"Zurück bleibt das Feld,von köstlichem Duft erfüllt..." * - Havanna heute

Havanna; War es vor 1959 noch das Vergnügungszentrum der US-Amerikaner in der Karibik, so ist heute nichts mehr von den feudalbourgeoisen Lebens- und Konsumgewohnheiten übriggeblieben. Einzig die Häuser sehen noch genauso aus wie vor der Revolution, Nirgends sonst zeigt sich ein Charakteristikum der Revolution - erst das Land, dann die Stadt - deutlicher als in Havanna. Aber der Reihe nach.

Fuhren wir von unserem Campamento, 40 km südlich von Havanna, in die Stadt, kamen wir zuerst durch das Villenviertel; jene Häuser, die einst der einheimischen Bourgeoisie von US-Gnaden gehörten, Heute sind sie Botschaften, Kindergärten, Wohnhäuser oder stehen z.T. leer und verrotten langsam. Man mag das schade finden, aber die Kubaner haben sicherlich besseres zu tun, als alte Villen zu erhalten.

Hatten wir diesen Stadtteil hinter uns gelassen, so gelangte unsere Kolonne – sechs Busse, begleitet von drei Motorrädern der Transit-Polizei und zwei PKWs - bald auf die große Uferstraße Malecón, die kilometerlang direkt am Meer entlangführt und bald hatten wir unsere Endstation vor dem Hotel "Nacional" gegenüber dem ehemaligen Denkmal der "Maine" erreicht. Die "Maine" war jenes US-Kriegsschiff, das am 25. Januar 1898 provokativ vor Havanna vor Anker ging und den Übergang von der spanischen zur nordamerikanischen Kolonialherrschaft anzeigte, Nach dem Sieg der Revolution wurde das Denkmal geschleift; heute steht nur noch das Fundament.

Will man Havanna kennenlernen, so macht man das am besten zu Fuß. Dabei wird es nicht ausbleiben, daß man irgendwann auf der Straße in ein Gespräch verwickelt wird, das meist so oder ähnlich anfängt: "Towarischtsch ingenier?" - angesichts der Zahl der im Lande arbeitenden Techniker aus den sozialistischen Ländern kein Wunder. Unsere Antwort "Aleman" (Deutscher) bedeutete für die Kubaner, daß damit die DDR gemeint sei, Die Richtigstellung rief Unglauben, manchmal sogar Mißtrauen hervor; durchaus verständlich infolge der Rolle der BRD gerade in Lateinamerika. Aber nachdem wir den Zweck unseres Aufenthalts erklärt hatten (keine Touristen, sondern Brigadisten), war das Eis gebrochen und die Kubaner hatten mindestens so viele Fragen an uns wie wir an sie.

Bekanntlich ist Kuba ein sozialistisches Entwicklungsland, in dem es an vielen Produkten, die in den hochindustrialisierten Ländern Westeuropas für viele selbstverständlich sind, noch mangelt. Daher kann es einem auch passieren, daß man auf der Straße angesprochen wird, ob man seine Armbanduhr oder seine Brille oder sonst einen Gegenstand verkaufen will, der den anderen gerade interessiert. Aber das waren Ausnahmen, die hoffentlich bald verschwunden sein werden, spätestens nach einer entscheidenden Verbesserung der Versorgungslage.

Als unerwartet abenteuerlich entpuppte sich allerdings die Suche nach einer Kneipe mit Bierausschank; bei den kubanischen Temperaturen eine fast lebenswichtige Frage. Zwar standen in zahlreichen Buden entlang des Malecon, die für den Karneval aufgebaut waren, haufenweise Kisten mit jenem goldenen Getränk, aber jedesmal scharf bewacht von Kollegen des CDR - meist ältere Frauen, die ihr Strickzeug dabei hatten und ihre kleinen Enkel um sich, die nicht den Eindruck machten, als ob sie etwas herausrücken würden. Schließlich stand der Karneval kurz bevor und dann darf kein Engpaß auftreten! Also hieß die Devise weitersuchen und möglichst einen Kubaner als Begleiter zu haben, da man als Ausländer sich nicht genügend auskannte, War das Problem aber gelöst, wurde man durch den Genuß des Getränks mehr als entschädigt (Das Bier soll nach Rezepten aus der CSSR gebraut werden, und dort ist bekanntlich die Heimat des Pilsner Urquell),

Ein Kapitel für sich ist der Autoverkehr. Es empfiehlt sich, beim Überqueren der Fahrbahn, die Beine in die Hand zu nehmen, Beherrscht wird die Straße eindeutig von den fürchterlich röhrenden und qualmenden "guaguas", den stets überfüllten Bussen, wobei es ein Geheimnis bleibt, wie diese Ungetüme zu ihrem Namen gekommen sind, denn eigentlich bedeutet das Wort soviel wie "wertloses Ding" oder "Baby". Den zweiten Rang können die LKWs beanspruchen, die PKWs sind noch in der. Minderheit. Überhaupt PKWs! Viele stammen noch aus der Zeit vor der Revolution und sehen dementsprechend aus, Jedenfalls erinnern manche an ein fahrendes Autofriedhofsstück. Bei vielen dieser "Saurier" ist das Blech bereits dermaßen durchgerostet, daß man das Gefühl haben kann, sie werden nur noch vom Lack zusammengehalten. Auffallend ist allerdings auch die Zahl neuer PKWs, seien es argentinische Fords und Peugeots oder Ladas und Alfa Romeos.

Wobei man bei der Anschaffung der Autotypen wohl ökonomische Einwände überhörte; jedenfalls kritisierte ein Vertreter der "poder popular" aus Matanzas, daß ihm nicht Klar sei, warum teure Wagen wie Peugeot 504 oder Alfa Romeo angeschafft wurden, wenn ein Lada es auch täte; in Anbetracht der Straßen sogar noch besser.

Im Revolutionsmuseum

Einen Besuch im Revolutionsmuseum von Havanna sollte man sich keinesfalls entgehen lassen, Es ist im ehemaligen Präsidentenpalast untergebracht; dort residierte auch der Diktator Batista, nachdem er 1952 die Macht usurpiert hatte. An einigen Stellen des heutigen Revolutionsmuseums findet man Gedenktafeln mit den Namen derjenigen, die am 13. März 1958 an diesem Ort gefallen sind.

An jenem Tag drang eine Gruppe von Studenten (die sich aufgrund dessen später "Direktorium des 13. März" nannte und Fidel Castros Rebellenarmee in der Sierra Maestra durch Aktionen in der Hauptstadt unterstützte) in den Präsidentenpalast ein, um den verhaßten Diktator zu ermorden, Nur durch einen unglücklichen Umstand entkam Batista im letzten Augenblick diesem Anschlag; seine Rache an den Studenten war grausam, Noch heute kann man an einer Hauswand unmittelbar gegenüber der Universität die (inzwischen allerdings etwas verblaßte) Parole lesen: "Abajo Batista Assessinado" (Nieder mit dem Mörder Batista).

Am Eingang des Museums steht unter freiem Himmel das Wrack eines US-amerikanischen Flugzeugs, das über Kuba Bomben abwerfen sollte und dabei abgeschossen wurde (diese Bombenangriffe hielten trotz der Proteste der kubanischen Regierung bis in die 7oer Jahre hinein an).

Wer durch die Säle im Innern des Gebäudes wandert, erhält an Hand der dort ausgestellten Fotos, Texte, Karten, Waffen und anderen Gegenständen einen plastischen Eindruck von der Kontinuität des kubanischen Befreiungskampfes; angefangen von den ersten Befreiungskriegen 1868-78 und 1895-98 gegen die spanische Kolonialherrschaft bis zum Befreiungskrieg 1956-59 in der Sierra Maestra und der Abwehr der CIA-Invasion in der Schweinebucht im April 1961.

Kulturelles

Ebenso wie das Telefonieren ist auch der Besuch von Theatern in Kuba kostenlos, An einem Abend fuhren also auch wir nach Havanna ins Theater "Garcia Lorca", Es sollten folkloristische Tänze aufgeführt werden, Genaueres wußten aber auch die Kubaner, die uns während des Aufenthalts in Kuba betreuten, nicht.

Tatsächlich stand nicht Folklore auf dem Programm, sondern Ballett. Im ersten Teil wurde Klassisches geboten: Szenen aus der "Nußknacker-Suite" u.a. Nach der Pause stand uns eine Überraschung bevor: zu Klängen von "Led Zeppelin" und Stücken anderer Pop-Gruppen fegten Tänzer im "Superman"-Kostüm über das Parkett. Experimentelles Ballett, Parodie auf den Verfall der bürgerlichen Kultur im Zeitalter des Imperialismus? Die Auseinandersetzungen darüber reichten von Meinungen wie "begrüßenswertes Experiment der sozialistischen Kunst" über "warum denn nicht" bis "Übernahme des nordamerikanischen Kulturimperialismus".

Direkt neben dem "Garcia Lorca"-Theater steht das Capitol von Havanna, dem Capitol in Washington nachgebildet. Während unseres Aufenthalts wurde dort in Tag- und Nachtschichten die sowjetische Industrieausstellung aufgebaut; bei einem späteren Besuch sahen wir die Kubaner in langen Schlangen geduldig auf Einlaß warten,

Besuch im Warenhaus

Besucht man ein Warenhaus, so fällt als erstes die wohltuend kühle Temperatur auf, Fast alle Warenhäuser stammen noch aus der Zeit vor der Revolution und sind mit Klimaanlagen ausgerüstet. Die angebotenen Waren stammen meist aus der Produktion sozialistischer Länder und sind bis auf wenige Ausnahmen rationiert. Eine Ausnahme bilden z.B. Schuhe, die reichlich vorhanden sind. Aber im allgemeinen kann man sagen, daß nach wie vor eine Warenknappheit herrscht, obwohl in den letzten Jahren das Angebot wesentlich erhöht werden konnte, Das Warenhaus, das wir besuchten, lag mitten in der Altstadt Havannas, und Altstadt heißt: ein unabsehbares Gewimmel alter, in der Mehrzahl höchstens zweistöckiger Häuser im spanischen Kolonialstil, von unten bis oben vollgepackt mit Säulchen, Gesimsen und sonstigen "Barockschnickschnack"; gekrönt von flachen Dächern, vollgehängt mit Wäsche und überragt von Türmchen, die bevölkert sind mit blechernen Engeln. Ein genauerer Blick freilich zeigt abblätternde Fassaden, rissige Mauern, Baufälliges. Ein großer Teil der Häuser verfügt daneben über keine eigene Wasserversorgung; nach und nach werden die Bewohner der Altstadt jedoch in neue Viertel umgesiedelt, wie z.B. nach EI Alamar, damit bis 1978 die Altstadt saniert werden kann, wie es vorgesehen ist.

Vom HABANA HILTON zum HABANA LIBRE

Ein charakteristisches Gebäude, an dem man sich bei einem Stadtbummel immer orientieren kann, ist das bekannte Hotel "Habana libre", Noch unter Batista als "Habana Hilton" erbaut, wurde es kurz vor dem Triumph der Revolution fertiggestellt.

Neben kubanischen Hochzeitspärchen, die heute dort ihre Flitterwochen verbringen, hat das Hotel zahlreiche Dauergäste: die Familien revolutionärer Führer Lateinamerikas ‚sowie andere politische Flüchtlinge, die alle in ihren Heimatländern Repressalien befürchten müssen; namentlich sind dies Flüchtlinge aus Chile, Uruguay, Argentinien (z.B. wohnt im Hotel der Vater von Che Guevara, der demnächst mit seiner zweiten Frau nach El Alamar umziehen wird).

Eine neue Form der Poesie

In Berichten über Kuba von Korrespondenten bürgerlicher Massenmedien wird manchmal beklagt, daß die "Poesie der Leuchtreklamen" von Coca Cola und General Motors fehle, Tatsache ist dagegen, daß die Revolution zum ersten mal die Leuchtreklame in den Dienst einer ganz anderen Poesie gestellt hat: abends flammen an zahlreichen öffentlichen Gebäuden solche berühmt gewordenen Losungen wie "Venceremos", "Solidarität mit dem Befreiungskampf der afrikanischen Völker", "Es lebe der 26. Juli" (Am 26. Juli fand, sozusagen als 'Prolog' der Revolution der gescheiterte Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba statt) "Hasta la victoria siempre" (Immer bis zum Sieg!). Nicht weniger bekannt sind die ständig wechselnden Riesenplakate an den Häuserwänden rund um den Platz der Revolution; zum Zeitpunkt unseres Besuchs waren sie der Solidarität mit dem Volk von Angola gewidmet.

Alamar

Ein Besuch in Havanna wäre unvollständig ohne einen Abstecher nach El Alamar, der Trabantenstadt am Meer (daher der Name) wenige Kilometer östlich von Havanna. Dort entsteht ein Neubauviertel für 150.000 Menschen, in dem jetzt ca. 50.000 Einwohner leben. Trotz einheitlicher Bauweise nutzen die Kubaner jede Möglichkeit, durch Variationen in der Formgebung der Balkone, unterschiedlichen Farbanstrich usw, die Gebäudefront optisch aufzulockern, Jeder Balkon trägt in seinem Eisengitter das Zeichen derjenigen Mikrobrigade, die das Haus errichtet hat (in einer dieser Brigaden arbeitet übrigens einer der jüngeren Brüder von Che Guevara). wir besuchten El Alamar ungefähr eine Woche, nachdem Fidel Castro einen seiner unangemeldeten Besuche gemacht hatte, die für ihn so charakteristisch sind. Die Folge war natürlich eine ungeheure Menschenansammlung, mit der Fidel ihre alltäglichen Probleme diskutierte. Eine Beschwerde betraf die Tatsache, daß in EL Alamar keine Bademöglichkeit für die Kinder besteht, weil die Küste an dieser Stelle steinig und ohne Strand ist. Jedenfalls sorgte Fidel unter Umgehung der sonstigen bürokratischen Umwege dafür, daß jetzt eine Buslinie eingerichtet wird, die die "Chicos" zum nächstgelegenen Strand fährt.

* José Martí (1853-95) in seinem Gedicht "wilde Bremsen"

Brigade-Info / Ein Reisebericht aus Kuba - 1976