Tigre, ein etwa 60 Jahre alter schwarzer Vorarbeiter auf unserer Baustelle, wird von seinen Kollegen so genannt,weil er wie ein Tiger arbeitet und auch so stark und so schnell ist. Tigre ist für die Innenarbeiten verantwortlich, so z.B. für das Verputzen der Fliesen, In den kleinen Arbeitspausen erzählte uns Tigre von seinem Leben vor und nach der Revolution:
"Ich war vor der Revolution hauptsächlich Landarbeiter, vor allem in der Zuckerrohrernte habe ich gearbeitet - zur Schule gegangen bin ich nicht, Als dann die Revolution gesiegt hat, habe ich mich sofort eingegliedert und habe angefangen, in einer Kooperative zu arbeiten, Aronon in Camagüey. Ich arbeitete also für die Revolution, Als die Amerikaner in Playa Girón angriffen, sind von der Kooperative viele in die Miliz gegangen und diejenigen, die auf der Kooperative geblieben sind, haben jeden Tag freiwillig zwei Stunden mehr gearbeitet, um die Genossen zu ersetzen, die in Playa Girón kämpften, Vor der Revolution hab' ich auch mal auf einer Kaffeeplantage gearbeitet. Da haben wir 9 Pesos im Monat bekommen, schlechtes Essen, Wassersuppe, wir mußten in Baracken schlafen, auf der Erde, ohne Licht, alle in einem Raum ohne Fenster, Zum Zudecken hatten wir einen alten Sack, den wir auch zum Arbeiten brauchten. Es war auch kein Fußboden in dem Raum, nur Lehm; wenn es regnete, haben wir im Wasser gelegen. Das war aber überall so.
Nach dem Sieg der Revolution, also heute, verdiene ich in zwei Tagen das, was ich früher in einem ganzen Monat verdient habe. Außerdem gab es auf der Plantage nur für 2 Monate Arbeit, danach mußte man wieder durch die Dörfer ziehen. Ich hab! dann Schuhe geputzt, Zeitungen ausgetragen, Koffer geschleppt und so, hab' auch mal Arbeit auf dem Bau bekommen, als Anstreicher oder so, Von dem verdienten Geld mußte ich auch noch meine Brüder unterstützen, meine Eltern, meine ganze Familie also. Dann bin ich auf eine Hühnerfarm gegangen, die der Regierung unterstand. Da war das Leben etwas erträglicher und ich konnte meine Eltern ein bißchen besser ernähren."
Hast Du vor der Revolution schon politisch gearbeitet?
"Nein, aber ich habe immer was gespendet, Spendenmarken gekauft. Dann, mit dem Sieg der Revolution, bin ich gleich in die CDR eingetreten. In Camagüey war ich verantwortlich für die freiwillige Arbeit.
Che hat auch mit uns gearbeitet, auch dann in der Zuckerrohrernte, Ich erinnere mich noch gut an ihn, er war ein sehr freundlicher, hervorragender Genosse. Er verstand sich sehr gut mit uns Arbeitern, Wir haben freiwillig jeden Sonntag von morgens früh bis nachmittags um 5 Uhr gearbeitet, im Zuckerrohr und danach dann jeden Sonntag auf einer Hühnerfarm.
Ich erinnere mich noch gut an die Alphabetisierungskampagne, ich hab' da nämlich auch Lesen und Schreiben gelernt, in der Kooperative. Vorher konnte ich ja nichts lernen, die Arbeiter und die Neger konnten ja meistens nichts lernen, Und der beste Schüler von der Kooperative ist dann in die Sowjetunion gegangen, zum Studieren.
Und mit der anderen Regierung, da mußten so kleine hübsche Mädchen tausende von Arbeiten machen, um sich über Wasser zu halten. Viele mußten sich prostituieren, um zu überleben, Aber mit dem Sieg der Revolution hörte das auf, es gibt keine Prostituierten mehr auf Kuba und wir sind sehr zufrieden damit."
Tigre erzählte uns häufig von Ausstellungen, die er sich in Havanna angesehen hatte, oder von anderen kulturellen Veranstaltungen, Also fragte ich ihn nach seinen Interessen, Das spanische Wort "interés" hat allerdings in Kuba eine andere Bedeutung, wie man aus der Antwort sehen kann, die er gab: "Ich habe keine Interessen, Das einzige Interesse ist, für die zu produzieren, die noch nicht so viel haben. Ich will nichts. Ich habe alles, Ich bezahle keine Miete, die Regierung hat mir eine Wohnung gegeben. Geld interessiert mich nicht."
Nachdem ich ihm erklärt hatte, was ich meinte:
"Ich geh' auf fast alle Ausstellungen, hab' gerne Musik, Bilder. Ich geh! auch gern nach Havanna ins Theater und guck mir was an. Aber die Farbe hat meine Nerven angegriffen, deshalb hab’ ich nur die 6.Klasse und kann nicht studieren. Außerdem muß ich jetzt immer so früh ins Bett, so um 21.00 Uhr, ich kann nicht mehr so lange aufbleiben, weil ich schon so alt bin.
Ich wünsche Eurem Volk auch so eine Zukunft wie in Kuba, Und vielleicht kommt Ihr alle im nächsten Jahr wieder, um uns zu helfen."
Arbeitest Du immer in diesem Dorf?
"Nein, wir arbeiten immer auf einer anderen Baustelle, in Havanna, in Camagüey und bauen Schulen und Dörfer, Als wir die Schule da vorne bauten, kam der Genosse Fidel und hat uns da arbeiten sehen und wir hatten nur Hacke und Spaten, keine Bulldozer, keine Maschinen, keinen Lastwagen. Da hat der Fidel den Genossen Miguelito gerufen und gesagt: Genosse Miguelito, komm, wir gehen mal zu dem Hügel, mal sehen, was noch gemacht werden muß. Es war nur Urwald und ein Berg von Steinen, kein Weg, alles war zu. Wir haben hier 1970 angefangen und mit Hilfe der Brigade aus dem Betrieb und .denen, die hier wohnten, mit Eurer Hilfe, mit Hilfe der Brigade Venceremos und der Brigade Nordica haben wir dieses Dorf sehr weit gebracht. Ich freue mich sehr über das Interview, Wenn Ihr zurückkommt, umarmt Eure Familien im Namen der kubanischen Arbeiter."
Brigade-Info / Ein Reisebericht aus Kuba - 1976