Kommentar aus Havanna
Bis zum I. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas sind es noch knapp zwei Monate. Nicht nur in der Partei, sondern auch in den gesellschaftlichen und Massenorganisationen, von allen Bürgern wird dieses große Ereignis mit Eifer vorbereitet.
Wie festgelegt, haben in der dritten Oktoberwoche die Wahlberichtsversammlungen der Parteiorganisationen in den Provinzen begonnen. Die Kommunisten Kubas nutzten zuvor die Wahlen in den Parteigruppen, in den Grundeinheiten auf Orts-, Munizipal- und Regionalebene zu ausführlichen Rechenschaftslegungen und Diskussionen. Es wurden die Mandate aller Mitglieder und Kandidaten überprüft bzw. erneuert und die Leitungen neu gewählt. Hinzu kam die Nominierung von Kandidaten für die nächsthöhere Wahlberichtsversammlung sowie von Genossen, die als Parteitagsdelegierte kandidieren.
Nur in einigen wenigen Bereichen wie den Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums sowie in besonders wichtigen Großbetrieben sind die Delegierten zum I. Parteitag bereits direkt gewählt worden. Die Mehrzahl aber wird nun auf den Provinzversammlungen gewählt. Weit fortgeschritten ist auch der sozialistische Wettbewerb in Industrie und Landwirtschaft. Seit Mitte Oktober melden die ersten Betriebe, daß sie ihre Anfang des Jahres eingegangenen Verpflichtungen zu Ehren des Parteitages erfüllt haben. In der Provinz Havanna haben bereits über 300 Produktions- und Dienstleistungsbetriebe die technisch-ökonomischen Kennziffern ihrer Jahrespläne erreicht.
Es vergeht kein Tag, da nicht Zwischenauswertungen auf den verschiedenen Ebenen vorgenommen Der Wettbewerb wird komplex geführt, d. h., es zählen nicht nur die Planerfüllung, die Senkung der Ausschußquoten, der Verlustzeiten, des Materialverbrauchs und die Steigerung der Arbeitsproduktivität, sondern auch die Arbeitsdisziplin, die Qualifizierung und Weiterbildung, die Sauberkeit und Hygiene am Arbeitsplatz, die gesellschaftliche Arbeit im Wohngebiet und vieles mehr.
Die umfangreichste Arbeit, die von der kubanischen Bruderpartei bei der Vorbereitung auf den Kongreß zu leisten ist, ergibt sich: zweifellos aus der Fülle der wichtigen Entscheidungen, die der Parteitag treffen wird. So sollen im Dezember die Vorhaben Kubas für die Zeit bis 1960 im Entwurf allen Delegierten auf dem Tisch liegen, diskutiert und verabschiedet werden. Es sind insgesamt 27 Tagesordnungspunkte vorgesehen.
Das erste Dokument, über das monatelang öffentlich debattiert wurde, war der Entwurf zur ersten sozialistischen Verfassung Kubas (vgl. horizont Nr. 29/75 – die Red.). An dieser Volksaussprache beteiligten sich 6,25 Millionen Bürger. Die Ergebnisse der Diskussion, d. h. Abänderungsvorschläge und Hinweise, wurden ausgewertet und von einer Redaktionskommission in den ersten Entwurf eingearbeitet. Das Verfassungsprojekt ist das erste Dokument, das, mit allen Abänderungen versehen, nun schon als kleine rote Broschüre für die Parteitagsdelegierten gedruckt wurde. Zur Zeit erörtert man den Entwurf der programmatischen Plattform der Partei, der als das wichtigste Dokument bezeichnet wird, das vom Parteitag zu beschließen ist. Die Plattform stellt eine Art provisorisches Programm der Partei dar, denn das eigentliche Programm wird erst auf dem II. Parteitag 1980 beschlossen werden.
Inzwischen ist auch allen Bürgern bekannt, wie sich die territoriale Struktur in Kuba nach dem Parteitag verändern wird. Aus den sechs Provinzen, die z. Z. bestehen und deren Grenzen vor langer Zeit noch von der spanischen Kolonialmacht willkürlich gezogen worden waren, sollen 14 Provinzen gebildet werden, wobei gleichzeitig die bisherigen über 40 Regionen völlig wegfallen.
Von Natur aus kompliziert ist es, das neue Leitungssystem der Wirtschaft zu schaffen, das schrittweise im Verlaufe des 1. Fünfjahrplans durchgesetzt wird. Es soll u. a. Dazu führen, daß unter Berücksichtigung der Erfahrungen der sozialistischen Bruderländer die Autorität und Selbständigkeit der Betriebe auf der Basis der .zentralistischen Planung und wirtschaftlichen Rechnungsführung gestärkt, neue Preisbildungsprinzipien durchgesetzt, die Planungstätigkeit qualifiziert und durch gezielte Kreditpolitik eine höhere Effektivität der Wirtschaft erreicht wird.
Hans Renneburger
Horizont 45/1975
Informationsdienst Nr. 4-5 / 1975