Cuba sí, Yankee …???

Jetzt ist es also soweit. Das Sternenbanner weht am Malecón vor dem trutzigen Gebäude, das bis vor kurzem die US-Interessenvertretung war und jetzt zur Botschaft geworden ist.

USA-Botschaft in Havanna

Inauguration der USA-Botschaft in Havanna, 14. August 2015;
Foto: Juvenal Balán / Granma Internacional

Ein seltsames Gefühl ist es schon, das viele bei diesem Anblick befällt, der eine neue Ära symbolisiert. Ein ambivalentes Gefühl der positiven Erwartung, dass mit dem Aufweichen einiger Blockadebestimmungen die kubanische Wirtschaft an Fahrt gewinnt und damit das Leben für die Kubaner einfacher wird und das Gefühl einer undefinierbaren Unsicherheit vor dem, was passieren könnte, wenn die USA Kuba mit Waren und Menschen und dem American Way of Life überschwemmen.

Eine neue Ära?

Der Umgangston jedenfalls hat sich geändert. Noch nie zuvor hat ein US-Präsident so sachlich und respektvoll mit seinem kubanischen Amtskollegen am Telefon gesprochen und zumindest zeitweilig die Arroganz abgelegt, die traditionell Präsidenten der Vereinigten Staaten an den Tag legen. Dass beide Präsidenten am 17. Dezember zeitgleich im Fernsehen auftraten, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen bekanntzugeben – wo und wann hat es das schon einmal gegeben?

Völlig ungewöhnlich ist, dass die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit einem Schlag vonstatten ging. Fast alle US-Regierungen vorher, besonders aber die Regierungen von Ford und Carter, führten mehr oder weniger geheim endlose Gespräche mit der kubanischen Seite, die immer im Nichts endeten. Allein schon die Aufnahme der Verhandlungen für die Wiedereinrichtung diplomatischer Beziehungen hatten die USA an derart viele Vorbedingungen geknüpft, dass es nie dazu kam. So sollte Kuba seine Truppen aus Afrika zurückziehen, nicht mehr seine Stimme für die Unabhängigkeit Puerto Ricos erheben – Forderungen, die Kuba nicht hätte erfüllen können ohne seine Souveränität aufzugeben.

Obama ist auch der erste Präsident, der zugegeben hat, dass fünf Jahrzehnte Politik der Aggression und der Blockade gegen Kuba gescheitert sind. Carter und Clinton hatten das zwar auch öffentlich kundgetan, aber da waren sie bereits nicht mehr in Amt und Würden.

Kubas wirklich heldenhafter Widerstand gegenüber dem Imperium hat den Sieg davon getragen. Die diplomatischen Beziehungen wurden aufgenommen ohne jegliche Vorbedingung. Trotzdem wäre dies ohne die vorherige Freilassung der drei noch in US-Gefängnissen verbliebenen fünf kubanischen Antiterroristen nicht denkbar gewesen.

Alte Ziele, neue Strategien

Hinter all den scheinbar schönen Worten darf nie vergessen werden, dass das Ziel der USA, in Kuba eine Regierung nach ihren Vorstellungen einzusetzen, sich nicht geändert hat. Nachdem man sich mit den alten Methoden der Isolierung und der sich immer weiter verschärfenden Blockademaßnahmen jedoch international selbst ins Abseits gestellt hat, versucht man jetzt sein Ziel mit anderen Methoden zu erreichen. Das wird bei allen diplomatischen Höflichkeiten auch offen ausgesprochen. So sagte Obama in einer Pressekonferenz am 19. Dezember: »Ich teile die Sorgen der Dissidenten und der Menschenrechtsaktivisten dort, dass dies weiterhin ein Regime ist, das sein Volk unterdrückt. Und wie ich bereits vorher gesagt habe, erwarte ich keine Veränderungen von heute auf morgen. Aber was ich sehr wohl sehe, ist, dass nachdem sie dasselbe 50 Jahre lang versucht haben und sich nichts geändert hat, man jetzt etwas Anderes versuchen muss, wenn man ein Ergebnis haben möchte.« Nachdem er die seiner Meinung nach positiven Wirkungen der immer größeren Anzahl Besuche von US-Amerikanern und der Ausdehnung von Telekommunikation und Internet geschildert hatte, fuhr er fort: »Mit der Zeit wird dies dazu führen, dass diese geschlossenen Gesellschaft korrodiert und sich dann bessere Möglichkeiten eröffnen, die zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung des kubanischen Volkes führen. Ich denke, am Anfang werden wir manchmal ins Stolpern kommen, aber wenn wir Kompromisse machen, haben wir mehr Chancen, die Veränderung herbeizuführen, als wenn wir dies auf andere Weise gemacht hätten.«

Den Entschluss zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Kuba fasste Obama erst in der zweiten Hälfte seiner zweiten Amtszeit, aber bereits zu Beginn seiner ersten Amtszeit ließ sich erkennen, dass er eine andere Strategie als seine Vorgänger verfolgte. Er begann die Blockade zweizuteilen: in Blockademaßnahmen, die den einfachen Bürger betreffen und solche, die gegen die Regierung gerichtet sind. Deswegen hat er auch gleich zu Beginn für die in den USA wohnenden Kubaner die Beschränkungen für die Geldüberweisungen nach Kuba aufgehoben. Auch können sie, wenn sie Kuba besuchen, mehr Geld ausgeben und ihren Verwandten in Kuba das Internet und die Handys bezahlen. Auch die Liste von Dingen, die nach Kuba geschickt werden können, wurde erweitert. Das hat dem einfachen Kubaner mit Familienangehörigen in den USA direkt das Leben erleichtert. Nun ist es natürlich letztendlich absurd zu glauben, man könne die kubanische Regierung schädigen, ohne das kubanische Volk zu treffen. Aber diese Maßnahmen betreffen den normalen Bürger mehr auf indirekte Weise.

Von Anfang an war es das Ziel dieser Strategie, die Blockade da zu flexibilisieren, wo der Bürger sie direkt spürt und so dem einfachen Bürger sein freundliches Gesicht zu zeigen. Dadurch kann die Regierung schnell in die Rolle des Bösen geraten, der Schuld daran hat, dass es den Menschen nicht besser geht, nur weil man nicht bereit ist, scheinbar harmlose Dinge wie »Menschenrechte und mehr Demokratie«, die die Yankees zur Normalisierung vorschlagen, zu akzeptieren. Die Bürger sollen so unabhängig von der Regierung gemacht werden, dass sie irgendwann selber die Flexibilisierung fordern, die die USA durchsetzen wollen.

Das ist der Grund, warum auch weiterhin von den USA die Subversion mit vollen Händen unterstützt wird: Ein halbes Jahr nachdem die Präsidenten Raúl Castro und Barack Obama offiziell ihren Willen zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen bekundet hatten, hat ein Komitee des US-Kongresses zugestimmt, 30 Millionen Dollar ausschließlich zur »Förderung der Demokratie und der Zivilgesellschaft in Kuba« zu bewilligen – davon allein 8 Millionen für das NED. Dieser Betrag ist höher als der des letzten Haushaltsjahres und macht deutlich, dass das Ziel, durch Unterwanderung ein den USA genehmes System in Kuba zu installieren, sich nicht geändert hat. Da sprechen die Fakten eine deutlichere Sprache als die diplomatischen Freundlichkeiten.

Botschaft Kubas in Washington

Inauguration der Botschaft Kubas in Washington, 20. Juli 2015; Foto: Radio Havanna Kuba

Miteinanderleben von Gegnern

Angesichts dieses vielfältigen Spektrums an Strategien zur Vernichtung der kubanischen Gesellschaft fragt man sich, was dieses ganze Gerede von Beziehungen, die auf gegenseitigem Respekt beruhen und von Normalisierung überhaupt soll.

Was hat Kuba davon? Ist es jetzt nicht in einer schwierigeren Position als vorher, als die Fronten klar abgesteckt waren?

Es gibt eine Redewendung in Kuba, die besagt: Wir Kubaner sind besser darauf vorbereitet, dass man uns Wunden zufügt, als dass man uns küsst (más preparados para los lesos que para los besos).

Das trifft ganz bestimmt zu, allein schon deshalb, weil man, was die »Küsse« betrifft, bis jetzt wenig Erfahrung sammeln konnte.

Aber gibt es wirklich eine Alternative zu einer Politik, die irgendwann in naher Zukunft zur Beendigung der Blockade führt?

USA wollen Geschäfte machen

In seiner Ansprache am 17. Dezember sprach Obama von der Wichtigkeit das Wachstum und die Entwicklung eines privaten Sektors in Kuba zu fördern. Er wies daraufhin, dass man dabei sei, Maßnahmen zu studieren, wie man das private Unternehmertum in Kuba unterstützen könne und betonte, dass das »Embargo« auch den 400.000 Arbeitern auf eigene Rechnung Schaden zufüge.

Letztendlich aber wollen US-Unternehmer in Kuba Geschäfte machen. Die macht man aber nicht mit dem »Paladar« von nebenan, dem Friseur oder der Taxikooperative. Alle wirtschaftlich interessanten Unternehmen sind in den Händen des Staates, alle Optionen für die lukrative Freihandelszone Mariel laufen über den Staat. Die Arbeiter auf eigene Rechnung eignen sich bestenfalls als Medium zur Unterwanderung. An Unterwanderung sind nun wieder die Unternehmer nur sehr bedingt interessiert, denn zum Geschäfte machen eignen sich in der Regel stabile Verhältnisse besser, als die von der Politik ihres Landes geplanten Destablisierungsmechanismen.

Im US-Kongress wurden von beiden Parteien unterstützte Gesetzesvorlagen eingereicht, die laut New York Times das »Embargo « aufheben und »regulären Handel mit Kuba« erlauben würden. Beides trifft jedoch nicht zu. Die Vorlagen von Tom Emer, Kathy Pastor und Amy Klobuchar sind mehr oder weniger identisch. Sie sollen dazu führen, das exporteinschränkende Maßnahmen gelockert werden und dass US-Amerikaner einfacher nach Kuba reisen können.

Zum regulären Handel gehören jedoch immer zwei. Solange Kuba aber seinerseits nichts in die USA exportieren darf, kann man schwerlich von regulärem Handel sprechen. Was diese Gesetzesanträge vorsehen, hat nichts mit regulärem Handel und noch weniger mit der Aufhebung des »Embargos « zu tun. Man kann davon ausgehen, dass angesichts solcher Gesetzesvorlagen Kuba auch weiterhin sein Getreide lieber in Brasilien kauft, wohin es auch seinen Rum, seine Medikamente und andere Produkte exportieren kann, es also Länder vorzieht, mit denen es wirklich Handel treiben kann. Ohne Chance auf Gegenseitigkeit laufen solche Versuche ins Leere.

Was, wenn die Blockade fällt...

Irgendwann wird sie fallen, aber allem Anschein nach wird das ein langwieriger Prozess werden. Es gibt durchaus ausländische Unternehmen in Kuba, die die Kubaner davon zu überzeugen versuchen, dass sie mit Blockade besser dran seien. Aber auch das Durchhaltevermögen der Kubaner ist endlich und irgendwann in naher Zukunft möchte man den schwierigen Lebensumständen entkommen und auch wenn man keine Familienangehörigen hat, die einem Geld schicken, nicht in Panik geraten, wenn man das Ersatzteil für den defekten Kühlschrank nicht bezahlen kann und einem das Essen verdirbt. Das sind scheinbar Banalitäten, wenn es um das große Ganze geht, aber es sind diese scheinbaren Kleinigkeiten, die die Leute zermürben können.

Kuba hat seine Revolution gemacht und vom ersten Tag an versuchte man, sie zu vernichten. Eingebunden in RGW und vorteilhafte Handelsbedingungen mit der Sowjetunion lebte es sich trotz US-Blockade ganz gut in Kuba – im Rückblick fast paradiesisch. Mit dem Ende der Sowjetunion kam die Zeit, welche standhaft zu überleben zu den größeren Heldentaten der Geschichte gehört. Unter welchen Bedingungen die Kubanerinnen und Kubaner diese Zeit erhobenen Hauptes überstanden haben,wie sie immer neueren und immer weiter verschärften Blockadebestimmungen die Stirn geboten haben, macht sie schon zu etwas Besonderem.

martinera

martinera / Juventud Rebelde


Jetzt endlich nähert sich die Möglichkeit, dass Kuba Handelsbeziehungen haben kann wie alle anderen Länder der Welt auch. Dass es überall seine Produkte kaufen und verkaufen kann, dass niemand mehr Angst hat, mit ihm Handel zu treiben und dafür von den USA mit gigantischen Geldbußen bestraft zu werden, dass es Zugang zu Krediten hat usw.

Dann endlich bestünde die Möglichkeit, die Revolution so durchzuführen, wie man es wollte und nicht so, wie man es unter den gegebenen Umständen musste, ein sozialistisches Gesellschaftsmodell zu schaffen, an dem alle beteiligt sind und in dem es endlich etwas zu verteilen gibt, weil der Gesellschaft bei der Erarbeitung ihres Reichtums nicht mehr von überall Steine in den Weg gelegt werden. Die durch die Revolution geschaffenen Bedingungen eröffnen Kuba dafür alle Möglichkeiten.

Aber ein Leben ohne Blockade, 50 Seemeilen von der einzigen Weltmacht entfernt, die alles daransetzen wird, die Revolution jetzt auf subtilere Weise zu zerstören, stellt auch enorme Herausforderungen an eine Gesellschaft, der ein Generationenwechsel bevorsteht, der es an jungen charismatischen Führungspersönlichkeiten mangelt, die von den Umwälzungen der Sonderperiode und dem Niedergang des Sozialismus in Europa irritiert ist.

USA setzen nun auf Zuckerbrot statt Peitsche

Nachdem man die ganzen Jahre hindurch die Kubaner durch Aushungern zum Kapitalismus zwingen wollte, hat man jetzt beschlossen, sie durch den Zugang zu materiellen Gütern und Informationsmedien von ihrer Regierung loszulösen und sie so allmählich in den Kapitalismus zu führen.

Jetzt muss sich die kubanische Gesellschaft für den Umgang mit einer Politik der versteckten Aggressivität trainieren, die sich hinter kulturellem, wirtschaftlichem und politischem Austausch verbirgt und wo die Bestrebungen des Gegners, die politische Kultur gestalten zu wollen, weniger sichtbar werden bzw. sich verwischen. Es kommt jetzt darauf an, sich der Risiken und ihrer Schwachstellen bewusst zu werden, um sich auf die neuen Taktiken aus dem Norden zur Zerstörung der Revolution einzustellen. Es kommt jetzt darauf an, die wirkliche Zivilgesellschaft Kubas zu mobilisieren, damit sie für diese neue Etappe der Konfrontation gewappnet ist.

Die kubanische Intellektuelle Graziella Pogolotti sagte im Jahr 2013 vor jungen Intellektuellen: »… der Neoliberalismus geht von einer allumfassende Konzeption aus, einer ökonomischen, ideologischen, einer sozialen, einer der Verachtung gegenüber den Opfern, den Verlierern und er betrifft auch die Kultur, die eine Kultur des Trivialen ist, die wir alle auf irgendeine Weise konsumieren. Unser Projekt muss auch ein allumfassendes sein. Mit einer Aussage, die dem Politischen, dem Sozialen, dem Kulturellen und dem Ökonomischen einen anderen Platz zuweist, auch vereint für eine ideologische Schlacht …«

Das ist auch unsere Schlacht – der Kampf für die Aufhebung der Blockade, damit sich für Kuba bessere Bedingungen für den Aufbau des Sozialismus ergeben, der Alltag für den einfachen Kubaner leichter wird und der Kampf der Werte gegen die menschenverachtende neoliberale Ideologie. Der Sieg der Revolution, seine wirtschaftliche, politische und kulturelle Unabhängigkeit, ermöglicht es Kuba, diesen Kampf, der viele Unwägbarkeiten mit sich bringt, aufzunehmen. In Europa, in Ländern ohne wirtschaftliche, politische und kulturelle Unabhängigkeit müssen die Opfer des Neoliberalismus Kuba in diesem Kampf unterstützen, der unser aller Kampf ist.


CUBA LIBRE Renate Fausten

CUBA LIBRE 4-2015