Vom Ende der Staatskunst

Fidel Castro bereicherte die Welt und nicht, wie sonst üblich, sich selbst.

Im Jahr 1978 erschien Bob Dylans Song »Changing of the Guards« (Wachablösung); das immergültige und damit auch zuverlässig prophetische Lied trifft konkret poetisch und politisch genau, was sich auf rüdeste Art und Weise 38 Jahre später im November 2016 vollzog. Donald Trump wurde zum US-Präsidenten gewählt, und Fidel Castro starb. Bob Dylan, der des Literaturnobelpreises nie bedurft hätte, um seiner würdig zu sein, steht als Monolith und Leuchtturm in der Weltgeschichte; seine Prophetie ist profund, weil sie sich darauf beschränkt, in magischen Worten und Melodien vorauszusagen, was immer war und ist und auch so bleiben wird. Dylan beherrscht viele Künste, aber die »Staatskunst«, wie Peter Hacks die Fähigkeit nannte, die Geschicke eines Staatsgebildes zu lenken, zählt nicht zu seinen Interessengebieten. Schade eigentlich.

Äußerst beschlagen in der Staatskunst war Fidel Castro, für mich neben Winston Churchill der bedeutendste Staatsmann des 20. Jahrhunderts. Churchill war trotz schwärzester Depressionen, die er mit seinem Freund Charlie Chaplin teilte, ein so humorvoller, charmanter, weiser, beglückender und glücklicher Ehemann, dass man versucht ist anzunehmen, nur ein Solitär oder ein guter Ehemann könne auch ein guter Staatsmann sein – so wie Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er Deutschland liebe, antwortete: »Ich liebe meine Frau.« Das unterscheidet einen klugen, leitenden Vertreter des Volkes von einem armseligen Deutschländer-Würstchen. Churchill war klar, entschieden und blieb seinen Idealen treu; sein Diktum »Germany first« war unumstößlich. Erst erledigen wir Hitler und seine Leute, dann sehen wir weiter.

Fidel Castro war ein patriotischer kubanischer Revolutionär; er bereicherte die Welt und nicht, wie sonst üblich, sich selbst. Mit seinen Companeros befreite er Kuba von dem eingesetzten Zuhälter Batista, unter dessen diktatorischem, von der Mafia gestützten Regime Havanna zum Bordell und zur Spielhölle Miamis wurde, in denen junge kubanische Männer und Frauen zu Lakaien und Prostituierten herabgewürdigt wurden. Castro schuf ein Bildungs- und Gesundheitssystem, das nicht nur in Mittelamerika einzigartig ist. Er schlug den Angriff in der Schweinebucht zurück, Kuba überstand das nach wie vor bestehende Handelsembargo, den Zusammenbruch der Sowjetunion und die doppelte Währung, die ein tödliches Mittel gegen jeden Staat ist. Verglichen mit den Anschlägen, die von der CIA und Exilkubanern reaktionärster Provenienz auf Castro verübt wurden, wirkt jedes James-Bond-Filmszenario wie »Die Sendung mit der Maus«. Es gab Hunderte Versuche, Fidel Castro zu ermorden, etwa mit einem vergifteten Taucheranzug und Sprengstoff in Zigarren. Er hat sie alle überlebt, bevor er, 90jährig, eines natürlichen Todes starb. Nur Insassen einer geistig verarmten Welt feiern diese Verarmung als Fortschritt.

Donald Trump nutzte die ihm in den Schoß gefallene Gelegenheit, Castro noch an dessen Todestag seinen Hass hinterherzukübeln: Castro sei ein »brutaler Diktator« gewesen; sein »Vermächtnis« sei »eines von Schießkommandos, Diebstahl, unvorstellbarem Leid, Armut und der Verweigerung fundamentaler Menschenrechte«; Trump sprach von einem »Horror, der zu lange erduldet werden musste«. Die Frage, ob es sich dabei um die Projektion handelt, nach der das übergeschnappte Gekläff klingt, mögen die Psychopathen dieser Welt beantworten. Ich für meinen Teil werde zusehen, Ende Februar 2017 beim großen Zigarrenfestival in Havanna zu sein; dann ist noch kein neuer Batista installiert, aber die Geier kreisen schon.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Wiglaf Droste
Junge Welt, 29.11.2016