Insel der Freiheit

Es war für mich – um diese seltene Formulierung zu benutzen – eine Ehre, von der Kubanischen KP und der Regierung eingeladen worden zu sein, an den Trauerfeierlichkeiten für Fidel Castro teilzunehmen. Der Abschied von Castro war nicht nur ein Abschied von einer wirklich weltumwälzenden Persönlichkeit, sondern vielleicht ist mit ihm auch eine historische Etappe zu Ende gegangen. Die Zeit der Guerillakriege in Lateinamerika, mit allem, was sich damit verbindet, ist Geschichte und so einfach, wie viele von uns sich das gedacht hatten, wird es mit dem Sozialismus im 21. Jahrhundert nicht werden. "Castro denken" heißt eben, genau über diese Frage nachzudenken. Ein Nachdenken über das Werk, über Erfahrung und Ausstrahlung Fidel Castros wird einfacher nicht zu machen sein. Denken über Fidel Castro erfordert aber auch Respekt vor dieser großen Persönlichkeit und Lebensleistung. Respekt schließt Kritik ein und nicht aus. Alles zu seiner Zeit – für mich waren die Tage der Trauer nicht die Zeit, in der die Kritik an möglicherweise mangelnder Demokratie sinnvoll zu artikulieren gewesen wäre. Unterm Strich bleibt: Fidel Castro war kein Diktator. Seine Lebensleistung darauf reduzieren zu wollen ist falsch und Kuba ist und bleibt eine Insel der Freiheit.

Congreso PCC

Abschied von Fidel, Foto: Ladyrene Pérez, Cubadebate



Mehr als eine Million Menschen waren in Havanna auf den Straßen und Plätzen, um Abschied zu nehmen, und die Antwort auf die Frage Daniel Ortegas "Wo ist Fidel?" war laut und deutlich vernehmbar: Wir sind Fidel! Um es theoretisch zu untermauern: Kuba, und nicht nur Kuba, werden in neuer Art und Weise den Zusammenhang von Persönlichkeit und Institutionen zur Entwicklung der Gesellschaft definieren. Schritt für Schritt auf ihrem eigenen Weg.




Bemerkenswert die Klugheit und Zurückgenommenheit von Raul Castro. Seine Rede war zeitlich die kürzeste und dennoch vielleicht die präziseste. Da er weiß, dass Fidel an Popularität nicht zu überbieten ist und dass es für Kuba wichtig ist, eine so ausstrahlende große Persönlichkeit an der Spitze von Partei und in der Mitte des Volkes gehabt zu haben, müssen jetzt die demokratischen Institutionen ausgebaut und gestärkt werden. Die Kommunistische Partei Kubas, das nationale Parlament und die lokalen Vertretungen wie auch viele Formen der Demokratie des Alltags.

Innerlich kochte ich natürlich über das, was ich an Kommentaren, Artikeln, Stellungnahmen aus Deutschland gelesen habe. Angesichts dessen, was ich gehört und was ich gesehen habe, blieben Quacksalber aus Deutschland klein. Das Geschreibe über Castro als Diktator hat in Kuba nur Kopfschütteln hervorgerufen. Ich schaue mir die Umgebung von Kuba an, denke an den Bürgerkrieg und seine wohl mehr als 200.000 Toten in Kolumbien, an die vielen von den USA verantworteten Putsche in Lateinamerika. Während der Abschiedsveranstaltung waren Bilder zu sehen: Fidel mit Salvador Allende in Chile. Ich denke an die vorerst weggeputschten Dilma Russeff und Lula in Brasilien. Nein, Castro hat die Fesseln, die Kuba beengten, nicht nur gelockert, er hat sie zerschnitten. Die große Zuneigung in Kuba ist allein noch kein Argument, das ist mir klar. Aber dass in Kuba vieles direkt von der Bevölkerung entschieden wird, schon eher. Das kubanische Parlament hat mehr zu diskutieren und zu entscheiden als viele andere Parlamente. Kuba hat sich selbst befreit, aber nie einen Krieg gegen andere Länder geführt. Es sei denn, man betrachtet die Soldaten, die zur Unterstützung für die jungen national befreiten Staaten im Kampf gegen das südafrikanische Apartheidregime und im Kampf gegen Ebola nach Afrika entsandt wurden, als Abgesandte einer Diktatur.

Meine kubanischen Freundinnen und Freunde klopfen mir auf die Schulter und sagen: "Reg‘ Dich doch nicht so auf, lass‘ sie schreiben und schwätzen." Nein, mich regt das auf – weil, dies alles zusammen wird als Wortmeldung aus Deutschland verstanden. Es gibt aus Deutschland solche Wortmeldungen, aber auch die Solidaritätsbekundungen, die Gesichter der Menschen am Samstagabend vor der kubanischen Botschaft in Berlin, der Kummer, die Tränen und auch Verzweiflung über den Tod von Fidel. Ich weiß, auch in Deutschland finden sich Menschen, die auf die Frage "Wo ist Fidel?" antworten werden: Wir sind Fidel!

CUBA LIBRE Wolfgang Gehrcke

CUBA LIBRE 1-2017