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»Wir streben einen gerechten Handel an«

Bernardo Álvarez Herrera über die Bolivarianische Allianz für Amerika und Integration in Lateinamerika.

Bernardo Álvarez Herrera ist seit September 2013 Exekutivsekretär des linksgerichteten lateinamerikanischen Staatenbündnisses »Bolivarianische Allianz für Amerika – Handelsvertrag der Völker« (ALBA-TCP). Der Venezolaner hatte sein Land zuvor in mehreren Staaten, darunter Spanien, als Botschafter vertreten. Ihm wurde, wie er sagt, »die Ehre zuteil«, als Botschafter aus den USA ausgewiesen worden zu sein. Mit ihm sprach für »nd« Harald Neuber.

nd: Herr Álvarez Herrera, in Lateinamerika sind in den vergangenen Jahren mehrere Regionalorganisationen als Alternative zur US-dominierten Organisation Amerikanischer Staaten entstanden, so etwa die CELAC oder das Wirtschaftsbündnis Mercosur. Welche Rolle kann Ihre Organisation spielen, die Bolivarianische Allianz für Amerika (ALBA)?

Herrera: Nun, die ALBA gibt es jetzt seit zehn Jahren und sie hat von Beginn an alle möglichen Initiativen zur Schaffung eigener, lateinamerikanischer Foren unterstützt. Es ging dabei darum, unter Anerkennung bestehender Differenzen miteinander zu sprechen, ohne den Großmächten und ihren Interessen Raum zur Einflussnahme zu geben. Diese von Hugo Chávez vertretene Vision richtete sich vor allem gegen die traditionelle Dominanz der USA. Und diese Position hat uns viel abverlangt. Es wurde und wird immer wieder versucht, Venezuela als einen der Motoren dieser Entwicklung zu isolieren, aufzuhalten oder gar zu kriminalisieren. Aber nach diesen zehn Jahren muss man auch festhalten, dass die ALBA eine wichtige Rolle bei den Integrationsprozessen gespielt hat.

Aber das ALBA-Bündnis ist nach wie vor kein Rechtssubjekt, sondern eher ein loser Zusammenschluss. Ist Ihr Handeln damit nicht auf Symbolpolitik beschränkt?

Wir haben ja eine organisatorische Struktur. Aber die ALBA ist bislang vor allem ein Dialogforum, ein Instrument, um politische Einigkeit zu fördern. Die Prinzipien sind in einem Gründungsdokument definiert. Es gibt aber bislang keinen Gründungsvertrag, dem sich Staaten anschließen könnten. Das erklärt sich aus der Geschichte: Die ALBA wurde ursprünglich als »Bolivarische Alternative« von Kuba und Venezuela ins Leben gerufen und entwickelte sich dann weiter. Bolivien war der Meinung, dass es nicht nur um eine Alternative gehen dürfe, sondern dass man einen alternativen Handelsvertrag anstreben müsse. Deswegen heißen wir heute »ALBA-Handelsvertrag der Völker«, oder ALBA-TCP. Das definiert deutlich den Unterschied zu dem neoliberalen Modell und dem klassischen kapitalistischen Entwicklungsmodell. Wir streben einen gerechten Handel an. Wir versuchen, Mechanismen zur Demokratisierung der Wirtschaft zu entwickeln.

Die organisatorische Schwäche aber bleibt.

Bislang hat die ALBA ein Exekutivsekretariat, das ich ja vertrete. Benannt wurde ich von einem politischen Komitee. Dort sind die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten vertreten. Nach dieser Ebene folgen der Politische Rat, in dem die Außenminister vertreten sind, der Wirtschaftsrat, der Sozialrat und der Rat sozialer Bewegungen. Mein Sekretariat ist ursprünglich als Hilfsgremium entstanden und hat sich über die Jahre hinweg zu der Struktur entwickelt, in deren Händen das tägliche Geschäft liegt. Ich arbeite eng mit den nationalen Koordinatoren zusammen. Oft sind das die Vizeaußenminister für Lateinamerika. Aus dieser Zusammenarbeit sind verschiedene Initiativen entstanden: Die ALBA-Bank etwa oder die regionale Buchwährung Sucre.

Neben der ALBA ist auf Chávez’ Initiative das energiepolitische Bündnis Petrocaribe entstanden. Stimmen die Gerüchte, dass ALBA und Petrocaribe zusammengefasst werden sollen?

Ja, das wird angestrebt. Sehen Sie, ALBA ist zwar keine klassische Organisation, dennoch hat sie in den vergangenen Jahren viel Ansehen gewonnen. Aber die neuen internationalen Gegebenheiten verlangen auch von uns eine Weiterentwicklung. Deswegen wird derzeit zudem sehr ernsthaft die Ausarbeitung eines Gründungsvertrages der ALBA geprüft. Dies würde es uns erlauben, in anderen internationalen Formen ein stärkeres Gewicht zu haben - ohne dass wir aber deren Struktur kopieren.

Mitunter werden die neuen Regionalorganisationen und auch die ALBA mit der frühen Phase der Europäischen Union verglichen.

Nun, in der ALBA haben sich fortschrittliche Regierungen vereint. Die ALBA strebt für Lateinamerika alternative, fortschrittliche politische Konzepte an.

Hängen die strukturellen Reformen der ALBA - die Fusion mit Petrocaribe und ein anvisierter Gründungsvertrag - mit der Ausdehnung der neoliberalen Pazifik-Allianz zusammen, die von der EU und den USA unterstützt wird?

Nein, denn dabei handelt es sich um ein Staatenbündnis, das offenbar vorrangig wirtschaftliche Interessen hat. ALBA hat zudem eine längere Geschichte.

Aber hat die ALBA keine wirtschaftlichen Interessen?

Doch, natürlich, aber unser Ziel liegt in der Entwicklung eines Modells, mit dem der Kapitalismus überwunden werden kann und das eine neue Form der wirtschaftlichen Beziehungen etabliert. Wir lehnen dieses euphemistische Theorem einer »Konkurrenz zwischen den Staaten« ab. Wir gehen davon aus, dass die Welt nach wie vor in ein wirtschaftliches Zentrum und eine Peripherie geteilt ist. Deswegen müssen wir Länder des Südens uns zusammenschließen und uns gemeinsam helfen sowie gemeinsame Kräfte nutzen. Damit jeder Staat vorankommt, muss er zugleich an die regionale Entwicklung denken. Deswegen unterstützen wir auch die Regionalorganisation CELAC, auch wenn sie ideologisch sehr viel breiter aufgestellt ist.

Dennoch - oder vielleicht eben deswegen - stehen die USA und Deutschland den progressiven Staaten Lateinamerikas mit Ablehnung gegenüber.

Wir sind fest davon überzeugt, dass immer mehr Staaten die tief greifenden Veränderungen, die Lateinamerika derzeit erlebt, verstehen werden. Vor einigen Jahren wurde versucht, Kuba und Venezuela auf internationaler Ebene zu isolieren. Heute sind Kuba und Venezuela ein fester Bestandteil der lateinamerikanischen Gemeinschaft. Mitunter entsprechen die Schemata, mit denen Europa oder, besser gesagt, einige Gruppen in Europa auf die Neuerungen in Lateinamerika reagieren, der Denkweise des Kalten Krieges. Ihnen liegen sehr simple Denkweisen zugrunde, die oft von der extremen Rechten der USA gezielt beeinflusst werden. Aber wenn man dann mit den Parteien hier spricht, mit den Gewerkschaften, Bürgermeistern oder Intellektuellen, dann sieht man doch, dass das Verständnis für die Umbruchprozesse in Lateinamerika wächst. Auch in Europa merkt man, dass wir Lateinamerikaner uns heute sehr viel näher stehen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Wir lassen uns heute von externen Interessen nicht mehr dazu verführen, andere Staaten der Region zu kriminalisieren.

Neues Deutschalnd

Neues Deutschland, 28.04.2014