2. September 1973, morgens halb sieben: Die Iljushin 62 landete auf dem internationalen Flughafen "José Martí" von La Habana in Rancho Boyeros, 16 km von der kubanischen Hauptstadt entfernt. Als die Türen geöffnet wurden, schlug uns die tropische Hitze direkt ins Gesicht. Wir, das waren 180 meist junge Leute, die aus neun westeuropäischen Ländern kamen. Wie waren wir nach Kuba gekommen? Das kubanische Institut für Völkerfreundschaft (ICAP), ist die in Kuba zuständige Institution für die Zusammenarbeit mit den Freundschaftsgesellschaften mit Kuba, die es u.a. in Italien, Frankreich, Schweiz, Belgien und Osterreich gibt. In anderen Ländern wie Großbritannien, Niederlande und BRD gab es 1973 Initiativgruppen zur Gründung von Freundschaftsgesellschaften mit Kuba. Das ICAP hatte über diese Gesellschaften die Arbeitsbrigade eingeladen.
Zwei von uns trugen beim Aussteigen ein Transparent mit der Losung "No somos turistas", zu deutsch: "Wir sind keine Touristen". Mit dieser Losung wollten wir,die Mitglieder der internationalen Arbeitsbrigade "XX. Aniversario" zeigen, daß wir nicht "mal so" zum Vergnügen nach Kuba gekommen waren, sondern daß wir unsere konkrete Solidarität mit Kuba unter Beweis stellen wollten. Weiterhin wollten wir die kubanischen Verhältnisse kennenlernen, um in unseren Ländern den Sozialismus in Kuba darstellen zu können.
Im Flughafen-Gebäude empfingen uns drei Gitarrenspieler mit typisch kubanischen Liedern. Zur Erfrischung gab es Daiquiri, ein Rumgetränk mit gemahlenem Eis. Die Erledigung der Formalitäten dauerten etwas länger. Hinzu kam, daß Fidel Castro zur Konferenz der Blockfreien Staaten in Algier abreiste, und daß deshalb der Flughafen gesperrt wurde. Fidel Castro wurde von Raul Castro, dem kubanischen Verteidigungsminister, und anderen führenden 4 Persönlichkeiten verabschiedet.
Zum Mittagessen waren wir schon im Campamento Internacional "Julio Antonio Mella", unserer Unterkunft für die nächsten vier Wochen. Es befindet sich in der Provinz La Habana, in der Nähe des Dorfes Guayabal. Es besteht aus einer Reihe von Holzbaracken, in denen Schlafräume, Speisesaal, Versammlungsraum mit Simultan-Dolmetscher-Anlage, Friseur, Arzt, Zahnarzt, Bücherei, Wäscherei, Post,Freizeitraum mit Fernseher, Tischtennis und Schach untergebracht sind; außerdem gibt es ein Freiluftkino, zwei Sportplätze und eine Freilichtbühne.
Seit 1969 kommt regelmäßig jedes Jahr aus den USA die Brigade "Venceremos", seit 1970 jedes Jahr die "Brigada Nórdica", an der bis zu 300 Schweden, Norweger, Dänen, Finnen und Isländer teilnehmen. Auch aus lateinamerikanischen und sozialistischen Ländern kommen Brigaden. 1972 arbeitete die "Brigada Julio Antonio Mella" ein halbes Jahr in Kuba,deren Teilnehmer aus 52 Ländern kamen und die während dieser Zeit eine komplette Mittelschule sowie mehrere Wohnhäuser bauten.
Wir halfen bei der Errichtung der Siedlung "Los Naranjos", die nach Fertigstellung aus 312 Wohnungen bestehen wird, in denen über 1.300 Kubaner leben werden. Zur Siedlung werden auch ein Einkaufszentrum, Bibliotheken, Schulen und Kindergärten gehören. Die Brigade "Venceremos" aus den USA begann mit den ersten Ausschachtungen, und wir haben es erlebt, daß die ersten Häuser bezugsfertig wurden.
Dieses Dorf wird nur von internationalen Brigaden gebaut, mit der Unterstützung und unter Anleitung von kubanischen Facharbeitern. Unsere gesamte Brigade wurde in sieben Sub-Brigaden aufgeteilt, in der jeweils einige Kubaner mitarbeiteten: Arbeiter, Angestellte und Studenten.
Wie sah nun so ein Arbeitstag aus? Kurz nach sechs Uhr ertönte laut aus dem Lautsprecher das Lied "Voy al trabajo",zu deutsch "Ich gehe zur Arbeit". In den großen Waschräumen herrschte verschlafenes Gedränge. Nach dem Frühstück holte jeder seine tägliche Raucherration ab: Eine Zigarre, eine Schachtel Zigaretten, eine Schachtel Streichhölzer. Starke Raucher, denen das zu wenig war, kamen dank der verständnisvollen Unterstützung der Nichtraucher dennoch auf ihre Kosten.
Wir hatten wohl gewußt, daß wir vier Wochen arbeiten würden, doch konnte sich keiner die Arbeit, die uns erwartete, so richtig vorstellen. Die meisten hatten nur wenig Vertrauen in ihre Fähigkeiten, "richtige" Häuser zu bauen; aber die Kubaner wußten, daß wir in der Regel keine Bauarbeiter waren. So wurden wir auf der Baustelle von einigen kubanischen Facharbeitern angelernt, die ständig dort arbeiteten. Auch die Compañeros, die in der Subbrigade mit uns arbeiteten, hatten teilweise schon Erfahrung. So zum Beispiel Rolando, der vorher schon über ein Jahr mit einer Micro-Brigade auf dem Bau gearbeitet hatte.
Am ersten Tag wurden wir an acht Preßlufthämmer geführt. Unsere Aufgabe bestand darin, in Dreier- oder Vierergruppen mit je einem Preßlufthammer, Hacke und Schaufel einen Graben für die Kanalisation auszuheben. Voller Begeisterung stürzten wir uns auf die Arbeit; in einigen Gruppen stritten sich Brigadisten um die Ehre, mit dem schweren Arbeitsgerät umgehen zu dürfen. Aber sehr schnell zeigte sich, daß der Kalkfelsen es in sich hatte. Für uns war die Arbeit besonders schwer, da die meisten von uns nicht an körperliche Arbeit gewöhnt waren, schon gar nicht unter solchen klimatischen Bedingungen.
Nach zweieinhalb Stunden Arbeit legten wir ein Frühstückspause ein, die "merienda". Manchmal gab es Limonade, manchmal Yoghurt, dazu Kekse oder Kuchen. Nach dieser Unterbrechung wurde die Arbeit besonders mühsam, denn die Hitze machte sich nun verstärkt bemerkbar. Um halb zwölf begann dann die Mittagspause. Wir mühten uns auf die Lastwagen, der Fahrtwind brachte einige Erfrischung. Nach dem Mittagessen schliefen einige ihre Siesta, andere hörten die Nachrichten von Radio Habana, die in spanischer, französischer und englischer Sprache durch die Lautsprecher durchgegeben wurden. Andere streckten sich im Gras aus und lasen die Tageszeitung, die man im Speisesaal kostenlos abholen konnte, oder unterhielten sich mit kubanischen Compañeros und Brigadisten.
Um halb zwei ertönte wieder laute Musik aus den Lautsprechern; wir wurden zur Arbeit gerufen. Kurz vor zwei verließen die Lastwagen das Campamento. Nach vier Stunden Arbeit,die nur noch von einer "merienda" unterbrochen wurde war Schluß.
So vergingen die Werktage. Nach ein, zwei Tagen zeigten sich schon die ersten Erschöpfungserscheinungen. Einige konnten nicht mehr arbeiten, weil sie Blasen an den Händen hatten, andere hatten Ärger mit dem Kreislauf. Im Campamento waren aber stets ein Arzt und zwei Krankenpfleger, die uns auch während der Arbeitszeit betreuten.
Der Arzt hatte genug zu tun: Einige hatten ernsthafte Sonnenbrände, weil sie den ganzen Tag ohne Hemd herumgelaufen waren.Andere bekamen Ausschlag, weil sie gegen den ausdrücklichen Rat der Kubaner in den Zitrusplantagen ohne Hemd gearbeitet hatten. Durch mangelhafte Vorsicht kam es leider auch zu Unfällen: Ein Brigadist stürzte und brach sich den Arm; ein anderer verwundete sich mit der Machete. Stets hatten uns aber die kubanischen Freunde zur Vorsicht gemahnt und uns gewarnt.
Die ersten drei Tage arbeiteten wir mit den Preßlufthämmern, dann erhielten wir andere Aufgaben. Die kubanischen Genossen waren der Meinung, daß wir während unseres Aufenthaltes nicht große Spezialisten für eine Tätigkeit werden, sondern alle auf dem Bau notwendigen Arbeiten ausführen und dadurch auch lernen sollten. Im Laufe von vier Wochen verputzten wir Wände und Decken, verlegten elektrische Leitungen, fertigten Stahlbetonmatten, legten Gärten an, bauten Straßen, verschalten Treppen und arbeiteten dann auch wieder mit den Preßlufthämmern. Darüberhinaus waren wir bei der Herstellung von Fertigteilen tätig, fuhren dabei den ganzen Tag mit Schubkarren Zement, siebten Sand, füllten und bedienten Betonmischmaschinen (das klappte sogar) oder rührten Verputzmasse an. Außerdem arbeiteten wir auch in der Landwirtschaft, allerdings nur ein paar Tage: Wir schnitten mit der Machete Unkraut, wir streuten Dünger aus, pflückten Kaffee und Zitrusfrüchte.
Insgesamt hatte die Brigade "XX. Aniversario" 38.694 Arbeitsstunden zur Verfügung, dabei wurden nur 34.093 Stunden wirklich gearbeitet. Für die Abschlußbesprechung am Ende der vier Wochen Arbeit war dann genau berechnet worden, daß wir einen Gegenwert von 54.300,- kubanischen Pesos erarbeitet hatten, das sind rund 180.000,- DM. Damit hatten wir den vorher festgelegten Plan zu 89 % erfüllt. Rechnet man 9 % Arbeitsstunden hinzu, die durch Regen verloren gegangen waren, so kommt man auf eine Planerfüllung von 98 %. Anzumerken wäre, daß der Plan nach den in Kuba allgemein gültigen Normen aufgestellt wurde. Daher wurden an uns die gleichen Anforderungen gestellt wie an jeden kubanischen Arbeiter; es gibt keine Normen für kurzfristige Besucher.
Sehr effektiv war unsere Arbeit also nicht. Man muß allerdings berücksichtigen, daß heute in Kuba ein großer Arbeitskräftemangel herrscht, sowie ein sehr großer Mangel an Wohnungen. Von daher sind 312 Wohnungen schon ein Beitrag zur Verbesserung der Wohnsituation von über 1.000 Kubanern, und eben diese 312 Wohnungen wurden von uns mitgebaut. Weiterhin haben die Genossen vom ICAP stets betont, daß es nicht primär auf unseren Arbeitsertrag ankäme. Durch die Arbeit haben wir unmittelbar erfahren, unter welchen Anstrengungen in Kuba eine neue, eine gerechtere und bessere Gesellschaft aufgebaut wird. Diese Erfahrungen waren - auch für die Kubaner - zumindest ebenso wichtig wie der in Pesos meßbare Ertrag unserer Arbeit.
Zu der Arbeit kamen vielfältige Aktivitäten. Zweimal in der Woche sahen wir abends Filme, dreimal hörten wir jeweils Vorträge oder hatten Begegnungen mit Gästen, z.B. Vietnamesen. Sonntags besuchten wir eine Fabrik, eine Schule, ein landwirtschaftliches Kombinat, Kleinbauern oder den Erholungsort Soroa in der Provinz Pinar del Rio. Den Sonntagnachmittag verbrachten wir meistens am Strand. Der Samstagabend war einer "Actividad cultural", einer "Kulturveranstaltung", gewidmet, d.h. der Abend begann gewöhnlich mit dem Auftritt einer oder mehrerer Künstlergruppen. Anschließend wurde bis in die Morgenstunden getanzt; an der "Piragua",der kreisförmigen Bar, gab es Rum, Bier und andere Getränke, soviel man wollte,
Nach den vier Wochen Arbeit begann eine Reise durch sämtliche kubanische Provinzen, die wir schon vorher besucht hatten.
Reise nach Cuba - 1973