Am 14.6.1976 landen wir mit einer Iljushin auf dem Flughafen "José Martí" in Havanna. Die Schwüle, die uns da entgegenschlägt, wird uns noch in den nächsten Tagen zu schaffen machen. Nach einer Begrüßung durch Vertreter des Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP) fahren wir ins Campamento "Julio Antonio Mella", das 40 km westlich von Havanna liegt. Dort werden wir vom Personal herzlich begrüßt. Gemeinsam mit den Brigadisten aus Belgien, die mit uns geflogen sind, kommen wir als erste im Campamento an. Wenige Tage später folgen Holländer, Österreicher, Luxemburger, West-Berliner, Franzosen und Portugiesen. Die italienische Brigade trifft wegen der Wahlen in Italien erst zwei Wochen später ein. Von Anfang an fühlen wir uns im Campamento sehr wohl, da die ganze Anlage – übrigens von früheren Brigadisten gebaut - durch ihre aufgelockerte Bauweise und die Grünanlagen richtig freundlich wirkt. Im einzelnen besteht das Campamento aus einer Reihe von Holzbaracken, in denen Schlafräume (jeweils für 70 Personen), Speisesaal, Versammlungsraum, Friseur, Krankenstation mit Arzt und Krankenschwester, Bibliothek, Wäscherei, Post und ein Freizeitraum untergebracht sind. Im Freien befinden sich noch Sportanlagen für Basket- und Volleyball, ein Freilichtkino, ein großer Platz mit Bühne in der Mitte des Campamento und viele Bänke unter riesigen Mangobäumen, auf denen man sich von der tropischen Hitze erholen kann.
Jeden Morgen werden wir um 5.45h geweckt mit dem aufmunternden Lied "Voy para el trabajo" (Ich gehe zur Arbeit). Nach dem Frühstück, das meist aus Tee oder Kaffee und einem belegten Brot besteht, gibt es für jeden Brigadisten die tägliche Raucherration: 1 Zigarre und 1 Schachtel Zigaretten. Um 6.45h fahren wir mit Bussen zur Arbeitsstelle, die etwa 25 Minuten vom Campamento entfernt liegt. Mit jeder Brigade fahren einige kubanische Kollegen, die für all unsere Probleme da sind, mit uns arbeiten, für uns übersetzen und uns eine ganze Menge über den Alltag in Kuba berichten, Während wir auf der Arbeitsstelle beim Bau von Wohnhäusern für die Beschäftigten einer nahegelegenen Textilfabrik helfen, sind im Campamento eine Reihe von Kubanern mit viel Liebe und Sorgfalt damit beschäftigt, für uns zu kochen, alles sauber zu halten und unser Freizeitprogramm zu organisieren, Kurz vor 12.00h kehren wir, die meisten schon etwas abgekämpft, ins Campamento zum Mittagessen zurück. Wie für alle Kubaner besteht unsere Mahlzeit hauptsächlich aus Fleisch oder Fisch mit Beilage, Reis, einer Suppe und Nachtisch. Aufgrund der großen Hitze und der anstrengenden Arbeit machen wir von den angebotenen Getränken - Bier, Cola, Limonade - reichlich Gebrauch. Vor allem das Bier, in Kuba gebraut, schmeckt ganz vorzüglich, Die nachfolgende Mittagspause kann dann nach Lust und Laune genutzt werden. Ein Nickerchen, das die meisten Brigadisten wegen des allgemein herrschenden Schlafmangels wohl nötig gehabt hätten, ist wegen der drückenden Hitze in den Baracken selten möglich. Die meisten sitzen oder liegen im Schatten, ruhen sich aus oder lesen eine der beiden Tageszeitungen, die wir täglich erhalten. Ein paar fast Verrückte, die meisten aus der westdeutschen Brigade, spielen fast jeden Mittag Volleyball - wahrscheinlich lastet sie die Arbeit nicht richtig aus, oder es kommt von der Sonne - die steht nämlich zu dieser Zeit fast senkrecht an Himmel.
Wenn gegen 13.45h wieder Musik aus den Lautsprechern ertönt wissen wir, daß es Zeit ist, erneut zur Arbeit zu fahren, Gegen 18.00h kommen wir dann von der Arbeit zurück und nehmen ebenfalls eine warme Mahlzeit ein. Diese Mahlzeiten sind überhaupt so eine Sache für sich:
Am dritten Tag unseres Aufenthalts z.B. kommen die Brigadisten aus Frankreich an, Als sie zum ersten Mal im Speiseraum sitzen fangen einige von unseren Brigadisten zu singen an, Arbeiterlieder, Solidaritätslieder... Während des Singens kommen auch die restlichen Brigadisten in Schwung und so werden die Franzosen eindrucksvoll begrüßt und sie singen als Entgegnung einige ihrer Lieder. Es liegt plötzlich etwas in der Luft und in unserem Empfinden, daß sich nicht so einfach beschreiben läßt und daß sich noch so manches Mal wiederholen wird - ein Gefühl von Herzlichkeit und das Bewußtsein von Solidarität für eine gemeinsame Sache. Schließlich singen wir alle zusammen, klatschen und tanzen, Und das ist nicht das letzte "Essen" dieser Art. Als die Portugiesen eintreffen, die wegen der politischen Situation in ihrem Land mit einer besonders großen Brigade kommen, wird die gemeinsame Begeisterung so groß, daß wir alle aus der Baracke ausziehen auf den großen Platz mitten im Campamento. Alles strömt dort zusammen, die Kubaner holen zwei große Handtrommeln und dann singen und tanzen wir, bis wir vor Erschöpfung nicht mehr können, Die Abende schließlich sind meist mit Programm ausgefüllt. In einer politischen Vortragsreihe werden wir informiert über die wirtschafts- und Außenpolitik Kubas, die kommunistische Jugendorganisation, die poder popular, den 1. Parteitag der PCC und über José Martí, Die Vorträge werden simultan ins Englische, Portugiesische, Französische und Italienische übersetzt. Die deutsche Sprache ist offenbar schwer zu lernen für Kubaner und so klappt es anfangs nicht mit der Übersetzung. Dank zweier Brigadisten von uns gelingt es jedoch, einen Notdienst für die Simultanübersetzung ins Deutsche zu organisieren und das klappt dann auch meistens.
Eine weitere Möglichkeit, sich ein Bild über Kuba zu machen, bietet das Filmprogramm: fast jeden zweiten Abend werden im Campamento kubanische Filme gezeigt, die (beinahe) alle sehenswert sind.
Die noch freibleibende Zeit wird von allen Brigadisten zu internen Sitzungen genutzt, wo die Fülle der anfallenden Fragen, Anregungen, Probleme usw. geklärt werden.
Den abschließenden Höhepunkt jeder Arbeitswoche bilden die Feste an den Samstagabenden. Zu Beginn spielen verschiedene Künstler und Gruppen und wir gewinnen einen beeindruckenden und breiten Eindruck von kubanischer Volksmusik. Anschließend wird zu den "heißen" Rhythmen einer Band getanzt und für unser leibliches Wohl ebenso gesorgt. Zwei Tage in der Woche. - Mittwoch und Sonntag - sind frei und wir haben Gelegenheit, die Umgebung oder Havanna kennenzulernen. Nachdem wir schließlich die drei Wochen Arbeit hinter uns gebracht haben, organisieren die Kubaner etwas ganz Tolles für uns, Es beginnt mit einem ganz ausgezeichneten Essen, das einen schon allein für die Anstrengungen entschädigt. Als wir uns anschließend alle auf dem großen Platz im Campamento versammeln, geht plötzlich ein Feuerwerk los, daß einem Hören und Sehen vergeht und damit nicht genug: mitten am Himmel leuchten und sprühen die Worte "Viva la brigada José Martí 76". Anschließend wird bis in den nächsten Morgen hinein gefeiert.
Brigade-Info / Ein Reisebericht aus Kuba - 1976