wird zur bewußten Kämpferin, die nicht mehr persönlichen Emotionen nachgeht.

Mit MANUELA und noch deutlicher mit dem zweiten Film von Solas LUCIA beginnt ein Wendepunkt im kubanischen Filmschaffen: nach der Darstellung der verschiedenen Gesichter der Revolution werden Lernprozesse vorgeführt. In LUCIA geht es in drei Episoden um die Emanzipation der Frau, drei Episoden aus der Geschichte des kubanischen Freiheitskampfes. Lucia 1 (1895) liebt einen spanischen Spitzel, den sie für die Revolution tötet. Lucia 2 (1933), verläßt als bürgerliches Mädchen die sie beherrschende Mutter, heiratet einen Terroristen, der ihr anfangs mehr bedeutet, als das eigene Land. Erst allmählich erlangt sie politisches Bewußtsein, wird Revolutionärin.

Die dritte, zeitgenössische Lucia hat weder Schwierigkeiten mit der Tradition, noch lebt sie unter gesellschaftlichen Zwängen. Sie ist verheiratet mit einem Revolutionär, der seine Frau am Aufbau der neuen Gesellschaft nicht beteiligen will. Sie darf nicht lernen, nicht arbeiten, wird eingesperrt und - befreit sich mit Hilfe der Genossen, bekommt ihren Lehrer, lernt Lesen, Schreiben, Denken.

Mit der Frau in der modernen Gesellschaft befaßt sich Sara Gomez in ihrem halbdokumentarischen Spielfilm AUF EINE GEWISSE WEISE, Die Veränderung im Status der Frau ist zwar in der neuen Gesellschaft durchgeführt, hat sich jedoch noch nicht durchgehend im Bewußtsein der Menschen durchgesetzt. Allzu stark sind noch die tradierten Kulturzwänge der Männergesellschaft,

Diesem neuen Stil und Bewußtsein entsprechen auch andere Filme wie Tomas G. Aleas ERINNERUNGEN AN DIE UNTERENTWICKLUNG, Es sind die inneren Kämpfe eines jungen Bourgeois, der mit der Revolution nicht zurechtkommt, der in den Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend lebt. Seine Eitern, seine Frau, seine Freunde haben das neue Kuba verlassen. Die Revolution wird für ihn zum Prüfstein, er versucht sie zu analysieren, schreibt an seinen Memoiren, versucht einen Sinn in seinem Leben zu finden, Doch es gelingt ihm nicht, das Schicksal zu meistern: "Es kam zu spät in meinem Leben", auf die Frage, ob er nun Bürger oder Revolutionär sei, antwortet ihm das Mädchen Elena: "Du bist gar nichts", Sergio existiert nicht mehr, hat aufgehört zu leben, Eine andere Form, revolutionäre Vergangenheit für die Gegenwart aufzuarbeiten, findet Octavio Manuel Gomez in DIE ERSTE SCHLACHT MIT DER MACHETE, Hier wird die Geschichte des ersten nationalkubanischen Kampfes gegen die spanischen Eroberer im Oktober 1868 als Modell gesehen für den kubanischen Freiheitskampf des Fidel Castro. Gomez, der als Dokumentarist einen wichtigen Film über den Kampf gegen das Analphabetentum gedreht hatte, war mit diesem Spielfilm zu neuen formalen Methoden gekommen, hat zur Abkehr vom Pathos die Schlachtenszenen mit der Handkamera gefilmt, hat grobkörniges Filmmaterial benutzt, erzielt durch die Kopiertechnik Schwarzweißbilder ohne Grautöne, wie sie Jahre später (der Film entstand 1967) mit Hilfe der Elektronentechnik erreicht wurde, Fiktive Interviews mit spanischen Offizieren werden zwischengeschnitten, ein Kommentar setzt Akzente, Schrifttafeln fassen "Kapitel" zusammen, ein Revolutionsbarde kommentiert den Kampf der Guerilleros, Sechs Jahre später dreht Gomez einen weiteren grundlegenden Film: SIE HABEN DAS WORT. Acht Jahre nach dem Sieg der Revolution werden vier Männer der Sabotage angeklagt, weil sie durch Brandstiftung ein waldreiches Gebiet zerstört hatten, wobei Menschen zu Tode kamen. Die Verhandlung findet an der Unglücksstätte statt, Teilnehmer des Prozesses sind die ortsansässigen Bauern, Arbeiter und Funktionäre, aus ihren Äußerungen und aus der Analyse der Ereignisse vor dem Brand ergeben sich die zahlreichen Möglichkeiten, Schuld oder Unschuld der Beklagten zu beweisen; jede Aussage wird zum Akt der Bewußtseinsbildung, die Verhandlung selbst steht als ein Beispiel absoluter revolutionärer Mitbestimmung.

Historische Themen aus der Sicht der Gegenwart gesehen und distanziert waren auch DER MANN VON MAISINISU von Manuel Peres und GIRON von Manuel Herrera und Juan Garcia Espinosa. Im ersten Fall beschäftigt sich der Film mit der Existenz von konterrevolutionären Banden, die zu Beginn der 60er Jahre unter Mithilfe und Mitwirkung der USA in den Bergen von Escambray gegen die Revolution gekämpft haben. GIRON schildert die Ereignisse in der Schweinebucht, schildert die Kampfhandlungen, blendet Interviews mit der Bevölkerung, mit Mitgliedern der Armee, stellt Kriegsszenen nach, Hier wird das Dokumentarische als Methode für den Spielfilm verwand und bei der Auseinandersetzung mit dem kubanischen Kino fällt auf, daß oft Spielfilm und Dokumentarfilm ineinander übergehen wie auch die namhaften Regisseure des Landes außer ihren Spielfilmen auch stets Dokumentarfilme realisieren.

DOKUMENTARFILM

Santiago Alvarez ist Direktor der kubanischen Wochenschau, die durch ihren krassen, lebhaften, agitatorischen Stil bekannt ist. Kubanische Dokumentarfilme prägten Jahre das Bild von Festivals, Alvarez gilt als ein Meister der Schnittmontage, vor allem in seinen kurzen, knappen Agitationsfilmen zeigt er mit wenigen Gegenüberstellungen den Feind in seiner ganzen Brutalität, etwa, wenn er die Initialen von Lyndon B. Johnson auf der Walze eines Glücksspielautomaten anbringt, sie bald in Totenköpfe, bald in die Konterfeis von Martin Luther King (L), Bob Kennedy (B) und John F. Kennedy (J) verwandelt. Während Johnson als Dürers Ritter zu Orffs Carmina Burana die Morde an den drei politischen Persönlichkeiten verfolgt, werden die politischen Zusammenhänge in einem lakonisch knappen, sehr bösen Ton erläutert.

In NOW, einem Montagefilm aus Straßenschlachten zwischen weißen Polizisten und farbigen Zivilisten, Ku-Klux-Klan-Folterungen, ein paar Szenen aus dem Reichsparteitag – unterlegt mit einem hebräischen Volkslied – gibt Alvarez ein agitatorisches, aber reales Bild von amerikanischer Wirklichkeit.

Unter den eindrucksvollen Dokumentarfilmen des Landes war auch eine Homage an Che Guevara, Photomontagen geben ein kommentarloses Bild von den Verhältnissen in Bolivien wieder, die Kamera fährt an Postkarten entlang und erzeugt Emotion und Distanz gleichzeitig. Im Zentrum stehen Reden Ernesto Che Guevaras, vor allem eine, in der er fordert, in Lateinamerika weitere Kubas zu schaffen, der Film wurde drei Tage nach dem Bekanntwerden der. Ermordung Che Guevaras in Havanna gezeigt, Ich habe mich im vorhergehenden vornehmlich mit Filmen befaßt, die während unseres Kuba-Aufenthalts vorgeführt würden, Nur in einigen Fällen habe ich meine Ausführungen ergänzt durch Filmbeispiele, die ich bereits vorher kannte und die mir für den Gesamtkomplex Kino in Kuba bedeutungsvoll erschienen. Vergleiche auch Georg Alexanders Aufsatz DAS KINO UND DIE REVOLUTION IM ALLTAG / FR / 8.11.1975, nachgedruckt im Bulletin der Freundschaftsgesellschaft,

Brigade-Info / Ein Reisebericht aus Kuba - 1976