Queer? Keine Selbstverständlichkeit

Die Anfänge der Diskriminierung von LGBT (1) in Kuba lassen sich nicht konkret auf einen bestimmten Zeitpunkt zurückverfolgen. Fakt ist jedoch, dass 1938 erstmals ein Gesetz erlassen wurde, welches das öffentliche Auftreten von LGBT unter Strafe stellte. Somit hatten diese nun nicht mehr nur mit fehlender Akzeptanz im Alltag, sondern zudem noch mit staatlicher Repression zu kämpfen. Dieses Gesetz wurde auch nach dem Sieg der der Revolution im Jahr 1959 lange Zeit nicht geändert. Die gesellschaftliche Diskriminierung bestand weiterhin.

1965 wurden sogenannte UMAP (Unidades Militares de Ayuda a la Producción), Einheiten des Militärs zur Unterstützung der Feldarbeit, ins Leben gerufen, an welchen sich Schüler, Studenten sowie Militärs beteiligten, um den Sozialismus aufzubauen. Die Teilnahme an diesen Einheiten war jedoch für einige Randgruppen, unter ihnen auch Schwule, obligatorisch. Die harte körperliche Arbeit sollte nicht nur der Produktion der dringend benötigten Lebensmittel dienen, sondern im Falle der homosexuellen Männer zu einer »Umerziehung« führen, an die man damals noch glaubte.

Drei Jahre später wurden die UMAP wieder aufgelöst, womit jedoch die institutionelle Diskriminierung nicht beendet wurde. So hieß es beispielsweise 1971 in einem Beschluss des staatlichen Ersten Kongresses zur Bildung und Kultur, dass Homosexualität eine Krankheit sei, die es zu bekämpfen gelte. Solche staatlichen Beschlüsse waren zu dieser Zeit weltweit nichts Ungewöhnliches: Die Weltgesundheitsorganisation beispielsweise hatte Homosexualität bis 1992 als Krankheit eingestuft. Zu den UMAP sagte der am 25. November 2016 verstorbene Fidel Castro: »Wenn einer verantwortlich ist, dann bin ich es. (…) Es ist wahr, dass ich mich in diesen Momenten nicht um diese Angelegenheit habe kümmern können. (…) Ich ertrank in Arbeit und war befasst mit Krisen, mit Krieg und anderen politischen Fragen.« (2)

Die ersten wesentlichen Verbesserungen für LGBT waren in Kuba ab 1979 erkennbar. Das immer noch bestehende Verbot von Homosexualität wurde weitestgehend aufgehoben. Sexuelle Handlungen gleichgeschlechtlicher Paare waren nicht länger untersagt. In der BRD – dies nur zum Vergleich – wurde das Gesetz zur Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität erst 15 Jahre später, nämlich 1994 beschlossen. (Die DDR hingegen hatte den Strafparagraphen 175 bereits 1968 gestrichen.) Ende der 1980er Jahre wurden in Kuba die ersten gesundheitlichen Aufklärungskampagnen für Homosexuelle gestartet, und das Gesetz gegen öffentliches Auftreten von Homosexuellen wurde 1987 aufgehoben. Jedoch erst der im Jahre 1994 uraufgeführte kubanische Film »Fresa y chocolate« (»Erdbeer und Schokolade«), in dem die Freundschaft zwischen einem homo- und einem heterosexuellen Mann dargestellt wird, führte dazu, dass das Thema breiter diskutiert wurde. »Fresa y chocolate« löste eine Welle weiterer Filme, Bücher und Theaterstücke aus, in denen Homosexualität thematisiert wurde. Einen anderen entscheidenden Faktor für den Umschwung der kubanischen LGBT-Politik stellt der Zusammenbruch des sozialistischen Blocks 1989/90 dar. Die zu dieser Zeit wichtigsten Herausforderungen für Kuba bestanden darin, den Sozialismus und die Souveränität des Landes zu erhalten, so Alberto Roque vom »Nationalen Zentrum für sexuelle Aufklärung« (Cenesex). (3) Dieses gemeinsame Ziel hat die Gesellschaft vereinigt, sie hat es geschafft, die letzten Spaltungslinien zu überwinden und zur realen Integration von Homosexuellen und Transgender beigetragen.

Cenesex entstand im Jahre 1989 im Laufe der sich intensivierenden sexuellen Aufklärung. Mit dieser Einrichtung wurde der LGBT-Bewegung in Kuba ein neues, entscheidendes Instrument an die Hand gegeben: eine staatliche Institution mit Rückhalt in der Regierung. Das Cenesex besteht aus einer Gruppe von Fachleuten, welche Forschungen im Bereich der Sexualität betreiben und zudem Personen unterstützen und versorgen, die auf Grund ihrer Sexualität von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind. Mit der Wahl Mariela Castros, der Tochter des Staats- und Regierungschefs Raúl Castro, zur Direktorin des Cenesex im Jahre 2001, verschob sich der Fokus des Instituts auf die Arbeit zur Gleichberechtigung sexueller Minderheiten. So begann 2007 unter anderem eine Kampagne gegen Homophobie. Zudem veranstaltet die Organisation seitdem jedes Jahr am 17. Mai eine Parade der Schwulen, Lesben und Transgender. Im Cenesex gibt es mehrmals wöchentlich Seminare sowie Aufklärungsstunden zum Thema Safer Sex, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilen regelmäßig kostenlos Kondome.

Die Arbeit des Cenesex liegt jedoch nicht nur im Bereich von Bildung und Aufklärung, auch die juristische Ebene stellt einen festen Bestandteil dar. So sind etwa die Forderungen nach rechtlicher Anerkennung von Lebenspartnerschaften im Familiengesetzbuch und nach einem Gesetz zur Geschlechtsidentität Teil des Programms. Die Bildungsarbeit des Staates gegen Homophobie bewegt sich mittlerweile jedoch in einem deutlich weiteren als nur in dem vom Cenesex abgesteckten Rahmen. Medien- und Bildungseinrichtungen sind die wichtigsten Bereiche, um die Gesellschaft weiterzuentwickeln. Von besonderer Bedeutung sind die Auseinandersetzung in Schule und Studium sowie die progressive Thematisierung in Fernsehen, Kino, Theater und Zeitungen. So hat etwa die Tageszeitung mit der zweithöchsten Auflage in Kuba, die Juventud Rebelde, eine eigene Rubrik zur Sexualaufklärung, in der versucht wird, Diskriminierung durch Konfrontation und Bildungsarbeit zu bekämpfen. Auch die vom Kommunistischen Jugendverband (UJC) organisierten »Dragqueenpartys« sind – zumindest in Kubas Queermetropole Santa Clara – keine Seltenheit mehr.

Die Regierung fördert ebenfalls zunehmend eine progressive LGBT-Politik. Seit einer Resolution des kubanischen Ministeriums für öffentliche Gesundheit (Ministerio de Salud Pública) von 2008 sind Geschlechtsumwandlungen in Kuba gratis. Notwendig für all diese Änderungen war eine wachsende Akzeptanz der Regierung gegenüber der Queerszene. Dies manifestierte sich bereits eindrücklich durch das Mandat der transsexuellen Adela Hernández im Parlament. Fidel Castro entschuldigte sich zudem – wie bereits erwähnt – in der Öffentlichkeit für die Ungerechtigkeiten, die vor allem Homosexuellen in der Vergangenheit erleiden mussten. Homosexualität, stellte er klar, sei eine vollkommen natürliche und normale Art der Sexualität.

Dennoch gibt es hinsichtlich der LGBT-Politik noch viele Hürden zu überwinden. Eine der größten besteht im konservativen Geschlechterbild, welches sich durch das katholische Familienkonzept und dem immer noch stark in der kubanischen Gesellschaft verwurzelten »Machismo« ausdrückt. Trotzdem können Homo- und Transsexuelle heutzutage besonders in den Großstädten Kubas ohne Anfeindungen und Diskriminierung öffentlich auftreten. Sie scheinen oftmals sogar schon eine Art Trendbewegung darzustellen. Die Durchsetzung der homosexuellen Ehe und die gründliche Aufarbeitung der Geschehnisse in den UMAP – beides Forderungen Mariela Castros – stehen jedoch bis heute noch aus.

(Lorenz Künstler und Kjell Hlawaty)

Anmerkungen:
1) LGBT: Abkürzung aus dem Englischen für: (L)esbian, (G)ay, (B)isexual and (T)ransgender
2) Zit. n.: Thomas Knecht: Cuba queer, in: Cuba libre 1/2015
3) »Homophobie ist gegen die Prinzipien der Revolution«. Ein Gespräch mit Dr. Alberto Roque Guerra, Mitarbeiter des kubanischen Nationalzentrums für sexuelle Aufklärung, Unsere Zeit, 13.8.2010


Kuba im Wandel. 16 Erfahrungsberichte, hg. von Volker Hermsdorf, Paula Klattenhoff, Lena Kreymann und Tobias Salin. Verlag Wiljo Heinen, Berlin/Böklund 2017, 10 Euro.

Veranstaltungshinweis: »Kuba im Wandel«. Buchpremiere mit den Herausgebern, Donnerstag, 18. Mai 2017, jW-Ladengalerie, Torstraße 6, 10199 Berlin, Beginn 19.00 Uhr, Eintritt: 5 Euro/ermäßigt: 3 Euro. Um Anmeldung unter mm@jungewelt.de oder 030/53 63 55 56 wird gebeten.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Kuba im Wandel
Junge Welt, 15.05.2017