Venezuela kämpft weiter um Stabilisierung

Ende des Jahres wird in Venezuela ein neues Parlament gewählt. Die Entscheidung über die 165 Sitze der Nationalversammlung ist die nächste große Machtprobe für die Regierung von Präsident Nicolás Maduro, der sich seit Monaten einer erbitterten Kampagne der rechten Opposition gegenübersieht.

Juventud Comunista Venezuela

Foto: Claudia Schröppel

Die Wirtschaftskrise in Venezuela, die unter anderem durch den Verfall der Erdölpreise im vergangenen Jahr verursacht wurde, sowie die Machenschaften der Regierung feindlich gesonnener Kräfte in Handel und Finanzinstitutionen des südamerikanischen Landes hatten in den vergangenen Monaten die innenpolitische Lage in Venezuela so zugespitzt, dass Teile der rechten Opposition die Zeit für einen erneuten Putschversuch gekommen sahen. Ein solcher, an dem hochrangige Offiziere der Luftwaffe beteiligt gewesen sein sollen, konnte rechtzeitig aufgedeckt werden. Zudem griffen die Behörden durch: Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres, als Dutzende Menschen bei gewaltsamen Ausschreitungen der Opposition getötet worden waren, unterband die Justiz eine erneute Protestwelle durch Demonstrationsverbote und durch die Festnahme führender Oppositioneller wegen deren Verwicklung in die gewaltsamen Umsturzversuche. Trotzdem blieb das Kabinett von Nicolás Maduro unter Druck und konnte sich von diesem zunächst nicht befreien, weil keine spürbare Verbesserung der Versorgungslage gelang. Im »Westen« lehnten sich manche Regierungen bereits zurück und warteten auf den »unvermeidlichen« Sturz der Regierung und das Ende des bolivarischen sozialistischen Projekts.

In dieser Situation wurde ausgerechnet US-Präsident Barack Obama zu einem unfreiwilligen Helfer Maduros. Im März erklärte die Administration in Washington Venezuela per »Executive Order « zu einer »außergewöhnlichen und außerordentlichen Bedrohung der nationalen Sicherheit und der Außenpolitik« der Vereinigten Staaten und verhängte Sanktionen gegen hohe Beamte des venezolanischen Sicherheitsapparates. Letztere hatten wohl keine praktischen Auswirkungen, denn dem Vernehmen nach verfügte keiner der Offiziere aus Nationalgarde, Polizei und Geheimdienst über Vermögen oder Konten in Nordamerika. Doch die Formulierung »Bedrohung der nationalen Sicherheit« wurde in Caracas als Vorstufe einer Kriegserklärung durch Washington aufgefasst. Und auch in anderen Ländern reagierten die Regierungen empört auf das Verhalten der USA, das an die überwunden geglaubten Zeiten der »Hinterhof«-Politik Washingtons erinnerte. Die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) und andere Regionalverbände wiesen in scharfen Stellungnahmen die Einmischung der USA zurück.

Venezuela reagierte auf den Affront aus Nordamerika mit einer großen internationalen Solidaritätskampagne. Mehr als zehn Millionen Unterschriften wurden unter einen Appell an Obama gesammelt, das Dekret gegen Venezuela aufzuheben. Und im Land selbst geriet nun die rechte Opposition unter Druck, denn die musste sich plötzlich zwischen Maduro und Obama entscheiden. Schließlich verurteilte das Oppositionsbündnis MUD zähneknirschend das Dekret aus Washington: »Venezuela bedroht niemanden.«

Im April ruderte Washington dann zurück und bemühte sich insbesondere mit Blick auf den Amerika-Gipfel in Panama um Entspannung. Dieser diplomatische Erfolg der Regierung Maduro entspannte die Lage etwas, auch wenn der Befreiungsschlag bislang nicht gelungen ist. »Ich denke, dass der Staat den Wirtschaftskrieg verloren hat, obwohl er den politischen Krieg gewonnen hat«, analysierte dies Mitte Mai der Philosoph Vladimir Lazo im Gespräch mit der regierungseigenen Tageszeitung »Correo del Orinoco«. »Das Volk hat erkannt, wer die Verantwortlichen für seine Lage sind, sonst würde die Bevölkerung längst vor dem Präsidentenpalast Miraflores oder vor den Ministerien protestieren.«

Venezuela

Soli-Demos auch in Spanien
Foto: cubadebate.cu

Lazo zeigte sich überzeugt davon, dass die Versorgungsprobleme in den Supermärkten tatsächlich auf die Politik der Opposition gegen die Regierung zurückzuführen sind. Die Rechte verfolge eine »Strategie der Hoffnungslosigkeit «, um die Bevölkerung zu entmutigen und damit gegen die Regierung aufzubringen. Diese werde durch Fehler des Staatsapparates in der Vergangenheit und Gegenwart verstärkt, sowie durch Mängel in der Wirtschaftsplanung und bei der Kontrolle der Arbeiten. Das aber könne auch zu einer politischen Niederlage führen: »Das Volk kann zu dem Schluss kommen, dass die Bourgeoisie versucht, mit der Regierung Schluss zu machen, und dass die Regierung nicht in der Lage ist, sich zu verteidigen. Wahrscheinlich werden die Unzufriedenen mit Zweifeln an den Parlamentswahlen teilnehmen oder zu Hause bleiben.« Das jedoch könnte zum Verlust der Parlamentsmehrheit führen.

Hinzu kommen Spaltungstendenzen im Regierungslager. »Marea Socialista« (Sozialistische Flut), eine im Trotzkismus wurzelnde Strömung der von Hugo Chávez gegründeten Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), hat bereits angekündigt, eigenständig bei den Wahlen kandidieren zu wollen. Auf gesamtstaatlicher Ebene dürfte das wenig Auswirkungen haben, aber in einigen umkämpften Wahlbezirken könnte eine Spaltung der Linken den Rechten helfen. Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV), deren Abgeordnete in der Nationalversammlung bislang eine gemeinsame Fraktion mit den Parlamentariern der PSUV bilden, hat deshalb zu einer Allianz aller antiimperialistischen Kräfte aufgerufen. Zugleich lehnten die Kommunisten jedoch eine Teilnahme an den internen Vorwahlen der Sozialisten ab und kündigten an, in allen Bundesstaaten Kandidaten aufzustellen. Parteichef Oscar Figuera forderte in diesem Zusammenhang bei einer Pressekonferenz Mitte Mai, alle Kräfte, die den bolivarischen Prozess unterstützen, müssten sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen. Die PCV will sich jedoch nicht bedingungslos der PSUV unterordnen, deren Führung in den vergangenen Monaten von den Kommunisten wiederholt wegen ihren schwachen Leistungen kritisiert wurde. Schon in der Vergangenheit hatte sich die PCV als Option für Linke präsentieren können, die zwar nicht gegen den Prozess stimmen wollten, aber der manchmal überheblich und selbstgefällig auftretenden und mit dem Staatsapparat verschmolzenen PSUV einen Denkzettel verpassen wollten.

Die inzwischen wieder steigenden Erdölpreise haben der venezolanischen Regierung indessen eine Atempause verschafft. Doch die strukturellen Probleme, die den bolivarischen Prozess auch 16 Jahre nach der erstmaligen Wahl von Hugo Chávez zum Staatspräsidenten so angreifbar machen, sind weiter ungelöst. Das wissen die inneren und äußeren Feinde der Revolution nur zu gut.

CUBA LIBRE André Scheer

CUBA LIBRE 3-2015